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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal.

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Kürnberger ist ein hochsinniger, aber kein glücklicher Mensch gewesen. Sein
Lebenlang ist er trotz angestrengter Arbeit und riesigen Fleißes aus Sorgen und
Entbehrungen nicht herausgekommen. Er sah Talente gefeiert und zur allge¬
meinen Anerkennung durchdringen, die im Vergleich zu ihm Zwerge waren. Er
gab sich die Miene, als ob er den Ruhm und die Glücksgüter verachte, aber
der Undank der Welt that ihm wehe. Er erschien rauh und borstig; dennoch
muß er eine gar weiche Ader in sich gehabt haben. So legte er das Sekretariat
der Schillerstiftung, das ihm 600 Gulden eintrug -- für ihn welche wünschens-
werthe Subvention! -- nieder, weil er, wie er mir sagte, das Lesen so vieler
Drangbriefe nicht ertrug, die eine Noth enthüllten, der nicht zu helfen war, und
die abschlägig beschieden werden mußten. Er war sehr stolz und vom ausge¬
prägtesten Unabhängigkeitsgefühl. Die Gunst der Mächtigen hat er nie gesucht,
nie verlangt. Gewohnt, seine geistige Ueberlegenheit zur Schau zu tragen, ver¬
letzte er viele Leute, brüskirte Viele: er war ja der abgesagteste Feind der
Reklame und aller unwürdigen Mittel. Er konnte aber auch, wo er Vortreff¬
liches sah, völlig aufleben und lobte dann beredt, enthusiastisch.

Er blieb sich immer gleich, zu keiner Konzession geneigt. Als die Mosen-
thal-Stiftung ihm eine Subvention anbot, lehnte er sie ab: "Wissen denn die
Herren nicht, wie ich über Mosenthal geschrieben habe?" Zuletzt wurde er ein
Einsiedler und zog sich in seine Zelle zurück, aus der er der Welt meist nur
zornige Worte zurief, doch er fand seinen Genuß darin, seinem innerlich reichen
Gedankenleben nachzuhängen, der Forschung über alle Dinge; das genügte ihm.
Die einzige Freude, die er noch hatte, war, wenn man so sagen darf, die Freude
an seinem eigenen Kopfe, diesem Kopfe, der so fruchtbar, ein perlender Quell
von Einfüllen und Gedanken war. "Was ich doch," schreibt er in einem Briefe,
"der Einsamkeit für Schätze verdanke, wie oft ich in Wonne aufleuchte und aus¬
strahle, wenn ich so auf meinem Kopfe liege, wie das lebt, klingt, flutet, stürmt,
lacht, fliegt; welche unbewußte Kräfte mir da zum Bewußtsein kommen; die
dramatischen Scenen, die ich da durchspiele, die schäumenden und moussirenden
Selbstunterhaltungen, die wie Sauerbrunnen aus dem Boden aufgehen, wie
alle Gedanken die schönsten, alle Ausdrücke die unglaublichsten, überraschendsten,
bestgesagten, lauter Blitzschläge und Genietreffer sind -- ach warum steht
kein unsichtbarer Apparat von Naturselbstdruck im Zimmer, der das alles fixirte,
was in der einsamen Hirnschale vorgeht?! Dichten läßt sich das nicht, kein
Dichter der Welt kann nur den hundertsten Theil niederschreiben, was ihm die
Einsamkeit an Dichtungen schenkt."

So war er, und das ist nun alles dahin! Das Schicksal ist erbarmungslos;
in seiner höchsten Fülle, auf seinem Höhepunkt angelangt, mußte dies alles zu
Grunde gehen! -- Man wird jetzt seine Schriften -- auch die verschollenen --


Kürnberger ist ein hochsinniger, aber kein glücklicher Mensch gewesen. Sein
Lebenlang ist er trotz angestrengter Arbeit und riesigen Fleißes aus Sorgen und
Entbehrungen nicht herausgekommen. Er sah Talente gefeiert und zur allge¬
meinen Anerkennung durchdringen, die im Vergleich zu ihm Zwerge waren. Er
gab sich die Miene, als ob er den Ruhm und die Glücksgüter verachte, aber
der Undank der Welt that ihm wehe. Er erschien rauh und borstig; dennoch
muß er eine gar weiche Ader in sich gehabt haben. So legte er das Sekretariat
der Schillerstiftung, das ihm 600 Gulden eintrug — für ihn welche wünschens-
werthe Subvention! — nieder, weil er, wie er mir sagte, das Lesen so vieler
Drangbriefe nicht ertrug, die eine Noth enthüllten, der nicht zu helfen war, und
die abschlägig beschieden werden mußten. Er war sehr stolz und vom ausge¬
prägtesten Unabhängigkeitsgefühl. Die Gunst der Mächtigen hat er nie gesucht,
nie verlangt. Gewohnt, seine geistige Ueberlegenheit zur Schau zu tragen, ver¬
letzte er viele Leute, brüskirte Viele: er war ja der abgesagteste Feind der
Reklame und aller unwürdigen Mittel. Er konnte aber auch, wo er Vortreff¬
liches sah, völlig aufleben und lobte dann beredt, enthusiastisch.

Er blieb sich immer gleich, zu keiner Konzession geneigt. Als die Mosen-
thal-Stiftung ihm eine Subvention anbot, lehnte er sie ab: „Wissen denn die
Herren nicht, wie ich über Mosenthal geschrieben habe?" Zuletzt wurde er ein
Einsiedler und zog sich in seine Zelle zurück, aus der er der Welt meist nur
zornige Worte zurief, doch er fand seinen Genuß darin, seinem innerlich reichen
Gedankenleben nachzuhängen, der Forschung über alle Dinge; das genügte ihm.
Die einzige Freude, die er noch hatte, war, wenn man so sagen darf, die Freude
an seinem eigenen Kopfe, diesem Kopfe, der so fruchtbar, ein perlender Quell
von Einfüllen und Gedanken war. „Was ich doch," schreibt er in einem Briefe,
„der Einsamkeit für Schätze verdanke, wie oft ich in Wonne aufleuchte und aus¬
strahle, wenn ich so auf meinem Kopfe liege, wie das lebt, klingt, flutet, stürmt,
lacht, fliegt; welche unbewußte Kräfte mir da zum Bewußtsein kommen; die
dramatischen Scenen, die ich da durchspiele, die schäumenden und moussirenden
Selbstunterhaltungen, die wie Sauerbrunnen aus dem Boden aufgehen, wie
alle Gedanken die schönsten, alle Ausdrücke die unglaublichsten, überraschendsten,
bestgesagten, lauter Blitzschläge und Genietreffer sind — ach warum steht
kein unsichtbarer Apparat von Naturselbstdruck im Zimmer, der das alles fixirte,
was in der einsamen Hirnschale vorgeht?! Dichten läßt sich das nicht, kein
Dichter der Welt kann nur den hundertsten Theil niederschreiben, was ihm die
Einsamkeit an Dichtungen schenkt."

So war er, und das ist nun alles dahin! Das Schicksal ist erbarmungslos;
in seiner höchsten Fülle, auf seinem Höhepunkt angelangt, mußte dies alles zu
Grunde gehen! — Man wird jetzt seine Schriften — auch die verschollenen —


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[0291] Kürnberger ist ein hochsinniger, aber kein glücklicher Mensch gewesen. Sein Lebenlang ist er trotz angestrengter Arbeit und riesigen Fleißes aus Sorgen und Entbehrungen nicht herausgekommen. Er sah Talente gefeiert und zur allge¬ meinen Anerkennung durchdringen, die im Vergleich zu ihm Zwerge waren. Er gab sich die Miene, als ob er den Ruhm und die Glücksgüter verachte, aber der Undank der Welt that ihm wehe. Er erschien rauh und borstig; dennoch muß er eine gar weiche Ader in sich gehabt haben. So legte er das Sekretariat der Schillerstiftung, das ihm 600 Gulden eintrug — für ihn welche wünschens- werthe Subvention! — nieder, weil er, wie er mir sagte, das Lesen so vieler Drangbriefe nicht ertrug, die eine Noth enthüllten, der nicht zu helfen war, und die abschlägig beschieden werden mußten. Er war sehr stolz und vom ausge¬ prägtesten Unabhängigkeitsgefühl. Die Gunst der Mächtigen hat er nie gesucht, nie verlangt. Gewohnt, seine geistige Ueberlegenheit zur Schau zu tragen, ver¬ letzte er viele Leute, brüskirte Viele: er war ja der abgesagteste Feind der Reklame und aller unwürdigen Mittel. Er konnte aber auch, wo er Vortreff¬ liches sah, völlig aufleben und lobte dann beredt, enthusiastisch. Er blieb sich immer gleich, zu keiner Konzession geneigt. Als die Mosen- thal-Stiftung ihm eine Subvention anbot, lehnte er sie ab: „Wissen denn die Herren nicht, wie ich über Mosenthal geschrieben habe?" Zuletzt wurde er ein Einsiedler und zog sich in seine Zelle zurück, aus der er der Welt meist nur zornige Worte zurief, doch er fand seinen Genuß darin, seinem innerlich reichen Gedankenleben nachzuhängen, der Forschung über alle Dinge; das genügte ihm. Die einzige Freude, die er noch hatte, war, wenn man so sagen darf, die Freude an seinem eigenen Kopfe, diesem Kopfe, der so fruchtbar, ein perlender Quell von Einfüllen und Gedanken war. „Was ich doch," schreibt er in einem Briefe, „der Einsamkeit für Schätze verdanke, wie oft ich in Wonne aufleuchte und aus¬ strahle, wenn ich so auf meinem Kopfe liege, wie das lebt, klingt, flutet, stürmt, lacht, fliegt; welche unbewußte Kräfte mir da zum Bewußtsein kommen; die dramatischen Scenen, die ich da durchspiele, die schäumenden und moussirenden Selbstunterhaltungen, die wie Sauerbrunnen aus dem Boden aufgehen, wie alle Gedanken die schönsten, alle Ausdrücke die unglaublichsten, überraschendsten, bestgesagten, lauter Blitzschläge und Genietreffer sind — ach warum steht kein unsichtbarer Apparat von Naturselbstdruck im Zimmer, der das alles fixirte, was in der einsamen Hirnschale vorgeht?! Dichten läßt sich das nicht, kein Dichter der Welt kann nur den hundertsten Theil niederschreiben, was ihm die Einsamkeit an Dichtungen schenkt." So war er, und das ist nun alles dahin! Das Schicksal ist erbarmungslos; in seiner höchsten Fülle, auf seinem Höhepunkt angelangt, mußte dies alles zu Grunde gehen! — Man wird jetzt seine Schriften — auch die verschollenen —

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/291>, abgerufen am 23.07.2024.