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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal.

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muß sie auch dieser zuletzt wieder erlangen. Cluseret wird durch die zweite
Exekutivkommission arretirt, ohne daß die Mitglieder derselben wissen, weshalb.
Der Eine behauptet dies, der Andere das. Alle aber stimmen darin überein,
daß Cluseret kein Verräther gewesen, daß er aus bloßer Vorsicht gestürzt und
eingesteckt worden ist. Nachdem er hinter Schloß und Riegel gebracht worden,
bleibt er dort wochenlang ohne Verhör. Die zweite Exekutivkommission über¬
läßt dies und alles Weitere dem ersten Wohlfahrtsausschuß, und dieser über¬
läßt es seinen Nachfolgern. Zwar ist am 8. Mai eine Untersuchungskommission
eingesetzt worden, aber dieselbe überläßt die ihr aufgetragene Enquvte einer
andern Kommission, und sie selbst kann sich, obwohl sie nur aus drei Mit¬
gliedern besteht, nicht versammeln, weil zwischen der Mehrheit und der Minderheit
der Kommune Zank ausgebrochen ist, und so bleibt der Kriegsminister der
revolutionären Pariser ohne irgend welches Verhör eingesperrt. Hinterher be¬
schuldigt man ihn, er habe nichts zu organisiren verstanden, womit man ihm
nur die permanente Unordnung und Unfähigkeit der Kommune, die jedes Orga¬
nisiren unmöglich machte, in die Schuhe schob. Die Kommune brauchte für
ihre blödsinnige Tyrannei und ihr Fiasko einen Sündenbock. Sie fördert
die Anarchie und macht Cluseret dafür verantwortlich, daß er keine Ordnung
herzustellen vermocht. Ja manche der Herren Kollegen nehmen ihn sogar für
den angeblichen Verrath seines klügeren Nachfolgers Rössel aufs Korn. Er
macht sich verdächtig, weil er in einem Kaffeehause frühstückt. Er ist dringend
verdächtig, weil er die Ermordung der "Bürgerin" Darboy nicht empfiehlt. Er
ist des verräterischen Verkehrs mit Versailles im höchsten Grade verdächtig,
weil Amerikaner sich die witzige Bemerkung erlaubt haben, daß er wohl eine
Million werth sei. Aber noch viel mehr verdächtig ist er, weil während einer
Waffenruhe, die ihm nicht angezeigt worden ist, die Truppen der Kommune
aus den Schanzgräben weggelaufen sind und die letzteren den Gegnern über¬
lassen haben. Nachdem man ihn aus bloßem Verdacht verhaftet, gibt man vor,
daß man sich dazu erst in Folge einer Depesche entschlossen habe, die er im
Unwillen über die herrschende Anarchie an die zweite Exekutivkommission ge¬
schrieben. Allerdings war auch Cluseret ein großer Thor, und so durfte er
sich eigentlich über das, was ihm von Thoren widerfuhr, nicht beklagen. Sich
zum Kriegsminister der Kommune machen zu lassen, war eine Abgeschmacktheit,
Oberbefehlshaber über Truppen sein zu wollen, welche durch die Wahl Be¬
fehlshaber ihrer Befehlshaber waren, und einen Stab zu schaffen aus Leuten,
die er nicht kannte, war eine noch schlimmere. Daß er aber selbst im Gefäng¬
nisse nicht wieder klug geworden, zeigt der Umstand, daß er sich nach seiner
Freisprechung der Kommune zu fernerer Gewogenheit empfahl.

Und nun erst die Gerichtssitzung, in der er endlich verhört wurde. Die


muß sie auch dieser zuletzt wieder erlangen. Cluseret wird durch die zweite
Exekutivkommission arretirt, ohne daß die Mitglieder derselben wissen, weshalb.
Der Eine behauptet dies, der Andere das. Alle aber stimmen darin überein,
daß Cluseret kein Verräther gewesen, daß er aus bloßer Vorsicht gestürzt und
eingesteckt worden ist. Nachdem er hinter Schloß und Riegel gebracht worden,
bleibt er dort wochenlang ohne Verhör. Die zweite Exekutivkommission über¬
läßt dies und alles Weitere dem ersten Wohlfahrtsausschuß, und dieser über¬
läßt es seinen Nachfolgern. Zwar ist am 8. Mai eine Untersuchungskommission
eingesetzt worden, aber dieselbe überläßt die ihr aufgetragene Enquvte einer
andern Kommission, und sie selbst kann sich, obwohl sie nur aus drei Mit¬
gliedern besteht, nicht versammeln, weil zwischen der Mehrheit und der Minderheit
der Kommune Zank ausgebrochen ist, und so bleibt der Kriegsminister der
revolutionären Pariser ohne irgend welches Verhör eingesperrt. Hinterher be¬
schuldigt man ihn, er habe nichts zu organisiren verstanden, womit man ihm
nur die permanente Unordnung und Unfähigkeit der Kommune, die jedes Orga¬
nisiren unmöglich machte, in die Schuhe schob. Die Kommune brauchte für
ihre blödsinnige Tyrannei und ihr Fiasko einen Sündenbock. Sie fördert
die Anarchie und macht Cluseret dafür verantwortlich, daß er keine Ordnung
herzustellen vermocht. Ja manche der Herren Kollegen nehmen ihn sogar für
den angeblichen Verrath seines klügeren Nachfolgers Rössel aufs Korn. Er
macht sich verdächtig, weil er in einem Kaffeehause frühstückt. Er ist dringend
verdächtig, weil er die Ermordung der „Bürgerin" Darboy nicht empfiehlt. Er
ist des verräterischen Verkehrs mit Versailles im höchsten Grade verdächtig,
weil Amerikaner sich die witzige Bemerkung erlaubt haben, daß er wohl eine
Million werth sei. Aber noch viel mehr verdächtig ist er, weil während einer
Waffenruhe, die ihm nicht angezeigt worden ist, die Truppen der Kommune
aus den Schanzgräben weggelaufen sind und die letzteren den Gegnern über¬
lassen haben. Nachdem man ihn aus bloßem Verdacht verhaftet, gibt man vor,
daß man sich dazu erst in Folge einer Depesche entschlossen habe, die er im
Unwillen über die herrschende Anarchie an die zweite Exekutivkommission ge¬
schrieben. Allerdings war auch Cluseret ein großer Thor, und so durfte er
sich eigentlich über das, was ihm von Thoren widerfuhr, nicht beklagen. Sich
zum Kriegsminister der Kommune machen zu lassen, war eine Abgeschmacktheit,
Oberbefehlshaber über Truppen sein zu wollen, welche durch die Wahl Be¬
fehlshaber ihrer Befehlshaber waren, und einen Stab zu schaffen aus Leuten,
die er nicht kannte, war eine noch schlimmere. Daß er aber selbst im Gefäng¬
nisse nicht wieder klug geworden, zeigt der Umstand, daß er sich nach seiner
Freisprechung der Kommune zu fernerer Gewogenheit empfahl.

Und nun erst die Gerichtssitzung, in der er endlich verhört wurde. Die


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[0397] muß sie auch dieser zuletzt wieder erlangen. Cluseret wird durch die zweite Exekutivkommission arretirt, ohne daß die Mitglieder derselben wissen, weshalb. Der Eine behauptet dies, der Andere das. Alle aber stimmen darin überein, daß Cluseret kein Verräther gewesen, daß er aus bloßer Vorsicht gestürzt und eingesteckt worden ist. Nachdem er hinter Schloß und Riegel gebracht worden, bleibt er dort wochenlang ohne Verhör. Die zweite Exekutivkommission über¬ läßt dies und alles Weitere dem ersten Wohlfahrtsausschuß, und dieser über¬ läßt es seinen Nachfolgern. Zwar ist am 8. Mai eine Untersuchungskommission eingesetzt worden, aber dieselbe überläßt die ihr aufgetragene Enquvte einer andern Kommission, und sie selbst kann sich, obwohl sie nur aus drei Mit¬ gliedern besteht, nicht versammeln, weil zwischen der Mehrheit und der Minderheit der Kommune Zank ausgebrochen ist, und so bleibt der Kriegsminister der revolutionären Pariser ohne irgend welches Verhör eingesperrt. Hinterher be¬ schuldigt man ihn, er habe nichts zu organisiren verstanden, womit man ihm nur die permanente Unordnung und Unfähigkeit der Kommune, die jedes Orga¬ nisiren unmöglich machte, in die Schuhe schob. Die Kommune brauchte für ihre blödsinnige Tyrannei und ihr Fiasko einen Sündenbock. Sie fördert die Anarchie und macht Cluseret dafür verantwortlich, daß er keine Ordnung herzustellen vermocht. Ja manche der Herren Kollegen nehmen ihn sogar für den angeblichen Verrath seines klügeren Nachfolgers Rössel aufs Korn. Er macht sich verdächtig, weil er in einem Kaffeehause frühstückt. Er ist dringend verdächtig, weil er die Ermordung der „Bürgerin" Darboy nicht empfiehlt. Er ist des verräterischen Verkehrs mit Versailles im höchsten Grade verdächtig, weil Amerikaner sich die witzige Bemerkung erlaubt haben, daß er wohl eine Million werth sei. Aber noch viel mehr verdächtig ist er, weil während einer Waffenruhe, die ihm nicht angezeigt worden ist, die Truppen der Kommune aus den Schanzgräben weggelaufen sind und die letzteren den Gegnern über¬ lassen haben. Nachdem man ihn aus bloßem Verdacht verhaftet, gibt man vor, daß man sich dazu erst in Folge einer Depesche entschlossen habe, die er im Unwillen über die herrschende Anarchie an die zweite Exekutivkommission ge¬ schrieben. Allerdings war auch Cluseret ein großer Thor, und so durfte er sich eigentlich über das, was ihm von Thoren widerfuhr, nicht beklagen. Sich zum Kriegsminister der Kommune machen zu lassen, war eine Abgeschmacktheit, Oberbefehlshaber über Truppen sein zu wollen, welche durch die Wahl Be¬ fehlshaber ihrer Befehlshaber waren, und einen Stab zu schaffen aus Leuten, die er nicht kannte, war eine noch schlimmere. Daß er aber selbst im Gefäng¬ nisse nicht wieder klug geworden, zeigt der Umstand, daß er sich nach seiner Freisprechung der Kommune zu fernerer Gewogenheit empfahl. Und nun erst die Gerichtssitzung, in der er endlich verhört wurde. Die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/397>, abgerufen am 23.07.2024.