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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal.

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gleiche dazu die Seiten 337 bis 354, und man wird die Behauptungen Beckers
bestätigt finden. Von einzelnen sozialistischen Redensarten darf man sich ebenso¬
wenig täuschen lassen wie von den Versicherungen glühender Vaterlandsliebe.
"Dagegen müssen Eitelkeit, Genußsucht, Blasirtheit, Faulheit, verkehrte Erzie¬
hung und die revolutionäre Hanswursterei unter den Motiven in Rechnung
gebracht werden."

Was die Ermordung der Geiseln anlangt, so zeigt Becker, daß sie von
langer Hand her vorbereitet war, bevor sie in der letzten Woche vor dem Unter¬
gange der Kommune ausgeführt wurde. Die Zeitungen der letzteren hatten sie
wiederholt verlangt, und sie war in den Sitzungen des Kommunerathes mehr¬
mals beantragt und endlich beschlossen worden. Die Mitglieder jenes Rathes
ließen sich, wie wir sahen, von der Masse, dem Pöbel inspiriren, und dieser
forderte das Blut der Geiseln. Am 11. Mai hielt die Chapelle-Sektion des
"Revolutionsklubs" im 18. Arrondissement eine von etwa 3000 Personen be¬
suchte Versammlung ab, bei welcher nach sechs andern Punkten auch "die Hin¬
richtung eines vornehmen Geisels alle vierundzwanzig Stunden, bis der in die
Kommune gewählte Bürger Blcmqui freigelassen und in Paris angekommen
ist", beschlossen wurde, und andere Klubs faßten ähnliche Beschlüsse. Ferner
erzählt das Kommunemitglied Lissagaray*) in seiner Schrift "Acht Maitage
hinter den Barrikaden" nach dem Berichte dessen, der die Geiseln erschießen
ließ, daß derselbe "mit den nöthigen Vollmachten versehen" in die Roquette
gegangen ist und dort den Gardisten gesagt hat: "Sechs Geiseln sollen er¬
schossen werden", worauf dies geschehen. Hier haben wir das offene Einge-
ständniß, daß diese Mordthaten von der Kommune verfügt sind, und der edle
Bürger Lissagaray erzählt die Sache mit einer gewissen Genugthuung.

Hinsichtlich der Brandstiftungen liefert Becker zunächst aus den Kommune¬
papieren, die von den Regierungstruppen in den Mairien vorgefunden wurden,
schlagende Belege/ daß Petroleumbomben und andere Brandmittel bereits vor
dem Einrücken der Versailler angewendet worden sind. Diese Brandmittel
waren bei der Kommunearmee etwas Gewöhnliches, Selbstverständliches, und
die Anfertigung derselben gehörte zum Ressort des Kriegsministeriums und ge¬
schah ohne Unterbrechung. Deiudar hat die Feuersbrünste auf die Rechnung
der fremdländischen Genossen der Kommune setzen wollen. Die nicht zu leug¬
nenden Drohungen der Kommunarden, Paris werde sich eher vernichten als
ergeben, sind nach ihm bloße komödiantenhafte Rodomontaden. Das verdient
kaum eine Widerlegung, aber wir wollen sie mit Beckers Worten folgen lassen.
Der General Cluseret, der lange vor dem Auftreten der Kommune verkündet



*) Ein Schwiegersohn des Papstes der Internationale, Karl Marx in London.

gleiche dazu die Seiten 337 bis 354, und man wird die Behauptungen Beckers
bestätigt finden. Von einzelnen sozialistischen Redensarten darf man sich ebenso¬
wenig täuschen lassen wie von den Versicherungen glühender Vaterlandsliebe.
„Dagegen müssen Eitelkeit, Genußsucht, Blasirtheit, Faulheit, verkehrte Erzie¬
hung und die revolutionäre Hanswursterei unter den Motiven in Rechnung
gebracht werden."

Was die Ermordung der Geiseln anlangt, so zeigt Becker, daß sie von
langer Hand her vorbereitet war, bevor sie in der letzten Woche vor dem Unter¬
gange der Kommune ausgeführt wurde. Die Zeitungen der letzteren hatten sie
wiederholt verlangt, und sie war in den Sitzungen des Kommunerathes mehr¬
mals beantragt und endlich beschlossen worden. Die Mitglieder jenes Rathes
ließen sich, wie wir sahen, von der Masse, dem Pöbel inspiriren, und dieser
forderte das Blut der Geiseln. Am 11. Mai hielt die Chapelle-Sektion des
„Revolutionsklubs" im 18. Arrondissement eine von etwa 3000 Personen be¬
suchte Versammlung ab, bei welcher nach sechs andern Punkten auch „die Hin¬
richtung eines vornehmen Geisels alle vierundzwanzig Stunden, bis der in die
Kommune gewählte Bürger Blcmqui freigelassen und in Paris angekommen
ist", beschlossen wurde, und andere Klubs faßten ähnliche Beschlüsse. Ferner
erzählt das Kommunemitglied Lissagaray*) in seiner Schrift „Acht Maitage
hinter den Barrikaden" nach dem Berichte dessen, der die Geiseln erschießen
ließ, daß derselbe „mit den nöthigen Vollmachten versehen" in die Roquette
gegangen ist und dort den Gardisten gesagt hat: „Sechs Geiseln sollen er¬
schossen werden", worauf dies geschehen. Hier haben wir das offene Einge-
ständniß, daß diese Mordthaten von der Kommune verfügt sind, und der edle
Bürger Lissagaray erzählt die Sache mit einer gewissen Genugthuung.

Hinsichtlich der Brandstiftungen liefert Becker zunächst aus den Kommune¬
papieren, die von den Regierungstruppen in den Mairien vorgefunden wurden,
schlagende Belege/ daß Petroleumbomben und andere Brandmittel bereits vor
dem Einrücken der Versailler angewendet worden sind. Diese Brandmittel
waren bei der Kommunearmee etwas Gewöhnliches, Selbstverständliches, und
die Anfertigung derselben gehörte zum Ressort des Kriegsministeriums und ge¬
schah ohne Unterbrechung. Deiudar hat die Feuersbrünste auf die Rechnung
der fremdländischen Genossen der Kommune setzen wollen. Die nicht zu leug¬
nenden Drohungen der Kommunarden, Paris werde sich eher vernichten als
ergeben, sind nach ihm bloße komödiantenhafte Rodomontaden. Das verdient
kaum eine Widerlegung, aber wir wollen sie mit Beckers Worten folgen lassen.
Der General Cluseret, der lange vor dem Auftreten der Kommune verkündet



*) Ein Schwiegersohn des Papstes der Internationale, Karl Marx in London.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/400>, abgerufen am 23.07.2024.