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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal.

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Hier, im Häuschen gegen den englischen Garten hin, fand ich Kürnberger
nun einquartiert, Frau v. Kaulbach hatte dem vieljährigen Freunde ihres ver¬
storbenen Gatten die Wohnung eingeräumt. Er konnte es nirgendwo besser
haben. Er konnte sich im Garten ergehen und that es. Er hatte auch noch
die Kraft, einen ziemlichen Weg zu machen, um im Kaffeehause unter den
Arkaden die Zeitungen zu lesen. Täglich sprach er von der Heimreise, die
er antreten wollte, wenn er nur erst ein wenig wieder zu Kräften gekommen.
Indeß ging es mit ihm abwärts und abwärts, endlich wurde er bettlägerig.
Der herbeigekommene Arzt diagnostizirte eine Rippenfellentzündung.

Kürnberger gehörte zu den Kranken, die "schwer zu heilen sind". Man
brauchte viel Geduld bei ihm. Er war schon als Gesunder pedantisch und
rechthaberisch, die Krankheit schärfte diese Eigenheiten. Frau v. Kaulbach, die
täglich mehrere Mal an seinem Bette erschien, hat da eine unendliche Nachsicht
bewähren müssen.

Ich war zum zweiten Mal nach München gekommen und besuchte den Patien¬
ten von Mitte September an eine Woche lang täglich. Die Krankheit machte
rasche Fortschritte. Das hohe kuppelförmige Vorderhaupt sah schon gespenstig
aus, die Stimme war matter denn zuvor. Doch hatte er noch die Kraft,
mir ein paar lange Briefe an Freunde zu diktiren.

Als ich ihn verließ, wußte ich, daß er nicht mehr lange unter den Leben¬
den sein werde. Er hatte mit einem Zitat von vier Versen des alten Simon
Dach von mir Abschied genommen.

In der letzten Woche seiner Krankheit ließ er die wenigen Werthpapiere,
die er besaß, verkaufen. Das durch ein arbeitsames Leben erworbene Ver¬
mögen eines deutschen Schriftstellers ersten Ranges betrug nicht ganz tausend
Thaler! Frau v. Kaulbach sollte über die Summe verfügen. Als sie ihm
sagte, wie viel es sei, rief er aus: "Gottlob, nun sterbe ich doch nicht als
Bettler!"

Mit diesem Ausruf war viel gesagt. Die Sorge vor einer Zeit, in der
er arbeitsunfähig werden könne, hatte wie ein Gespenst vor seiner Seele ge¬
standen. Er freute sich, daß sein Leben eher zu Ende ging, als sein Spar¬
pfennig.

Er sah noch seinen Freund Sembera aus Wien, den Redakteur des Tage¬
blattes, den die Sorge herbeigerufen, bei sich und trug diesem die letzten Grüße
an seine Freunde auf.

Erst auf dem Sezirtisch decouvrirte die Krankheit, die so viele Phasen
durchgemacht, ihr wahres Gesicht. Kürnberger war an einer Herzverfettung
gestorben, einer selten vorkommenden und kaum zu diagnostizirenden Krankheit,
über deren Entstehungsgrund wenig bekannt ist. --


Hier, im Häuschen gegen den englischen Garten hin, fand ich Kürnberger
nun einquartiert, Frau v. Kaulbach hatte dem vieljährigen Freunde ihres ver¬
storbenen Gatten die Wohnung eingeräumt. Er konnte es nirgendwo besser
haben. Er konnte sich im Garten ergehen und that es. Er hatte auch noch
die Kraft, einen ziemlichen Weg zu machen, um im Kaffeehause unter den
Arkaden die Zeitungen zu lesen. Täglich sprach er von der Heimreise, die
er antreten wollte, wenn er nur erst ein wenig wieder zu Kräften gekommen.
Indeß ging es mit ihm abwärts und abwärts, endlich wurde er bettlägerig.
Der herbeigekommene Arzt diagnostizirte eine Rippenfellentzündung.

Kürnberger gehörte zu den Kranken, die „schwer zu heilen sind". Man
brauchte viel Geduld bei ihm. Er war schon als Gesunder pedantisch und
rechthaberisch, die Krankheit schärfte diese Eigenheiten. Frau v. Kaulbach, die
täglich mehrere Mal an seinem Bette erschien, hat da eine unendliche Nachsicht
bewähren müssen.

Ich war zum zweiten Mal nach München gekommen und besuchte den Patien¬
ten von Mitte September an eine Woche lang täglich. Die Krankheit machte
rasche Fortschritte. Das hohe kuppelförmige Vorderhaupt sah schon gespenstig
aus, die Stimme war matter denn zuvor. Doch hatte er noch die Kraft,
mir ein paar lange Briefe an Freunde zu diktiren.

Als ich ihn verließ, wußte ich, daß er nicht mehr lange unter den Leben¬
den sein werde. Er hatte mit einem Zitat von vier Versen des alten Simon
Dach von mir Abschied genommen.

In der letzten Woche seiner Krankheit ließ er die wenigen Werthpapiere,
die er besaß, verkaufen. Das durch ein arbeitsames Leben erworbene Ver¬
mögen eines deutschen Schriftstellers ersten Ranges betrug nicht ganz tausend
Thaler! Frau v. Kaulbach sollte über die Summe verfügen. Als sie ihm
sagte, wie viel es sei, rief er aus: „Gottlob, nun sterbe ich doch nicht als
Bettler!"

Mit diesem Ausruf war viel gesagt. Die Sorge vor einer Zeit, in der
er arbeitsunfähig werden könne, hatte wie ein Gespenst vor seiner Seele ge¬
standen. Er freute sich, daß sein Leben eher zu Ende ging, als sein Spar¬
pfennig.

Er sah noch seinen Freund Sembera aus Wien, den Redakteur des Tage¬
blattes, den die Sorge herbeigerufen, bei sich und trug diesem die letzten Grüße
an seine Freunde auf.

Erst auf dem Sezirtisch decouvrirte die Krankheit, die so viele Phasen
durchgemacht, ihr wahres Gesicht. Kürnberger war an einer Herzverfettung
gestorben, einer selten vorkommenden und kaum zu diagnostizirenden Krankheit,
über deren Entstehungsgrund wenig bekannt ist. —


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/290>, abgerufen am 23.07.2024.