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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal.

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Straßburg u. a. Städte im eigentlichen Deutschland eine seltene Erscheinung.
So war die Lage der Dinge, als Heinrich der Finkler den deutschen Thron
bestieg.

Dieser von der Sage umwobene König ist lange von der historischen
Ueberlieferung als der erste deutsche Städtegründer bezeichnet worden; selbst
einen Beinamen hat er davon erhalten, der sich auf die kommenden Geschlechter
verpflanzt hat. Und doch hat die neuere Forschung nachgewiesen, daß ihm
dieser Ruhm nur in sehr eingeschränkten Maße gebührt. Schon lange vor
ihm hat es thatsächlich Städte, wenn auch wenig zahlreich, in Deutschland
gegeben; was er gethan hat, kann höchstens als eine Förderung der Weiter¬
verbreitung derselben angesehen werden. Auch waren es nicht Städte im spä¬
teren Sinne, was er gründete. Ihr Ursprung und Zweck belehren uns über
ihr wahres Wesen. Es waren von Ringmauern umgebene Festen mit einer
wesentlich militärischen Besatzung, die von den Bauern nach einem genau nor-
mirten Verhältniß -- 9:1 -- mit Lebensmitteln versehen werden mußten.
Später erst haben sich um diese Burg -- daher der Name der Insassen Kur-
Muses (durg'ör) -- wirkliche Städte gebildet.

Die so begonnene Bewegung schritt dann in der Weise weiter fort, daß
die Bauern auf dem Lande in Folge der Stabilität, welche ihren Zuständen
von Natur anhaftete, immer mehr in Abhängigkeit von dem Grundherrn des
Distriktes kamen, so daß schon im 10. Jahrhundert nur in wenigen Distrikten
noch freie Bauern existirten, während die Einwohner der immer zahlreicher
werdenden Städte durch den immer mehr wachsenden Handel und Verkehr zu
Wohlstand und dadurch zu wirthschaftlicher und bald auch politischer Unab¬
hängigkeit vom Bischof oder vom königlichen Beamten gelangten. Wesentlich
unterstützt wurde diese letztere Bewegung durch die wichtige Umwandlung der
Naturalwirtschaft, welche uuter Karl dem Großen noch fast ausschließlich vor¬
waltete, in die Geldwirthschaft. Bald äußert sich dieser Umschwung in gro߬
artiger Weise. Die Straßburger Kaufmannschaft trägt in der umfassendsten
Weise Sorge für Erhaltung der Schissbarkeit des oberen Rheines, und die
Kölner Kaufmannschaft erhält ein besonderes Handelsprivilegium und ein
eigenes Kaufhaus in London; überall sehen wir deu Handelsverkehr große
Dimensionen annehmen. Ein großer Handelsweg führte von den wichtigen
Empörten des Mittelmeeres durch Deutschland nach der Nord- und Ostsee. Die
Handelsprodukte des Orients, welche in Folge der Kreuzzüge immer massen¬
hafter in den Westen einströmten, fanden ans diesem Wege Eingang in das
nördliche Deutschland und über den Kanal nach England.

In derselben Epoche nnn, in der hierdurch die Städte als Mittelpunkte
des Verkehrs zu immer größerer Bedeutung gelangten, blieb die ländliche


Straßburg u. a. Städte im eigentlichen Deutschland eine seltene Erscheinung.
So war die Lage der Dinge, als Heinrich der Finkler den deutschen Thron
bestieg.

Dieser von der Sage umwobene König ist lange von der historischen
Ueberlieferung als der erste deutsche Städtegründer bezeichnet worden; selbst
einen Beinamen hat er davon erhalten, der sich auf die kommenden Geschlechter
verpflanzt hat. Und doch hat die neuere Forschung nachgewiesen, daß ihm
dieser Ruhm nur in sehr eingeschränkten Maße gebührt. Schon lange vor
ihm hat es thatsächlich Städte, wenn auch wenig zahlreich, in Deutschland
gegeben; was er gethan hat, kann höchstens als eine Förderung der Weiter¬
verbreitung derselben angesehen werden. Auch waren es nicht Städte im spä¬
teren Sinne, was er gründete. Ihr Ursprung und Zweck belehren uns über
ihr wahres Wesen. Es waren von Ringmauern umgebene Festen mit einer
wesentlich militärischen Besatzung, die von den Bauern nach einem genau nor-
mirten Verhältniß — 9:1 — mit Lebensmitteln versehen werden mußten.
Später erst haben sich um diese Burg — daher der Name der Insassen Kur-
Muses (durg'ör) — wirkliche Städte gebildet.

Die so begonnene Bewegung schritt dann in der Weise weiter fort, daß
die Bauern auf dem Lande in Folge der Stabilität, welche ihren Zuständen
von Natur anhaftete, immer mehr in Abhängigkeit von dem Grundherrn des
Distriktes kamen, so daß schon im 10. Jahrhundert nur in wenigen Distrikten
noch freie Bauern existirten, während die Einwohner der immer zahlreicher
werdenden Städte durch den immer mehr wachsenden Handel und Verkehr zu
Wohlstand und dadurch zu wirthschaftlicher und bald auch politischer Unab¬
hängigkeit vom Bischof oder vom königlichen Beamten gelangten. Wesentlich
unterstützt wurde diese letztere Bewegung durch die wichtige Umwandlung der
Naturalwirtschaft, welche uuter Karl dem Großen noch fast ausschließlich vor¬
waltete, in die Geldwirthschaft. Bald äußert sich dieser Umschwung in gro߬
artiger Weise. Die Straßburger Kaufmannschaft trägt in der umfassendsten
Weise Sorge für Erhaltung der Schissbarkeit des oberen Rheines, und die
Kölner Kaufmannschaft erhält ein besonderes Handelsprivilegium und ein
eigenes Kaufhaus in London; überall sehen wir deu Handelsverkehr große
Dimensionen annehmen. Ein großer Handelsweg führte von den wichtigen
Empörten des Mittelmeeres durch Deutschland nach der Nord- und Ostsee. Die
Handelsprodukte des Orients, welche in Folge der Kreuzzüge immer massen¬
hafter in den Westen einströmten, fanden ans diesem Wege Eingang in das
nördliche Deutschland und über den Kanal nach England.

In derselben Epoche nnn, in der hierdurch die Städte als Mittelpunkte
des Verkehrs zu immer größerer Bedeutung gelangten, blieb die ländliche


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[0272] Straßburg u. a. Städte im eigentlichen Deutschland eine seltene Erscheinung. So war die Lage der Dinge, als Heinrich der Finkler den deutschen Thron bestieg. Dieser von der Sage umwobene König ist lange von der historischen Ueberlieferung als der erste deutsche Städtegründer bezeichnet worden; selbst einen Beinamen hat er davon erhalten, der sich auf die kommenden Geschlechter verpflanzt hat. Und doch hat die neuere Forschung nachgewiesen, daß ihm dieser Ruhm nur in sehr eingeschränkten Maße gebührt. Schon lange vor ihm hat es thatsächlich Städte, wenn auch wenig zahlreich, in Deutschland gegeben; was er gethan hat, kann höchstens als eine Förderung der Weiter¬ verbreitung derselben angesehen werden. Auch waren es nicht Städte im spä¬ teren Sinne, was er gründete. Ihr Ursprung und Zweck belehren uns über ihr wahres Wesen. Es waren von Ringmauern umgebene Festen mit einer wesentlich militärischen Besatzung, die von den Bauern nach einem genau nor- mirten Verhältniß — 9:1 — mit Lebensmitteln versehen werden mußten. Später erst haben sich um diese Burg — daher der Name der Insassen Kur- Muses (durg'ör) — wirkliche Städte gebildet. Die so begonnene Bewegung schritt dann in der Weise weiter fort, daß die Bauern auf dem Lande in Folge der Stabilität, welche ihren Zuständen von Natur anhaftete, immer mehr in Abhängigkeit von dem Grundherrn des Distriktes kamen, so daß schon im 10. Jahrhundert nur in wenigen Distrikten noch freie Bauern existirten, während die Einwohner der immer zahlreicher werdenden Städte durch den immer mehr wachsenden Handel und Verkehr zu Wohlstand und dadurch zu wirthschaftlicher und bald auch politischer Unab¬ hängigkeit vom Bischof oder vom königlichen Beamten gelangten. Wesentlich unterstützt wurde diese letztere Bewegung durch die wichtige Umwandlung der Naturalwirtschaft, welche uuter Karl dem Großen noch fast ausschließlich vor¬ waltete, in die Geldwirthschaft. Bald äußert sich dieser Umschwung in gro߬ artiger Weise. Die Straßburger Kaufmannschaft trägt in der umfassendsten Weise Sorge für Erhaltung der Schissbarkeit des oberen Rheines, und die Kölner Kaufmannschaft erhält ein besonderes Handelsprivilegium und ein eigenes Kaufhaus in London; überall sehen wir deu Handelsverkehr große Dimensionen annehmen. Ein großer Handelsweg führte von den wichtigen Empörten des Mittelmeeres durch Deutschland nach der Nord- und Ostsee. Die Handelsprodukte des Orients, welche in Folge der Kreuzzüge immer massen¬ hafter in den Westen einströmten, fanden ans diesem Wege Eingang in das nördliche Deutschland und über den Kanal nach England. In derselben Epoche nnn, in der hierdurch die Städte als Mittelpunkte des Verkehrs zu immer größerer Bedeutung gelangten, blieb die ländliche

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/272>, abgerufen am 23.07.2024.