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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal.

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Thiere und Menschen sehnen, von ferne aussehen. Das ist nicht mehr euro¬
päische, es ist afrikanische Landschaft! Neben unserm Wege, rechts und links,
fing das Land sich zu beleben an. Hie und da ein niedriges, fast fensterloses,
aber blendend weiß getünchtes Haus ohne sichtbare Bedachung, oder an deren
Stelle eine runde, weißgetünchte Kuppel tragend, gleich einem Backofen, eine
lichte Gruppe hochragender, schlanker Palmen ringsum -- arabische Bauart.

Jetzt war auch die Erde wieder grün, überall sproßten Blumen, und
Mandel- und Oelbäume traten an die Straße heran. Rasch näherten wir uns
jenem dunklen Streifen, bis er dann plötzlich vor uns stand -- ein lichtes Ge¬
wirre alles überragender schlanker Stämme, die oben in mächtige, dunkelgrüne
Blattkronen ausliefen. So ritten wir in die Straßen von Elche ein -- es war
9 Uhr morgens -- und schickten uns an, die Stadt und ihren Palmenwald zu
durchwandern.

Schon früher hatte ich Palmen gesehen, in einzelnen mageren Exemplaren
an der Riviera von Genua, in Rom, in der Campagna von Neapel; ich hatte
sie damals angestaunt, als etwas Fremdartiges, Geheimnißvolles -- schön
hatte ich sie nicht gefunden. In einem Garten bei Barcelona waren mir
niedrige, kaum doppeltmannshohe, dickstöckige Exemplare begegnet, und ich hatte
von ihren frischen Früchten gekostet. Noch wenige Tage vorher erst war ich
am Hafen von Alicante, den eine wohl über eine Viertelstunde lange vierfache
Palmenallee einschließt, hingeschleudert, auf der vielgerühmten ?Wsc> Ah ig,
marine. Aber da waren die Palmen noch jung, dickstrunkig, reich an Blättern,
nicht höher als jene in Barcelona, und schön an ihnen war nur, daß sie ihr
dichtes Laubwerk, die langen, vielgeschlitzten Wedel, oben zu einem spitzbogen¬
artigen Laubengänge zusammenwölbten, der bei der heißen Februarsonne an¬
genehme Kühlung spendete. Was ich in Elche sah, war mit alledem gar nicht
zu vergleichen, es war eine ganz andere Baumgestalt, etwas noch nie Geschautes.

Die Lage und Bauart von Elche, einer Stadt von 20000 Einwohnern,
ist höchst eigenthümlich. Mit Ausnahme des Hauptplatzes -- der natürlich
?lWg, as vonstituLioQ heißt -- und an welchem die hohe Kathedrale, ein
ehrwürdiger Bau des 16. Jahrhunderts, emporragt, stehen alle Häuser fast
regellos und einzeln im Grünen, alle niedrig, blendend weiß getüncht, fast
fensterlos und scheinbar dachlos, und alle insgesammt von den Riesenkronen
der Palmen überragt. Den Hauptplatz aber umsäumen andere, hier für sehr
selten angestaunte Bäume: unsere Ulme und Esche. In dieser Jahreszeit
blätterlos, erschienen sie mir inmitten dieser Vegetationspracht als ein doppeltes
Armuthszeugniß unseres nordischen Klimas.

Unser erster Gang galt dem Thurme der Kathedrale. Man steht da oben
im heitern Sonnenglanze und schaut über alle die dunkelgrünen Palmengipfel


Thiere und Menschen sehnen, von ferne aussehen. Das ist nicht mehr euro¬
päische, es ist afrikanische Landschaft! Neben unserm Wege, rechts und links,
fing das Land sich zu beleben an. Hie und da ein niedriges, fast fensterloses,
aber blendend weiß getünchtes Haus ohne sichtbare Bedachung, oder an deren
Stelle eine runde, weißgetünchte Kuppel tragend, gleich einem Backofen, eine
lichte Gruppe hochragender, schlanker Palmen ringsum — arabische Bauart.

Jetzt war auch die Erde wieder grün, überall sproßten Blumen, und
Mandel- und Oelbäume traten an die Straße heran. Rasch näherten wir uns
jenem dunklen Streifen, bis er dann plötzlich vor uns stand — ein lichtes Ge¬
wirre alles überragender schlanker Stämme, die oben in mächtige, dunkelgrüne
Blattkronen ausliefen. So ritten wir in die Straßen von Elche ein — es war
9 Uhr morgens — und schickten uns an, die Stadt und ihren Palmenwald zu
durchwandern.

Schon früher hatte ich Palmen gesehen, in einzelnen mageren Exemplaren
an der Riviera von Genua, in Rom, in der Campagna von Neapel; ich hatte
sie damals angestaunt, als etwas Fremdartiges, Geheimnißvolles — schön
hatte ich sie nicht gefunden. In einem Garten bei Barcelona waren mir
niedrige, kaum doppeltmannshohe, dickstöckige Exemplare begegnet, und ich hatte
von ihren frischen Früchten gekostet. Noch wenige Tage vorher erst war ich
am Hafen von Alicante, den eine wohl über eine Viertelstunde lange vierfache
Palmenallee einschließt, hingeschleudert, auf der vielgerühmten ?Wsc> Ah ig,
marine. Aber da waren die Palmen noch jung, dickstrunkig, reich an Blättern,
nicht höher als jene in Barcelona, und schön an ihnen war nur, daß sie ihr
dichtes Laubwerk, die langen, vielgeschlitzten Wedel, oben zu einem spitzbogen¬
artigen Laubengänge zusammenwölbten, der bei der heißen Februarsonne an¬
genehme Kühlung spendete. Was ich in Elche sah, war mit alledem gar nicht
zu vergleichen, es war eine ganz andere Baumgestalt, etwas noch nie Geschautes.

Die Lage und Bauart von Elche, einer Stadt von 20000 Einwohnern,
ist höchst eigenthümlich. Mit Ausnahme des Hauptplatzes — der natürlich
?lWg, as vonstituLioQ heißt — und an welchem die hohe Kathedrale, ein
ehrwürdiger Bau des 16. Jahrhunderts, emporragt, stehen alle Häuser fast
regellos und einzeln im Grünen, alle niedrig, blendend weiß getüncht, fast
fensterlos und scheinbar dachlos, und alle insgesammt von den Riesenkronen
der Palmen überragt. Den Hauptplatz aber umsäumen andere, hier für sehr
selten angestaunte Bäume: unsere Ulme und Esche. In dieser Jahreszeit
blätterlos, erschienen sie mir inmitten dieser Vegetationspracht als ein doppeltes
Armuthszeugniß unseres nordischen Klimas.

Unser erster Gang galt dem Thurme der Kathedrale. Man steht da oben
im heitern Sonnenglanze und schaut über alle die dunkelgrünen Palmengipfel


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[0294] Thiere und Menschen sehnen, von ferne aussehen. Das ist nicht mehr euro¬ päische, es ist afrikanische Landschaft! Neben unserm Wege, rechts und links, fing das Land sich zu beleben an. Hie und da ein niedriges, fast fensterloses, aber blendend weiß getünchtes Haus ohne sichtbare Bedachung, oder an deren Stelle eine runde, weißgetünchte Kuppel tragend, gleich einem Backofen, eine lichte Gruppe hochragender, schlanker Palmen ringsum — arabische Bauart. Jetzt war auch die Erde wieder grün, überall sproßten Blumen, und Mandel- und Oelbäume traten an die Straße heran. Rasch näherten wir uns jenem dunklen Streifen, bis er dann plötzlich vor uns stand — ein lichtes Ge¬ wirre alles überragender schlanker Stämme, die oben in mächtige, dunkelgrüne Blattkronen ausliefen. So ritten wir in die Straßen von Elche ein — es war 9 Uhr morgens — und schickten uns an, die Stadt und ihren Palmenwald zu durchwandern. Schon früher hatte ich Palmen gesehen, in einzelnen mageren Exemplaren an der Riviera von Genua, in Rom, in der Campagna von Neapel; ich hatte sie damals angestaunt, als etwas Fremdartiges, Geheimnißvolles — schön hatte ich sie nicht gefunden. In einem Garten bei Barcelona waren mir niedrige, kaum doppeltmannshohe, dickstöckige Exemplare begegnet, und ich hatte von ihren frischen Früchten gekostet. Noch wenige Tage vorher erst war ich am Hafen von Alicante, den eine wohl über eine Viertelstunde lange vierfache Palmenallee einschließt, hingeschleudert, auf der vielgerühmten ?Wsc> Ah ig, marine. Aber da waren die Palmen noch jung, dickstrunkig, reich an Blättern, nicht höher als jene in Barcelona, und schön an ihnen war nur, daß sie ihr dichtes Laubwerk, die langen, vielgeschlitzten Wedel, oben zu einem spitzbogen¬ artigen Laubengänge zusammenwölbten, der bei der heißen Februarsonne an¬ genehme Kühlung spendete. Was ich in Elche sah, war mit alledem gar nicht zu vergleichen, es war eine ganz andere Baumgestalt, etwas noch nie Geschautes. Die Lage und Bauart von Elche, einer Stadt von 20000 Einwohnern, ist höchst eigenthümlich. Mit Ausnahme des Hauptplatzes — der natürlich ?lWg, as vonstituLioQ heißt — und an welchem die hohe Kathedrale, ein ehrwürdiger Bau des 16. Jahrhunderts, emporragt, stehen alle Häuser fast regellos und einzeln im Grünen, alle niedrig, blendend weiß getüncht, fast fensterlos und scheinbar dachlos, und alle insgesammt von den Riesenkronen der Palmen überragt. Den Hauptplatz aber umsäumen andere, hier für sehr selten angestaunte Bäume: unsere Ulme und Esche. In dieser Jahreszeit blätterlos, erschienen sie mir inmitten dieser Vegetationspracht als ein doppeltes Armuthszeugniß unseres nordischen Klimas. Unser erster Gang galt dem Thurme der Kathedrale. Man steht da oben im heitern Sonnenglanze und schaut über alle die dunkelgrünen Palmengipfel

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/294>, abgerufen am 23.07.2024.