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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal.

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allerdings in München geschehen. Man habe ihm Reibungen mit Flanell, mit
Franzbranntwein angerathen. "Welcher Unsinn!" sagte er. Die Stelle sei so
schmerzhaft; nicht den Vorüberflug eines Vogels würde er ertragen können.
Aber es werde alles von selbst wieder gut werden, es sei schon weit besser,
als es gewesen. Wie wenig er auch davon hören mochte, ich kam immer auf
die Nothwendigkeit gehöriger ärztlicher Untersuchung zurück und erbot mich, da
er gegen die Aerzte in kleinen Städten die größte Voreingenommenheit zeigte,
ihn zu einer Konsultation nach Zürich zu begleiten. Er war nicht dazu zu
bewegen, er war fürs Abwarten.

Auf dem Sopha liegend, begann er bald zu plaudern, als ob alles wieder
gut sei. Es war wirklich eine Lust, ihn sprechen zu hören; die Gedanken stiegen
in ihm unaufhörlich empor, wie Bläschen in einem Glase Champagner. Der
Name Zürich brachte ihn auf Gottfried Keller, dessen besonderer Verehrer er
war, und sodann auf tausend andere Dinge. Als es Abend wurde, wünschte
er auszugehen, auf eine mäßige Höhe, von der man einen Blick über den See
gewinnen könne, und wir wandelten Schritt für Schritt bis zum Schützenhause
auf der "schwarzen Reute". Er sah die Gegend, in welche es ihn gezogen
hatte, sah den Rhein in der Ferne blinken.

Die folgenden Tage saßen wir zusammen, im Gespräch, wie er es nannte,
"bis über die Ohren". Er sprach so, wie er zu schreiben gewohnt war, die
Sätze kamen so stilistisch schön hervor, wie wenn er für die Presse diktire. Er
philosophirte über alles, es war ein vorwaltender Trieb in ihm, über alles zu
reflektiren und alles durch fortgesetzte Betrachtung emporzuheben, bis es im
klarsten Lichte stand. Dann zog er sich wieder zurück, um Gedanken und
Notizen in ein Tagebuch einzutragen. Es war nicht das gewöhnliche Notiz¬
büchlein der Schriftsteller, sondern ein hohes langes Buch, wie es Kaufleute
führen; alles an ihm war apart und feierlich.

Gegen Abend machten wir, immer Schritt für Schritt, einen kleinen
Spaziergang, sei es im Garten, sei es durch den Wald am unteren AbHange
des Gebhardsberges. Einmal -- er hatte mich selbst dazu aufgefordert -- be¬
suchten wir das Grab, das das theuerste Gut meines Lebens birgt. Nie werde
ich den wahren Antheil vergessen, den dieser für so scharf und hart geltende
Mensch für mich und mein Loos an den Tag legte. Seitdem weiß ich, daß
seine Brust in ihrer Tiefe eine Fülle echt menschlichen Antheils barg.

Nun kamen die schwülen Tage des August, die einzigen heißen Tage, die
dies sonderbar geartete Jahr gehabt hat. Sie regten den Patienten außer¬
ordentlich ans, er hatte schlechte Nächte, ich hörte ihn, da ich daneben ein
Schlafzimmer hatte, stundenlang stöhnen. "Wahrlich," sagte er, "die Sonne steht
über diesem See wie ein feuriger Drache! Jeden Winkel der Bucht beleckt er


allerdings in München geschehen. Man habe ihm Reibungen mit Flanell, mit
Franzbranntwein angerathen. „Welcher Unsinn!" sagte er. Die Stelle sei so
schmerzhaft; nicht den Vorüberflug eines Vogels würde er ertragen können.
Aber es werde alles von selbst wieder gut werden, es sei schon weit besser,
als es gewesen. Wie wenig er auch davon hören mochte, ich kam immer auf
die Nothwendigkeit gehöriger ärztlicher Untersuchung zurück und erbot mich, da
er gegen die Aerzte in kleinen Städten die größte Voreingenommenheit zeigte,
ihn zu einer Konsultation nach Zürich zu begleiten. Er war nicht dazu zu
bewegen, er war fürs Abwarten.

Auf dem Sopha liegend, begann er bald zu plaudern, als ob alles wieder
gut sei. Es war wirklich eine Lust, ihn sprechen zu hören; die Gedanken stiegen
in ihm unaufhörlich empor, wie Bläschen in einem Glase Champagner. Der
Name Zürich brachte ihn auf Gottfried Keller, dessen besonderer Verehrer er
war, und sodann auf tausend andere Dinge. Als es Abend wurde, wünschte
er auszugehen, auf eine mäßige Höhe, von der man einen Blick über den See
gewinnen könne, und wir wandelten Schritt für Schritt bis zum Schützenhause
auf der „schwarzen Reute". Er sah die Gegend, in welche es ihn gezogen
hatte, sah den Rhein in der Ferne blinken.

Die folgenden Tage saßen wir zusammen, im Gespräch, wie er es nannte,
„bis über die Ohren". Er sprach so, wie er zu schreiben gewohnt war, die
Sätze kamen so stilistisch schön hervor, wie wenn er für die Presse diktire. Er
philosophirte über alles, es war ein vorwaltender Trieb in ihm, über alles zu
reflektiren und alles durch fortgesetzte Betrachtung emporzuheben, bis es im
klarsten Lichte stand. Dann zog er sich wieder zurück, um Gedanken und
Notizen in ein Tagebuch einzutragen. Es war nicht das gewöhnliche Notiz¬
büchlein der Schriftsteller, sondern ein hohes langes Buch, wie es Kaufleute
führen; alles an ihm war apart und feierlich.

Gegen Abend machten wir, immer Schritt für Schritt, einen kleinen
Spaziergang, sei es im Garten, sei es durch den Wald am unteren AbHange
des Gebhardsberges. Einmal — er hatte mich selbst dazu aufgefordert — be¬
suchten wir das Grab, das das theuerste Gut meines Lebens birgt. Nie werde
ich den wahren Antheil vergessen, den dieser für so scharf und hart geltende
Mensch für mich und mein Loos an den Tag legte. Seitdem weiß ich, daß
seine Brust in ihrer Tiefe eine Fülle echt menschlichen Antheils barg.

Nun kamen die schwülen Tage des August, die einzigen heißen Tage, die
dies sonderbar geartete Jahr gehabt hat. Sie regten den Patienten außer¬
ordentlich ans, er hatte schlechte Nächte, ich hörte ihn, da ich daneben ein
Schlafzimmer hatte, stundenlang stöhnen. „Wahrlich," sagte er, „die Sonne steht
über diesem See wie ein feuriger Drache! Jeden Winkel der Bucht beleckt er


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[0288] allerdings in München geschehen. Man habe ihm Reibungen mit Flanell, mit Franzbranntwein angerathen. „Welcher Unsinn!" sagte er. Die Stelle sei so schmerzhaft; nicht den Vorüberflug eines Vogels würde er ertragen können. Aber es werde alles von selbst wieder gut werden, es sei schon weit besser, als es gewesen. Wie wenig er auch davon hören mochte, ich kam immer auf die Nothwendigkeit gehöriger ärztlicher Untersuchung zurück und erbot mich, da er gegen die Aerzte in kleinen Städten die größte Voreingenommenheit zeigte, ihn zu einer Konsultation nach Zürich zu begleiten. Er war nicht dazu zu bewegen, er war fürs Abwarten. Auf dem Sopha liegend, begann er bald zu plaudern, als ob alles wieder gut sei. Es war wirklich eine Lust, ihn sprechen zu hören; die Gedanken stiegen in ihm unaufhörlich empor, wie Bläschen in einem Glase Champagner. Der Name Zürich brachte ihn auf Gottfried Keller, dessen besonderer Verehrer er war, und sodann auf tausend andere Dinge. Als es Abend wurde, wünschte er auszugehen, auf eine mäßige Höhe, von der man einen Blick über den See gewinnen könne, und wir wandelten Schritt für Schritt bis zum Schützenhause auf der „schwarzen Reute". Er sah die Gegend, in welche es ihn gezogen hatte, sah den Rhein in der Ferne blinken. Die folgenden Tage saßen wir zusammen, im Gespräch, wie er es nannte, „bis über die Ohren". Er sprach so, wie er zu schreiben gewohnt war, die Sätze kamen so stilistisch schön hervor, wie wenn er für die Presse diktire. Er philosophirte über alles, es war ein vorwaltender Trieb in ihm, über alles zu reflektiren und alles durch fortgesetzte Betrachtung emporzuheben, bis es im klarsten Lichte stand. Dann zog er sich wieder zurück, um Gedanken und Notizen in ein Tagebuch einzutragen. Es war nicht das gewöhnliche Notiz¬ büchlein der Schriftsteller, sondern ein hohes langes Buch, wie es Kaufleute führen; alles an ihm war apart und feierlich. Gegen Abend machten wir, immer Schritt für Schritt, einen kleinen Spaziergang, sei es im Garten, sei es durch den Wald am unteren AbHange des Gebhardsberges. Einmal — er hatte mich selbst dazu aufgefordert — be¬ suchten wir das Grab, das das theuerste Gut meines Lebens birgt. Nie werde ich den wahren Antheil vergessen, den dieser für so scharf und hart geltende Mensch für mich und mein Loos an den Tag legte. Seitdem weiß ich, daß seine Brust in ihrer Tiefe eine Fülle echt menschlichen Antheils barg. Nun kamen die schwülen Tage des August, die einzigen heißen Tage, die dies sonderbar geartete Jahr gehabt hat. Sie regten den Patienten außer¬ ordentlich ans, er hatte schlechte Nächte, ich hörte ihn, da ich daneben ein Schlafzimmer hatte, stundenlang stöhnen. „Wahrlich," sagte er, „die Sonne steht über diesem See wie ein feuriger Drache! Jeden Winkel der Bucht beleckt er

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/288>, abgerufen am 24.07.2024.