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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal.

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mit seiner Zunge! Ich lechze nach Schatten und Kühle und finde sie nir¬
gends .....Sehn Sie doch das Abendroth -- das ist ja ein wahres Mord¬
brennerlicht! Ich werde heimkehren, und auf der Höhe des Brenners, im
Brennerbade, will ich bleiben."

Ich tröstete ihn damit, daß das nächste Gewitter die Hitze kühlen werde,
er wollte nichts davon hören. Ich hatte nun nach München zu reisen und
forderte ihn auf, meine Rückkehr in Ruhe abzuwarten; aber das war nicht nach
seinem Sinne.

"Ich gehe auch nach München," erwiederte er, "ich habe meine Rückkehr
dort bereits Frau v. Kaulbach angekündigt, die mir in ihrem Gartenhause ein
Zimmer eingeräumt hat. Ihr See ist furchtbar! Es liegt über ihm eine Gluth-
atmosphäre, die alle Eisberge der Schweiz nicht kühlen können -- ich kann sie
nicht ertragen. Dieser lachende Himmel -- sein Lachen ist entsetzlich -- ewiges
Lachen ist entsetzlich. Wenn Sie mir Ihr Haus schenken wollten unter der
Bedingung, da leben zu müssen -- ich könnte es nicht annehmen, nicht annehmen!"

Ich versuchte keine Einsprache mehr. Ich sah seine Unruhe wachsen, seinen
fieberhaften Zustand sich steigern. Mir war darum zu thun, daß er sich end¬
lich in München oder anderswo in ärztliche Behandlung gebe.

Am 7. August, da es in Folge eines über Nacht gekommenen Gewitters
ganz milde geworden, reisten wir ab. Die sechsstündige Fahrt ging unter
lebendigem Gespräch wunderbar rasch vorüber, und als die Sonne im Unter¬
gehen war, sahen die beiden Thürme der Frauenkirche auf uns nieder.

Zu München, in der Gartenstraße, in unmittelbarer Nähe des englischen
Gartens, hat sich vor Jahren Wilhelm v. Kaulbach eine Villa gebaut, an die
ein herrlicher Garten stößt. Es ist ein großes Terrain, ich möchte sagen ein
fürstlicher Besitz, oder ein Besitz, eines Künstlerfürsten würdig. Ein neuer
Anbau, gegen die Straße hin, ist zu einem Kaulbach-Museum hergerichtet. Hier,
beisammen in einem Saale, von Oberlicht erhellt, sieht man hinterlassene Oel-
bilder und Kartons des Meisters, zahlreiche Handzeichnungen, den großen Karton
der "Schlacht von Salamis". Im ersten Stockwerk hat Hermann Kaulbach,
der Sohn, sein Atelier. Im Garten selbst, welcher nach römischen Vorbildern
entworfen scheint, stehen noch zwei Häuschen; in dem einen, seitwärts am
Wege liegenden Tirolerhause pflegte Wilhelm v. Kaulbach Abends zu fitzen und
bei der Lampe zu zeichnen; beide Häuser sind nur dann bewohnt, wenn Gäste
einfallen. Im Hauptgebäude waltet Frau v. Kaulbach, eine der vornehmsten
und schönsten alten Damen, die ich je gesehen, an die siebzig alt, mit schnee¬
weißen Haaren und dunklen Augen voll Güte und Klugheit. Kinder und Enkel
kommen und sitzen mit ihr in der Veranda, es ist ein Bild des schönsten
patriarchalischen Zusammenlebens.


mit seiner Zunge! Ich lechze nach Schatten und Kühle und finde sie nir¬
gends .....Sehn Sie doch das Abendroth — das ist ja ein wahres Mord¬
brennerlicht! Ich werde heimkehren, und auf der Höhe des Brenners, im
Brennerbade, will ich bleiben."

Ich tröstete ihn damit, daß das nächste Gewitter die Hitze kühlen werde,
er wollte nichts davon hören. Ich hatte nun nach München zu reisen und
forderte ihn auf, meine Rückkehr in Ruhe abzuwarten; aber das war nicht nach
seinem Sinne.

„Ich gehe auch nach München," erwiederte er, „ich habe meine Rückkehr
dort bereits Frau v. Kaulbach angekündigt, die mir in ihrem Gartenhause ein
Zimmer eingeräumt hat. Ihr See ist furchtbar! Es liegt über ihm eine Gluth-
atmosphäre, die alle Eisberge der Schweiz nicht kühlen können — ich kann sie
nicht ertragen. Dieser lachende Himmel — sein Lachen ist entsetzlich — ewiges
Lachen ist entsetzlich. Wenn Sie mir Ihr Haus schenken wollten unter der
Bedingung, da leben zu müssen — ich könnte es nicht annehmen, nicht annehmen!"

Ich versuchte keine Einsprache mehr. Ich sah seine Unruhe wachsen, seinen
fieberhaften Zustand sich steigern. Mir war darum zu thun, daß er sich end¬
lich in München oder anderswo in ärztliche Behandlung gebe.

Am 7. August, da es in Folge eines über Nacht gekommenen Gewitters
ganz milde geworden, reisten wir ab. Die sechsstündige Fahrt ging unter
lebendigem Gespräch wunderbar rasch vorüber, und als die Sonne im Unter¬
gehen war, sahen die beiden Thürme der Frauenkirche auf uns nieder.

Zu München, in der Gartenstraße, in unmittelbarer Nähe des englischen
Gartens, hat sich vor Jahren Wilhelm v. Kaulbach eine Villa gebaut, an die
ein herrlicher Garten stößt. Es ist ein großes Terrain, ich möchte sagen ein
fürstlicher Besitz, oder ein Besitz, eines Künstlerfürsten würdig. Ein neuer
Anbau, gegen die Straße hin, ist zu einem Kaulbach-Museum hergerichtet. Hier,
beisammen in einem Saale, von Oberlicht erhellt, sieht man hinterlassene Oel-
bilder und Kartons des Meisters, zahlreiche Handzeichnungen, den großen Karton
der „Schlacht von Salamis". Im ersten Stockwerk hat Hermann Kaulbach,
der Sohn, sein Atelier. Im Garten selbst, welcher nach römischen Vorbildern
entworfen scheint, stehen noch zwei Häuschen; in dem einen, seitwärts am
Wege liegenden Tirolerhause pflegte Wilhelm v. Kaulbach Abends zu fitzen und
bei der Lampe zu zeichnen; beide Häuser sind nur dann bewohnt, wenn Gäste
einfallen. Im Hauptgebäude waltet Frau v. Kaulbach, eine der vornehmsten
und schönsten alten Damen, die ich je gesehen, an die siebzig alt, mit schnee¬
weißen Haaren und dunklen Augen voll Güte und Klugheit. Kinder und Enkel
kommen und sitzen mit ihr in der Veranda, es ist ein Bild des schönsten
patriarchalischen Zusammenlebens.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/289>, abgerufen am 23.07.2024.