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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal.

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Kam der Hof einmal längere Zeit nicht nach der Pfalz, so stellte sich ein
Ueberschuß der Produktion heraus, der verkauft werden mußte. Hier verur¬
sachte also das umgekehrte Verhältniß wie bei den bischöflichen Städten die
Entstehung eines Marktes und damit einer Stadt.

So lassen sich schon in dieser frühen Epoche jene beiden, für die ganze
deutsche Geschichte so wichtigen Städtekategorien unterscheiden, die königlichen
Pfalzstädte und die Bischofsstädte. Die Frage ist nun, ob schon in diesem
Stadium der Entwickelung ein Gegensatz zwischen städtischem und ländlichem
Leben obwaltete? Ist diese Frage zu bejahen, dann gewinnt die Annahme an
Wahrscheinlichkeit, daß dieser noch heute bestehende Gegensatz kein willkürlicher
und daher beliebig abzuschaffender, sondern ein von Anfang an in der Natur
der Dinge begründeter ist.

Es ist bekannt, wie sehr es sich Karl der Große angelegen sein ließ, die
kleinen, freien Bauern, die anfangs den Grundstock der Bevölkerung gebildet
hatten, zu erhalten, wie aber trotz seiner Bemühungen dieser Stand in Folge
der drückenden Kriegspflicht immer mehr abnahm. Der kleine Mann konnte
die Kosten der Selbstbewaffnnng und der Heeresfolge, die ihn seinen ländlichen
Arbeiten, seiner einzigen Erwerbsquelle, oft lange Zeit entzog, für die Dauer
nicht ertragen. Dazu kam der Egoismus der Beamten, die zugleich Heerbann¬
führer waren. Sie wußten ihre eigenen Bediensteten (Ministerialen) und
Hörigen vom Kriegsdienste zu befreien und den freien Bauer um so mehr zu
bedrücken, damit er gezwungen sei, sich in ihren Schutz zu begeben, d. h. seine
Freiheit mit einem Dienstverhältniß zu vertauschen.

Anders in den Städten. Hier standen alle Bewohner in mehr oder
weniger nahem Verhältniß zum Bischof oder zum königlichen Meier. Die
Interessen des Verkehrs sind mehr solidarischer Natur. Auch leidet Handel
und Wandel doch nicht in dem Maße unter einem Kriege wie der Ackerbau,
der an die Scholle gebunden ist. Ja, der Verkehr in den Städten, der den
König, den Bischof und das Heer mit allen Lebensmitteln zu versorgen hatte,
konnte noch größere Dimensionen annehmen, während der Ackerbau des kleinen
Mannes, wenn er selbst abwesend war, vollkommen zu Grunde ging.

Dieser, in der Natur des Handels und der Industrie in den Städten auf
der einen Seite, des Ackerbaues auf der andern Seite begründete Unterschied
hat sich nun in den folgenden Zeiten innerer Zerrüttung des fränkischen Reiches
nnter deu letzten Karolingern weiter entwickelt. Aber noch immer hatte der
östliche, unvermischte germanische Theil des fränkischen Reiches, der sich nach
dem Vertrage von Verdun zu einem selbständigen Ganzen konstituirte, an dieser
Entwickelung nicht in dem Maße theilgenommen wie der mehr keltische Westen.
Noch immer waren außer den rheinischen Städten Köln, Worms, Speier,


Kam der Hof einmal längere Zeit nicht nach der Pfalz, so stellte sich ein
Ueberschuß der Produktion heraus, der verkauft werden mußte. Hier verur¬
sachte also das umgekehrte Verhältniß wie bei den bischöflichen Städten die
Entstehung eines Marktes und damit einer Stadt.

So lassen sich schon in dieser frühen Epoche jene beiden, für die ganze
deutsche Geschichte so wichtigen Städtekategorien unterscheiden, die königlichen
Pfalzstädte und die Bischofsstädte. Die Frage ist nun, ob schon in diesem
Stadium der Entwickelung ein Gegensatz zwischen städtischem und ländlichem
Leben obwaltete? Ist diese Frage zu bejahen, dann gewinnt die Annahme an
Wahrscheinlichkeit, daß dieser noch heute bestehende Gegensatz kein willkürlicher
und daher beliebig abzuschaffender, sondern ein von Anfang an in der Natur
der Dinge begründeter ist.

Es ist bekannt, wie sehr es sich Karl der Große angelegen sein ließ, die
kleinen, freien Bauern, die anfangs den Grundstock der Bevölkerung gebildet
hatten, zu erhalten, wie aber trotz seiner Bemühungen dieser Stand in Folge
der drückenden Kriegspflicht immer mehr abnahm. Der kleine Mann konnte
die Kosten der Selbstbewaffnnng und der Heeresfolge, die ihn seinen ländlichen
Arbeiten, seiner einzigen Erwerbsquelle, oft lange Zeit entzog, für die Dauer
nicht ertragen. Dazu kam der Egoismus der Beamten, die zugleich Heerbann¬
führer waren. Sie wußten ihre eigenen Bediensteten (Ministerialen) und
Hörigen vom Kriegsdienste zu befreien und den freien Bauer um so mehr zu
bedrücken, damit er gezwungen sei, sich in ihren Schutz zu begeben, d. h. seine
Freiheit mit einem Dienstverhältniß zu vertauschen.

Anders in den Städten. Hier standen alle Bewohner in mehr oder
weniger nahem Verhältniß zum Bischof oder zum königlichen Meier. Die
Interessen des Verkehrs sind mehr solidarischer Natur. Auch leidet Handel
und Wandel doch nicht in dem Maße unter einem Kriege wie der Ackerbau,
der an die Scholle gebunden ist. Ja, der Verkehr in den Städten, der den
König, den Bischof und das Heer mit allen Lebensmitteln zu versorgen hatte,
konnte noch größere Dimensionen annehmen, während der Ackerbau des kleinen
Mannes, wenn er selbst abwesend war, vollkommen zu Grunde ging.

Dieser, in der Natur des Handels und der Industrie in den Städten auf
der einen Seite, des Ackerbaues auf der andern Seite begründete Unterschied
hat sich nun in den folgenden Zeiten innerer Zerrüttung des fränkischen Reiches
nnter deu letzten Karolingern weiter entwickelt. Aber noch immer hatte der
östliche, unvermischte germanische Theil des fränkischen Reiches, der sich nach
dem Vertrage von Verdun zu einem selbständigen Ganzen konstituirte, an dieser
Entwickelung nicht in dem Maße theilgenommen wie der mehr keltische Westen.
Noch immer waren außer den rheinischen Städten Köln, Worms, Speier,


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[0271] Kam der Hof einmal längere Zeit nicht nach der Pfalz, so stellte sich ein Ueberschuß der Produktion heraus, der verkauft werden mußte. Hier verur¬ sachte also das umgekehrte Verhältniß wie bei den bischöflichen Städten die Entstehung eines Marktes und damit einer Stadt. So lassen sich schon in dieser frühen Epoche jene beiden, für die ganze deutsche Geschichte so wichtigen Städtekategorien unterscheiden, die königlichen Pfalzstädte und die Bischofsstädte. Die Frage ist nun, ob schon in diesem Stadium der Entwickelung ein Gegensatz zwischen städtischem und ländlichem Leben obwaltete? Ist diese Frage zu bejahen, dann gewinnt die Annahme an Wahrscheinlichkeit, daß dieser noch heute bestehende Gegensatz kein willkürlicher und daher beliebig abzuschaffender, sondern ein von Anfang an in der Natur der Dinge begründeter ist. Es ist bekannt, wie sehr es sich Karl der Große angelegen sein ließ, die kleinen, freien Bauern, die anfangs den Grundstock der Bevölkerung gebildet hatten, zu erhalten, wie aber trotz seiner Bemühungen dieser Stand in Folge der drückenden Kriegspflicht immer mehr abnahm. Der kleine Mann konnte die Kosten der Selbstbewaffnnng und der Heeresfolge, die ihn seinen ländlichen Arbeiten, seiner einzigen Erwerbsquelle, oft lange Zeit entzog, für die Dauer nicht ertragen. Dazu kam der Egoismus der Beamten, die zugleich Heerbann¬ führer waren. Sie wußten ihre eigenen Bediensteten (Ministerialen) und Hörigen vom Kriegsdienste zu befreien und den freien Bauer um so mehr zu bedrücken, damit er gezwungen sei, sich in ihren Schutz zu begeben, d. h. seine Freiheit mit einem Dienstverhältniß zu vertauschen. Anders in den Städten. Hier standen alle Bewohner in mehr oder weniger nahem Verhältniß zum Bischof oder zum königlichen Meier. Die Interessen des Verkehrs sind mehr solidarischer Natur. Auch leidet Handel und Wandel doch nicht in dem Maße unter einem Kriege wie der Ackerbau, der an die Scholle gebunden ist. Ja, der Verkehr in den Städten, der den König, den Bischof und das Heer mit allen Lebensmitteln zu versorgen hatte, konnte noch größere Dimensionen annehmen, während der Ackerbau des kleinen Mannes, wenn er selbst abwesend war, vollkommen zu Grunde ging. Dieser, in der Natur des Handels und der Industrie in den Städten auf der einen Seite, des Ackerbaues auf der andern Seite begründete Unterschied hat sich nun in den folgenden Zeiten innerer Zerrüttung des fränkischen Reiches nnter deu letzten Karolingern weiter entwickelt. Aber noch immer hatte der östliche, unvermischte germanische Theil des fränkischen Reiches, der sich nach dem Vertrage von Verdun zu einem selbständigen Ganzen konstituirte, an dieser Entwickelung nicht in dem Maße theilgenommen wie der mehr keltische Westen. Noch immer waren außer den rheinischen Städten Köln, Worms, Speier,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/271>, abgerufen am 23.07.2024.