Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal.Einen halten sie für eine einfache parlamentarische Versammlung, den Andern Wird die Kommune aufgefordert, sich lediglich als politische Versammlung Einen halten sie für eine einfache parlamentarische Versammlung, den Andern Wird die Kommune aufgefordert, sich lediglich als politische Versammlung <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0398" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/143453"/> <p xml:id="ID_1178" prev="#ID_1177"> Einen halten sie für eine einfache parlamentarische Versammlung, den Andern<lb/> ist sie ein hoher Gerichtshof, wieder Andern eine Körperschaft von lauter Staats¬<lb/> männern. Keine Anklage, sondern ein zusammenhangsloser Bericht, kein öffent¬<lb/> licher Ankläger, sondern ein Berichterstatter, kein regelmäßiges Verfahren, son¬<lb/> dern eine weitläufige Diskussion, eine gehässige Reibung zwischen Mehrheit<lb/> und Minderheit, Enquvte-Kommission und Exekutiv-Kommission, endlich weder<lb/> Geschworne noch Richter. Zeugenverhör gibt's nicht. Gerade der Hauptankläger<lb/> Delescluze, der durch seine ränkevolle Beschuldigung den, seinen diktatorischen<lb/> Gelüsten im Wege stehenden Kriegsminister beseitigt hat, ist bei der Verhand¬<lb/> lung gar nicht erschienen. Obwohl die Kommune nichts von Militärsachen<lb/> versteht, naße sie sich an, auch den militärischen Theil der Beschuldigungen<lb/> Cluserets zu beurtheile». Derselbe hat sich schließlich über Dinge zu verant¬<lb/> worten, die mit seiner Thätigkeit als Kriegsminister nicht das Mindeste zu<lb/> schaffen haben: wegen seines Verhaltens in Lyon und Marseille, wegen seines<lb/> Verhältnisses zu der separatistischen Bewegung Savoyens und der Schweiz, wegen<lb/> der Rolle, die er vor Jahren unter den amerikanischen Feniern gespielt, wegen<lb/> einer Klatscherei, nach welcher er, ebenfalls Jahre vorher, eine Annäherung an<lb/> die Orleans gesucht haben soll.</p><lb/> <p xml:id="ID_1179" next="#ID_1180"> Wird die Kommune aufgefordert, sich lediglich als politische Versammlung<lb/> zu benehmen, so ahmt sie affenartig den alten Konvent beim Prozesse Lud¬<lb/> wigs XVI. nach, und es schweben ihr die Worte Robespierres vor: „Ludwig<lb/> ist kein Angeklagter, ihr seid keine Richter. Ihr könnt nur Staatsmänner, nur<lb/> die Vertreter der Nation sein. Ihr habt keinen Richterspruch zu fällen, son¬<lb/> dern nur eine Maßregel des öffentlichen Wohles zu ergreifen." So wollte<lb/> ein Theil der Kommunarden im Prozesse Cluserets gleichfalls den Staatsmann<lb/> spielen. So bemerkt der Staatsmann Vaillant: „Die Klugheit gebietet uns,<lb/> Cluseret bis zum Ende des Krieges zu verwahren", und die Staatsmänner<lb/> Arnold und Dupont, sowie der politische Schuster Trinquet stimmen ihm bei,<lb/> indem sie ihr Votum dahin abgeben: „Der Bürger Cluseret wird im Zustande<lb/> des Verhaftetseins erhalten bis zum Ende der gegenwärtigen militärischen Er¬<lb/> eignisse, weil es im Interesse der öffentlichen Wohlfahrt liegt, seine Einspa¬<lb/> rung fortbestehen zu lassen." Der große Staatsmann Paschal Grousset stellt<lb/> die Regel auf: „In revolutionären Zeiten setzt man einen Kriegsminister nicht<lb/> ab; nein, man steckt ihn ein — früher erschoß man ihn." Der Staatsmann<lb/> Leo Fränkel, ein kosmopolitisches Jüdchen, das bei dem großen Pariser Knddel-<lb/> muddel nicht fehlen durfte, schwatzt dem nach: „Aber wenn in revolutionären<lb/> Zeiten ein General die ihm anvertrauten Interessen gefährdet, so muß man<lb/> ihn immer arretiren." Nur der Arzt Rastoul protestirt gegen solche jesuitische<lb/> Grundsätze. Die Andern sind sämmtlich überzeugt, daß man einen Menschen</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0398]
Einen halten sie für eine einfache parlamentarische Versammlung, den Andern
ist sie ein hoher Gerichtshof, wieder Andern eine Körperschaft von lauter Staats¬
männern. Keine Anklage, sondern ein zusammenhangsloser Bericht, kein öffent¬
licher Ankläger, sondern ein Berichterstatter, kein regelmäßiges Verfahren, son¬
dern eine weitläufige Diskussion, eine gehässige Reibung zwischen Mehrheit
und Minderheit, Enquvte-Kommission und Exekutiv-Kommission, endlich weder
Geschworne noch Richter. Zeugenverhör gibt's nicht. Gerade der Hauptankläger
Delescluze, der durch seine ränkevolle Beschuldigung den, seinen diktatorischen
Gelüsten im Wege stehenden Kriegsminister beseitigt hat, ist bei der Verhand¬
lung gar nicht erschienen. Obwohl die Kommune nichts von Militärsachen
versteht, naße sie sich an, auch den militärischen Theil der Beschuldigungen
Cluserets zu beurtheile». Derselbe hat sich schließlich über Dinge zu verant¬
worten, die mit seiner Thätigkeit als Kriegsminister nicht das Mindeste zu
schaffen haben: wegen seines Verhaltens in Lyon und Marseille, wegen seines
Verhältnisses zu der separatistischen Bewegung Savoyens und der Schweiz, wegen
der Rolle, die er vor Jahren unter den amerikanischen Feniern gespielt, wegen
einer Klatscherei, nach welcher er, ebenfalls Jahre vorher, eine Annäherung an
die Orleans gesucht haben soll.
Wird die Kommune aufgefordert, sich lediglich als politische Versammlung
zu benehmen, so ahmt sie affenartig den alten Konvent beim Prozesse Lud¬
wigs XVI. nach, und es schweben ihr die Worte Robespierres vor: „Ludwig
ist kein Angeklagter, ihr seid keine Richter. Ihr könnt nur Staatsmänner, nur
die Vertreter der Nation sein. Ihr habt keinen Richterspruch zu fällen, son¬
dern nur eine Maßregel des öffentlichen Wohles zu ergreifen." So wollte
ein Theil der Kommunarden im Prozesse Cluserets gleichfalls den Staatsmann
spielen. So bemerkt der Staatsmann Vaillant: „Die Klugheit gebietet uns,
Cluseret bis zum Ende des Krieges zu verwahren", und die Staatsmänner
Arnold und Dupont, sowie der politische Schuster Trinquet stimmen ihm bei,
indem sie ihr Votum dahin abgeben: „Der Bürger Cluseret wird im Zustande
des Verhaftetseins erhalten bis zum Ende der gegenwärtigen militärischen Er¬
eignisse, weil es im Interesse der öffentlichen Wohlfahrt liegt, seine Einspa¬
rung fortbestehen zu lassen." Der große Staatsmann Paschal Grousset stellt
die Regel auf: „In revolutionären Zeiten setzt man einen Kriegsminister nicht
ab; nein, man steckt ihn ein — früher erschoß man ihn." Der Staatsmann
Leo Fränkel, ein kosmopolitisches Jüdchen, das bei dem großen Pariser Knddel-
muddel nicht fehlen durfte, schwatzt dem nach: „Aber wenn in revolutionären
Zeiten ein General die ihm anvertrauten Interessen gefährdet, so muß man
ihn immer arretiren." Nur der Arzt Rastoul protestirt gegen solche jesuitische
Grundsätze. Die Andern sind sämmtlich überzeugt, daß man einen Menschen
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