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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal.

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zu dieser politisch-freisinnigen Entwickelung befähigte. Auch ist schon angedeutet,
daß der große rheinische Stüdtebund, dessen Entstehung in die Mitte des 13-
Jahrhunderts fällt, sein Dasein dem Streben verdankte, den Verkehr gegen die
Gelüste wegelagernder Ritter und Herren zu sichern. Wenn auch die Kaiser
selbst diesem Unwesen des Faustrechts durch die Landfriedensordnungen ent¬
gegenzutreten strebten, so ergibt sich die Fruchtlosigkeit ihrer Bemühungen schon
daraus, daß diese Landfrieden, eben weil sie nicht gehalten wurden, immer und
immer wieder eingeschärft werden mußten. Die Städte sahen sich also auf
Selbsthilfe augewiesen und suchten diese durch ihre Bündnisse zu erreichen.
Diesem Streben hat auch der Hansebund seine Entstehung zu verdanken, den
man mit Recht als die größte organisatorische That des deutschen Bürger-
thums bezeichnet hat. War aber bei dem rheinischen Städtebund in erster
Linie die Sicherung des binnenländischen Handels zu berücksichtigen, so vertrat
der hanseatische Bund, dessen Anfänge in dem Bündniß zwischen Lübeck, Hamburg
und den wendischen Seestädten um die Mitte des 13. Jahrhunderts (1256) zu
suchen sind, zugleich die Gemeinsamkeit der Interessen seiner Mitglieder zur
See. Früh schon gingen daher seine Bemühungen vor allem auch auf die
Abschaffung des für den Seehandel so drückenden Strandrechtes. Der Vor¬
theil einer solchen Vereinigung fand natürlich bald allgemeine Anerkennung,
und immer größer wurde die Zahl der Theilnehmer. Nicht deutsche Städte
allein, sondern auch das für den Handel zwischen Deutschland und Rußland
so bedeutsame Wisby auf der Insel Gothland, Riga und eine große Anzahl
slawischer Städte gehörten dem Bunde an. Und wer wollte verkennen, daß
derselbe nicht nur in handelspolitischer, sondern auch in kulturhistorischer Be¬
ziehung von der weittragendsten Bedeutung gewesen ist? Die Germanisirung
der Ostseeprovinzen, ja das Vordringen des germanischen gegen das slawische
Element überhaupt -- denn nicht nur Seestädte gehörten der Hanse an -- ist
mit der Entwickelung des Hansebuudes untrennbar verbunden. So ist es denn
nicht wunderbar, daß der Bund eine Zeit lang auch politisch über eine Macht
verfügte, die der des deutschen Reiches, wenn überhaupt, so doch nur wenig
nachstand, daß diese gewaltigen Handelscentren auch sähig waren, selbständige
Kriege zu sühren und Königen Friedensschlüsse zu diktiren.

Bei dieser Lage der Dinge war es für die fernere Entwickelung unseres
Vaterlandes von der größten Wichtigkeit, daß nach der Gründung der ersten
deutschen Universitäten die Städte auch die Brennpunkte des gesammten geistigen
Lebens der Nation wurden. Zur Zeit der größten Blüthe unserer deutschen
Literatur waren noch die Fürsten und Ritter auf der einen Seite, die Geist¬
lichen auf der andern Seite die Träger des künstlerischen und wissenschaftlichen
Lebens in Deutschland. Die erste klassische Blüthe unserer Literatur trägt


Grenzboten IV. 1879. 36

zu dieser politisch-freisinnigen Entwickelung befähigte. Auch ist schon angedeutet,
daß der große rheinische Stüdtebund, dessen Entstehung in die Mitte des 13-
Jahrhunderts fällt, sein Dasein dem Streben verdankte, den Verkehr gegen die
Gelüste wegelagernder Ritter und Herren zu sichern. Wenn auch die Kaiser
selbst diesem Unwesen des Faustrechts durch die Landfriedensordnungen ent¬
gegenzutreten strebten, so ergibt sich die Fruchtlosigkeit ihrer Bemühungen schon
daraus, daß diese Landfrieden, eben weil sie nicht gehalten wurden, immer und
immer wieder eingeschärft werden mußten. Die Städte sahen sich also auf
Selbsthilfe augewiesen und suchten diese durch ihre Bündnisse zu erreichen.
Diesem Streben hat auch der Hansebund seine Entstehung zu verdanken, den
man mit Recht als die größte organisatorische That des deutschen Bürger-
thums bezeichnet hat. War aber bei dem rheinischen Städtebund in erster
Linie die Sicherung des binnenländischen Handels zu berücksichtigen, so vertrat
der hanseatische Bund, dessen Anfänge in dem Bündniß zwischen Lübeck, Hamburg
und den wendischen Seestädten um die Mitte des 13. Jahrhunderts (1256) zu
suchen sind, zugleich die Gemeinsamkeit der Interessen seiner Mitglieder zur
See. Früh schon gingen daher seine Bemühungen vor allem auch auf die
Abschaffung des für den Seehandel so drückenden Strandrechtes. Der Vor¬
theil einer solchen Vereinigung fand natürlich bald allgemeine Anerkennung,
und immer größer wurde die Zahl der Theilnehmer. Nicht deutsche Städte
allein, sondern auch das für den Handel zwischen Deutschland und Rußland
so bedeutsame Wisby auf der Insel Gothland, Riga und eine große Anzahl
slawischer Städte gehörten dem Bunde an. Und wer wollte verkennen, daß
derselbe nicht nur in handelspolitischer, sondern auch in kulturhistorischer Be¬
ziehung von der weittragendsten Bedeutung gewesen ist? Die Germanisirung
der Ostseeprovinzen, ja das Vordringen des germanischen gegen das slawische
Element überhaupt — denn nicht nur Seestädte gehörten der Hanse an — ist
mit der Entwickelung des Hansebuudes untrennbar verbunden. So ist es denn
nicht wunderbar, daß der Bund eine Zeit lang auch politisch über eine Macht
verfügte, die der des deutschen Reiches, wenn überhaupt, so doch nur wenig
nachstand, daß diese gewaltigen Handelscentren auch sähig waren, selbständige
Kriege zu sühren und Königen Friedensschlüsse zu diktiren.

Bei dieser Lage der Dinge war es für die fernere Entwickelung unseres
Vaterlandes von der größten Wichtigkeit, daß nach der Gründung der ersten
deutschen Universitäten die Städte auch die Brennpunkte des gesammten geistigen
Lebens der Nation wurden. Zur Zeit der größten Blüthe unserer deutschen
Literatur waren noch die Fürsten und Ritter auf der einen Seite, die Geist¬
lichen auf der andern Seite die Träger des künstlerischen und wissenschaftlichen
Lebens in Deutschland. Die erste klassische Blüthe unserer Literatur trägt


Grenzboten IV. 1879. 36
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[0277] zu dieser politisch-freisinnigen Entwickelung befähigte. Auch ist schon angedeutet, daß der große rheinische Stüdtebund, dessen Entstehung in die Mitte des 13- Jahrhunderts fällt, sein Dasein dem Streben verdankte, den Verkehr gegen die Gelüste wegelagernder Ritter und Herren zu sichern. Wenn auch die Kaiser selbst diesem Unwesen des Faustrechts durch die Landfriedensordnungen ent¬ gegenzutreten strebten, so ergibt sich die Fruchtlosigkeit ihrer Bemühungen schon daraus, daß diese Landfrieden, eben weil sie nicht gehalten wurden, immer und immer wieder eingeschärft werden mußten. Die Städte sahen sich also auf Selbsthilfe augewiesen und suchten diese durch ihre Bündnisse zu erreichen. Diesem Streben hat auch der Hansebund seine Entstehung zu verdanken, den man mit Recht als die größte organisatorische That des deutschen Bürger- thums bezeichnet hat. War aber bei dem rheinischen Städtebund in erster Linie die Sicherung des binnenländischen Handels zu berücksichtigen, so vertrat der hanseatische Bund, dessen Anfänge in dem Bündniß zwischen Lübeck, Hamburg und den wendischen Seestädten um die Mitte des 13. Jahrhunderts (1256) zu suchen sind, zugleich die Gemeinsamkeit der Interessen seiner Mitglieder zur See. Früh schon gingen daher seine Bemühungen vor allem auch auf die Abschaffung des für den Seehandel so drückenden Strandrechtes. Der Vor¬ theil einer solchen Vereinigung fand natürlich bald allgemeine Anerkennung, und immer größer wurde die Zahl der Theilnehmer. Nicht deutsche Städte allein, sondern auch das für den Handel zwischen Deutschland und Rußland so bedeutsame Wisby auf der Insel Gothland, Riga und eine große Anzahl slawischer Städte gehörten dem Bunde an. Und wer wollte verkennen, daß derselbe nicht nur in handelspolitischer, sondern auch in kulturhistorischer Be¬ ziehung von der weittragendsten Bedeutung gewesen ist? Die Germanisirung der Ostseeprovinzen, ja das Vordringen des germanischen gegen das slawische Element überhaupt — denn nicht nur Seestädte gehörten der Hanse an — ist mit der Entwickelung des Hansebuudes untrennbar verbunden. So ist es denn nicht wunderbar, daß der Bund eine Zeit lang auch politisch über eine Macht verfügte, die der des deutschen Reiches, wenn überhaupt, so doch nur wenig nachstand, daß diese gewaltigen Handelscentren auch sähig waren, selbständige Kriege zu sühren und Königen Friedensschlüsse zu diktiren. Bei dieser Lage der Dinge war es für die fernere Entwickelung unseres Vaterlandes von der größten Wichtigkeit, daß nach der Gründung der ersten deutschen Universitäten die Städte auch die Brennpunkte des gesammten geistigen Lebens der Nation wurden. Zur Zeit der größten Blüthe unserer deutschen Literatur waren noch die Fürsten und Ritter auf der einen Seite, die Geist¬ lichen auf der andern Seite die Träger des künstlerischen und wissenschaftlichen Lebens in Deutschland. Die erste klassische Blüthe unserer Literatur trägt Grenzboten IV. 1879. 36

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/277>, abgerufen am 23.07.2024.