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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal.

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Typus für das Romcmheldenthum in allen Theilen ist Ferdinand Lassalle.
Wie still gewaltig erscheint solchen Himmelsstürmern gegenüber die weise Be¬
sonnenheit, die Thatkraft und das Pflichtgefühl von Männern wie der große
Kurfürst, Wilhelm von Oranien, Friedrich der Große, Kaiser Wilhelm I. und
der Mann zweier Jahrhunderte, der Mann der Pflicht und des kategorischen
Imperativs, Immanuel Kant!

Das Romanheldenthum ist eine Gefahr speziell für unsre Zeit. Alle die¬
jenigen, welche den Glauben an die alten Autoritäten verloren und an deren
Stelle noch keine konkrete neue Auffassung und Anschauung der Dinge gesetzt
haben, müssen zum Romanheldenthum hinneigen, d. h. der weitaus größte Theil
der gegenwärtig lebenden Generation. Gewöhnlich werden allerlei schönklingende
Maximen, Vorbilder und auf das Gemüth wirkende Hyperideale als Lebens¬
ziele aufgestellt. Da sind die Gesundheitsenthusiasten, die aesthetischen Kunst¬
apostel, die moralischen Redegreise, mit dem Egoismus und dem Hochmuth im
Nacken, da sind die frauenhaften Humanisten vom Wahren, Guten und Schönen,
von der Idee der Menschheit, die verkörpert werden soll, da sind endlich die
süßen, mattherziger Pietisten, die immer den "getreuen Herrn Jesus" im Munde
führen, wortreich, aber thatenarm, demüthig nach ihrer Meinung, aber hoch-
müthig in der That, voll Selbstgefälligkeit über ihre "guten Werke", aber selten
ohne Nebenabsicht, wenn auch unklar, für ihr Interesse oder ihre Eitelkeit.
Unsere Literatur wimmelt von sentimentalen Romanheldenliedern. Der deutsche
Bursche schwelgt darin in trunkener Schwärmerei. Er singt zu Thränen ge¬
rührt: "Ich hab' daheim ein Liebchen wie eine Tanne schlank", und dann
kommt er nach Hause, läßt sein Liebchen sitzen, und seine Habsucht und Würde-
losigkeit heirathet eine bucklichte Alte. Nur ein Mann, der sein Handeln nach
Grundsätzen der Pflicht bestimmt, hat eine Würde, der Romanheld ist würdelos.

Wer sich mit der Vergangenheit des vaterländischen Geisteslebens ernstlich
beschäftigt hat, wer z. B. nur die unfläthigen Schandschriften kennt, die noch
zu Ende des vorigen und zu Anfange dieses Jahrhunderts massenweise gegen
die edelsten Männer unseres Volkes verbreitet und gierig gelesen wurden, der
kann sich über die Größe und den Umfang dieser Würdelosigkeit nicht täuschen,
ja er möchte fast der Behauptung Recht geben, die da meint, daß eine starke
Dosis von Gemeinheit anscheinend unausrottbar dem Charakter unseres Volkes
beigemischt sei.*) Mit der schamlosesten nationalen Würdelosigkeit verbanden
sich die unbegreiflichsten Attentate auf unsere vaterländischen Geistesheroen, wie
denn das Ueberschätzen des Fremden und das Herabsetzen des Vaterländischen
recht eigentlich Ausfluß solcher Gesinnung ist. Was soll man dazu sagen,



') H. Abbe, Das Stadttheater in Hamburg 1827--1877. Stuttgart, Cotta.

Typus für das Romcmheldenthum in allen Theilen ist Ferdinand Lassalle.
Wie still gewaltig erscheint solchen Himmelsstürmern gegenüber die weise Be¬
sonnenheit, die Thatkraft und das Pflichtgefühl von Männern wie der große
Kurfürst, Wilhelm von Oranien, Friedrich der Große, Kaiser Wilhelm I. und
der Mann zweier Jahrhunderte, der Mann der Pflicht und des kategorischen
Imperativs, Immanuel Kant!

Das Romanheldenthum ist eine Gefahr speziell für unsre Zeit. Alle die¬
jenigen, welche den Glauben an die alten Autoritäten verloren und an deren
Stelle noch keine konkrete neue Auffassung und Anschauung der Dinge gesetzt
haben, müssen zum Romanheldenthum hinneigen, d. h. der weitaus größte Theil
der gegenwärtig lebenden Generation. Gewöhnlich werden allerlei schönklingende
Maximen, Vorbilder und auf das Gemüth wirkende Hyperideale als Lebens¬
ziele aufgestellt. Da sind die Gesundheitsenthusiasten, die aesthetischen Kunst¬
apostel, die moralischen Redegreise, mit dem Egoismus und dem Hochmuth im
Nacken, da sind die frauenhaften Humanisten vom Wahren, Guten und Schönen,
von der Idee der Menschheit, die verkörpert werden soll, da sind endlich die
süßen, mattherziger Pietisten, die immer den „getreuen Herrn Jesus" im Munde
führen, wortreich, aber thatenarm, demüthig nach ihrer Meinung, aber hoch-
müthig in der That, voll Selbstgefälligkeit über ihre „guten Werke", aber selten
ohne Nebenabsicht, wenn auch unklar, für ihr Interesse oder ihre Eitelkeit.
Unsere Literatur wimmelt von sentimentalen Romanheldenliedern. Der deutsche
Bursche schwelgt darin in trunkener Schwärmerei. Er singt zu Thränen ge¬
rührt: „Ich hab' daheim ein Liebchen wie eine Tanne schlank", und dann
kommt er nach Hause, läßt sein Liebchen sitzen, und seine Habsucht und Würde-
losigkeit heirathet eine bucklichte Alte. Nur ein Mann, der sein Handeln nach
Grundsätzen der Pflicht bestimmt, hat eine Würde, der Romanheld ist würdelos.

Wer sich mit der Vergangenheit des vaterländischen Geisteslebens ernstlich
beschäftigt hat, wer z. B. nur die unfläthigen Schandschriften kennt, die noch
zu Ende des vorigen und zu Anfange dieses Jahrhunderts massenweise gegen
die edelsten Männer unseres Volkes verbreitet und gierig gelesen wurden, der
kann sich über die Größe und den Umfang dieser Würdelosigkeit nicht täuschen,
ja er möchte fast der Behauptung Recht geben, die da meint, daß eine starke
Dosis von Gemeinheit anscheinend unausrottbar dem Charakter unseres Volkes
beigemischt sei.*) Mit der schamlosesten nationalen Würdelosigkeit verbanden
sich die unbegreiflichsten Attentate auf unsere vaterländischen Geistesheroen, wie
denn das Ueberschätzen des Fremden und das Herabsetzen des Vaterländischen
recht eigentlich Ausfluß solcher Gesinnung ist. Was soll man dazu sagen,



') H. Abbe, Das Stadttheater in Hamburg 1827—1877. Stuttgart, Cotta.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/321>, abgerufen am 26.08.2024.