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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal.

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durchaus einen höfisch-ritterlichen Charakter und verdankt diesem auch einen
bezeichnenden Beinamen. Wissenschaftliches Leben aber herrschte seit dem Be¬
ginn der christlichen Kultur fast ausschließlich in den Klöstern: die Geistlichkeit
war seine alleinige Trägerin. Gegen Ende des 13. Jahrhunderts bricht sich,
zuerst auf dem Gebiete der Geschichtschreibung, auch die weltliche Gelehrsam¬
keit Bahn, und diese findet dann ihre Stätte vornehmlich in den deutschen
Städten. Und nicht verächtlich ist der Anfangspunkt dieser neuen geistigen
Bewegung, die historischen Aufzeichnungen des großen Straßburger Bürgers
Ellenhart. Diese können sich dreist den Geschichtswerken geistlichen Ursprungs,
die derselben Zeit ihre Entstehung verdanken, an die Seite stellen. Wir können
hier nicht auf die Einzelheiten dieser Entwickelung eingehen: so viel ist klar,
daß die Emanzipation der Wissenschaft von der ausschließlichen Autorität der
Kirche, welche sich dann im 15. und 16. Jahrhundert vollzog, undenkbar ge¬
wesen wäre ohne den Eintritt der Städte in das geistige Leben der Nation.
Und reden nicht die gewaltigen Dome, zu denen wir noch heute in staunender
Bewunderung aufschauen, laut genug für den Glanz mittelalterlicher städtischer
Kultur? Gehen doch die Anfänge des erhabenen Kölner Dombaues, dessen
Ausführung uns die vergangenen Jahrhunderte als heiliges Vermächtniß über¬
lassen haben, bis in das Jahr 1248 zurück und beweisen, zu wie großartigen
Entwürfen schon diese Zeit fähig war. Ebenso wurde der Ban des Münsters
in Straßburg schon gegen Ende des 13. Jahrhunderts begonnen; er ist dann
nach fast zwei Jahrhunderten (1439) zur Vollendung gediehen.

Allerdings zeigt sich der hohe Grad der architektonischen und auch male¬
rischen Kunstfertigkeit, den das betriebsame Bürgerthum erreicht hatte, zunächst
nur an öffentlichen Gebänden, namentlich an den Kirchen und Rathhäusern.
Die Privatwohnungen waren im 13. Jahrhundert noch dürftig genug einge¬
richtet und zum großen Theil aus Holz erbaut. Aber auch hier, entwickelte
sich bald mehr Luxus und Kunstsinn, und die Hauseinrichtung eines Fugger
gab der auf den Fürsten- und Herrenschlössern nicht das Geringste nach. Eins
hängt hier, wie stets in der Historischen Entwickelung, aufs engste mit dem
andern zusammen. Sowie sich das Bürgerthum politisch als gleichberechtigter
Stand neben Fürsten und Adel gestellt hat, sucht es diesen auch in der Ent¬
faltung von Luxus, in der Ausbildung des Kunstsinns nachzuahmen.

So sehen wir dann am Schlüsse des Mittelalters die Keime zu sämmt¬
lichen Kräften, die noch heute im Leben der Städte wirken, enthalten: Kunst¬
sinn, Luxus, der oft genug nur allzugroße Dimensionen annimmt, und geistige
Kultur aus der einen, lebendiges Gemeinbewußtsein und politischen Freisinn
auf der andern Seite.

Aber wo viel Licht ist, da ist auch viel Schatten. Wie man noch heut-


durchaus einen höfisch-ritterlichen Charakter und verdankt diesem auch einen
bezeichnenden Beinamen. Wissenschaftliches Leben aber herrschte seit dem Be¬
ginn der christlichen Kultur fast ausschließlich in den Klöstern: die Geistlichkeit
war seine alleinige Trägerin. Gegen Ende des 13. Jahrhunderts bricht sich,
zuerst auf dem Gebiete der Geschichtschreibung, auch die weltliche Gelehrsam¬
keit Bahn, und diese findet dann ihre Stätte vornehmlich in den deutschen
Städten. Und nicht verächtlich ist der Anfangspunkt dieser neuen geistigen
Bewegung, die historischen Aufzeichnungen des großen Straßburger Bürgers
Ellenhart. Diese können sich dreist den Geschichtswerken geistlichen Ursprungs,
die derselben Zeit ihre Entstehung verdanken, an die Seite stellen. Wir können
hier nicht auf die Einzelheiten dieser Entwickelung eingehen: so viel ist klar,
daß die Emanzipation der Wissenschaft von der ausschließlichen Autorität der
Kirche, welche sich dann im 15. und 16. Jahrhundert vollzog, undenkbar ge¬
wesen wäre ohne den Eintritt der Städte in das geistige Leben der Nation.
Und reden nicht die gewaltigen Dome, zu denen wir noch heute in staunender
Bewunderung aufschauen, laut genug für den Glanz mittelalterlicher städtischer
Kultur? Gehen doch die Anfänge des erhabenen Kölner Dombaues, dessen
Ausführung uns die vergangenen Jahrhunderte als heiliges Vermächtniß über¬
lassen haben, bis in das Jahr 1248 zurück und beweisen, zu wie großartigen
Entwürfen schon diese Zeit fähig war. Ebenso wurde der Ban des Münsters
in Straßburg schon gegen Ende des 13. Jahrhunderts begonnen; er ist dann
nach fast zwei Jahrhunderten (1439) zur Vollendung gediehen.

Allerdings zeigt sich der hohe Grad der architektonischen und auch male¬
rischen Kunstfertigkeit, den das betriebsame Bürgerthum erreicht hatte, zunächst
nur an öffentlichen Gebänden, namentlich an den Kirchen und Rathhäusern.
Die Privatwohnungen waren im 13. Jahrhundert noch dürftig genug einge¬
richtet und zum großen Theil aus Holz erbaut. Aber auch hier, entwickelte
sich bald mehr Luxus und Kunstsinn, und die Hauseinrichtung eines Fugger
gab der auf den Fürsten- und Herrenschlössern nicht das Geringste nach. Eins
hängt hier, wie stets in der Historischen Entwickelung, aufs engste mit dem
andern zusammen. Sowie sich das Bürgerthum politisch als gleichberechtigter
Stand neben Fürsten und Adel gestellt hat, sucht es diesen auch in der Ent¬
faltung von Luxus, in der Ausbildung des Kunstsinns nachzuahmen.

So sehen wir dann am Schlüsse des Mittelalters die Keime zu sämmt¬
lichen Kräften, die noch heute im Leben der Städte wirken, enthalten: Kunst¬
sinn, Luxus, der oft genug nur allzugroße Dimensionen annimmt, und geistige
Kultur aus der einen, lebendiges Gemeinbewußtsein und politischen Freisinn
auf der andern Seite.

Aber wo viel Licht ist, da ist auch viel Schatten. Wie man noch heut-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/278>, abgerufen am 24.07.2024.