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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal.

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Bevölkerung wesentlich in derselben Stellung, die sie vorher eingenommen. Die
Rechtsaufzeichnungen -- Hofrechte -- und Güterverzeichnisse, die wir von den
großen Ländereien der Klöster besitzen, weisen neben dem Abt und seinen
Vasallen nur Hörige in verschiedenen Stufen auf. Vou einer freien Bevölke¬
rung auf dem Laude kann nicht die Rede sein.

Dagegen begegnet uns in dieser Zeit, die an großen wirthschaftlichen
Aenderungen so ungemein fruchtbar war, zuerst ein Keim politischer Wirksam¬
keit bei der durch den Reichthum zum Bewußtsein ihrer Macht gelangten
Bürgerschaft. Zwar bestand auch in den Städten noch im 1l>, selbst am An¬
fange des 12. Jahrhunderts die Einwohnerschaft zum großen Theil ans Leuten,
welche dem strengen Rechte nach nicht in völliger Freiheit lebten. Sie waren
meist dem Herrn der Stadt zinsbar und auf diese Weise dinglich abhängig.
Die persönliche Freiheit aber hatten sie sich zum guten Theil bewahrt, und
auch die dingliche verlor durch den Gang der Dinge bald jede Bedeutung.

Es war die Zeit jenes gewaltigen Kampfes der Geister zwischen Papst¬
thum und Kaiserthum, der durch die hartnäckige Strenge Gregors "VII. ent¬
brannt war, und der beinahe die ganze Geschichte unserer Nation bis in die
neueste Zeit herein bedingt hat; es war die Zeit, die den Forscher an der so
oft und viel gerühmten Treue der Deutschen zu ihrem angestammten Kaiser
verzweifeln machen kann, jene Zeit, in der die Fürsten in Verrath, Treulosig¬
keit und selbstischen Eigennutz eine förmliche Virtuosität erreichten, die sie wett¬
eifernd ausbildeten. Gerade in dieser Zeit erwachten die Städte, welche dieses
Treiben der Fürsten zum großen Theil mißbilligten, zu eigenem, selbständigem
Leben. Als Heinrich IV. fast von allen Fürsten verlassen, durch seine Nieder¬
lagen gegen die Sachsen gedemüthigt, sich im Jahre 1073 der Stadt Worms
näherte, da zog ihm die streitbare Bürgerschaft der Stadt entgegen und schwur
ihm Treue bis in den Tod. Und Worms, welches damals seinen dem Kaiser
feindlichen Bischof verjagte, war dann der Stützpunkt für alle Unternehmungen
des unglücklichen Königs. Worms hat durch diese That den Glanz der spä¬
teren Zeit begründet. In dieser Richtung aber hat sich dann die städtische
Politik zunächst weiter entwickelt.

Wie war es aber möglich geworden, daß die Städte so, im Gegensatz zu
ihrem eigentlichen Herrn -- denn auch in Speier hat sich Aehnliches zuge¬
tragen -- eine eigene Politik einzuschlagen fähig waren? --Dies zu verstehen,
müssen wir einen Blick auf die innere Entwickelung der Städte in jener Zeit
werfen.

Wir haben schon angedeutet, wie der wachsende Verkehr und Wohlstand
der industriellen Bevölkerung eine größere Selbständigkeit dem Herrn der Stadt,
dem Bischof oder königlichen Vogt, gegenüber verschaffen mußten, als dies auf


Bevölkerung wesentlich in derselben Stellung, die sie vorher eingenommen. Die
Rechtsaufzeichnungen — Hofrechte — und Güterverzeichnisse, die wir von den
großen Ländereien der Klöster besitzen, weisen neben dem Abt und seinen
Vasallen nur Hörige in verschiedenen Stufen auf. Vou einer freien Bevölke¬
rung auf dem Laude kann nicht die Rede sein.

Dagegen begegnet uns in dieser Zeit, die an großen wirthschaftlichen
Aenderungen so ungemein fruchtbar war, zuerst ein Keim politischer Wirksam¬
keit bei der durch den Reichthum zum Bewußtsein ihrer Macht gelangten
Bürgerschaft. Zwar bestand auch in den Städten noch im 1l>, selbst am An¬
fange des 12. Jahrhunderts die Einwohnerschaft zum großen Theil ans Leuten,
welche dem strengen Rechte nach nicht in völliger Freiheit lebten. Sie waren
meist dem Herrn der Stadt zinsbar und auf diese Weise dinglich abhängig.
Die persönliche Freiheit aber hatten sie sich zum guten Theil bewahrt, und
auch die dingliche verlor durch den Gang der Dinge bald jede Bedeutung.

Es war die Zeit jenes gewaltigen Kampfes der Geister zwischen Papst¬
thum und Kaiserthum, der durch die hartnäckige Strenge Gregors "VII. ent¬
brannt war, und der beinahe die ganze Geschichte unserer Nation bis in die
neueste Zeit herein bedingt hat; es war die Zeit, die den Forscher an der so
oft und viel gerühmten Treue der Deutschen zu ihrem angestammten Kaiser
verzweifeln machen kann, jene Zeit, in der die Fürsten in Verrath, Treulosig¬
keit und selbstischen Eigennutz eine förmliche Virtuosität erreichten, die sie wett¬
eifernd ausbildeten. Gerade in dieser Zeit erwachten die Städte, welche dieses
Treiben der Fürsten zum großen Theil mißbilligten, zu eigenem, selbständigem
Leben. Als Heinrich IV. fast von allen Fürsten verlassen, durch seine Nieder¬
lagen gegen die Sachsen gedemüthigt, sich im Jahre 1073 der Stadt Worms
näherte, da zog ihm die streitbare Bürgerschaft der Stadt entgegen und schwur
ihm Treue bis in den Tod. Und Worms, welches damals seinen dem Kaiser
feindlichen Bischof verjagte, war dann der Stützpunkt für alle Unternehmungen
des unglücklichen Königs. Worms hat durch diese That den Glanz der spä¬
teren Zeit begründet. In dieser Richtung aber hat sich dann die städtische
Politik zunächst weiter entwickelt.

Wie war es aber möglich geworden, daß die Städte so, im Gegensatz zu
ihrem eigentlichen Herrn — denn auch in Speier hat sich Aehnliches zuge¬
tragen — eine eigene Politik einzuschlagen fähig waren? —Dies zu verstehen,
müssen wir einen Blick auf die innere Entwickelung der Städte in jener Zeit
werfen.

Wir haben schon angedeutet, wie der wachsende Verkehr und Wohlstand
der industriellen Bevölkerung eine größere Selbständigkeit dem Herrn der Stadt,
dem Bischof oder königlichen Vogt, gegenüber verschaffen mußten, als dies auf


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[0273] Bevölkerung wesentlich in derselben Stellung, die sie vorher eingenommen. Die Rechtsaufzeichnungen — Hofrechte — und Güterverzeichnisse, die wir von den großen Ländereien der Klöster besitzen, weisen neben dem Abt und seinen Vasallen nur Hörige in verschiedenen Stufen auf. Vou einer freien Bevölke¬ rung auf dem Laude kann nicht die Rede sein. Dagegen begegnet uns in dieser Zeit, die an großen wirthschaftlichen Aenderungen so ungemein fruchtbar war, zuerst ein Keim politischer Wirksam¬ keit bei der durch den Reichthum zum Bewußtsein ihrer Macht gelangten Bürgerschaft. Zwar bestand auch in den Städten noch im 1l>, selbst am An¬ fange des 12. Jahrhunderts die Einwohnerschaft zum großen Theil ans Leuten, welche dem strengen Rechte nach nicht in völliger Freiheit lebten. Sie waren meist dem Herrn der Stadt zinsbar und auf diese Weise dinglich abhängig. Die persönliche Freiheit aber hatten sie sich zum guten Theil bewahrt, und auch die dingliche verlor durch den Gang der Dinge bald jede Bedeutung. Es war die Zeit jenes gewaltigen Kampfes der Geister zwischen Papst¬ thum und Kaiserthum, der durch die hartnäckige Strenge Gregors "VII. ent¬ brannt war, und der beinahe die ganze Geschichte unserer Nation bis in die neueste Zeit herein bedingt hat; es war die Zeit, die den Forscher an der so oft und viel gerühmten Treue der Deutschen zu ihrem angestammten Kaiser verzweifeln machen kann, jene Zeit, in der die Fürsten in Verrath, Treulosig¬ keit und selbstischen Eigennutz eine förmliche Virtuosität erreichten, die sie wett¬ eifernd ausbildeten. Gerade in dieser Zeit erwachten die Städte, welche dieses Treiben der Fürsten zum großen Theil mißbilligten, zu eigenem, selbständigem Leben. Als Heinrich IV. fast von allen Fürsten verlassen, durch seine Nieder¬ lagen gegen die Sachsen gedemüthigt, sich im Jahre 1073 der Stadt Worms näherte, da zog ihm die streitbare Bürgerschaft der Stadt entgegen und schwur ihm Treue bis in den Tod. Und Worms, welches damals seinen dem Kaiser feindlichen Bischof verjagte, war dann der Stützpunkt für alle Unternehmungen des unglücklichen Königs. Worms hat durch diese That den Glanz der spä¬ teren Zeit begründet. In dieser Richtung aber hat sich dann die städtische Politik zunächst weiter entwickelt. Wie war es aber möglich geworden, daß die Städte so, im Gegensatz zu ihrem eigentlichen Herrn — denn auch in Speier hat sich Aehnliches zuge¬ tragen — eine eigene Politik einzuschlagen fähig waren? —Dies zu verstehen, müssen wir einen Blick auf die innere Entwickelung der Städte in jener Zeit werfen. Wir haben schon angedeutet, wie der wachsende Verkehr und Wohlstand der industriellen Bevölkerung eine größere Selbständigkeit dem Herrn der Stadt, dem Bischof oder königlichen Vogt, gegenüber verschaffen mußten, als dies auf

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/273>, abgerufen am 23.07.2024.