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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal.

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Maße theilte, weil die in Deutschland herrschende politische Richtung der Libe¬
ralismus war, und weil der letztere endlich sich zugleich zum Schildhalter
nationaler Gesinnung hinstellte und so zum Nationalliberalismus wurde, so
nahm die "Altenburger Zeitung" die nationalliberale Richtung an. Es soll damit
nicht gesagt werden, daß es nicht auch Männer in Altenburg gäbe, welche wirk¬
lich nationalliberal wären; es gibt hier entschieden eine nationalliberale Partei,
die sehr rührig ist und den dominirenden Einfluß im Lande zu gewinnen sucht.
Nur ist es eine kleine Partei; sie ist nicht entfernt so groß wie die Auflageziffer
der "A. Z." Ganz wesentlich kommt dieser Partei zu statten, daß ihr Organ
die einzige Zeitung ist, die im Lande erscheint, und überall gelesen wird. Als
daher während und nach dem Kriege gegen Frankreich die Wogen der natio¬
nalen Begeisterung am höchsten gingen, da jubelte auch sie mit der liberalen
Presse, "daß es eine Lust sei, zu leben"; da wußte sie die Vorstellung in dem
konservativen Lande zu verbreiten, daß "liberal" gleichbedeutend sei mit "ehren¬
haft" und der Nationalliberalismus mit patriotischer Ehrenhaftigkeit gleichbe¬
deutend sei, so daß der konservativste Altenburger Bauer, eben in diesem Sinne,
bei mancher Wahlversammlung ausrief: "Wir sind alle liberal!" und "kon¬
servativ" hier gleichbedeutend wurde mit "reaktionär" und "Finsterling". Ist
nun der beste Beweis für die Redlichkeit irgend welcher Ueberzeugung, daß
man eine andere, selbst feindliche Ueberzeugung wenn auch nicht zu ehren, so
doch zu achten wisse, und daß man tolerant sei, so war es auffällig, daß die
"A. Z." in der Verfolgung Andersgesinnter mit der Hetze und Intoleranz der
Berliner Judenblätter wetteiferte. Als z. B. im Januar l878 eine kleine
Anzahl selbständig denkender Männer sich von dem Banne des nationalliberalen
Organs losmachte und statt des bisherigen nationalliberalen Reichstagsabge¬
ordneten den früheren preußischen Regierungspräsidenten von Kassel, den im
Saalkreise des Landes ansässigen Freiherrn von Hardenberg, als Reichstags¬
kandidaten aufstellte, welcher erklärt hatte, daß er, falls er gewählt würde, der
freikonservativen Partei beitreten würde, da war der "A. Z." keine Schmähung
schmutzig und gemein genug, die sie nicht den Wählern des Herrn von Harden¬
berg an den Kopf geworfen hätte; sie stellte dieselben mit den verhaßten Zen¬
trumsmitgliedern und Sozialdemokraten ungefähr auf gleiche Stufe. Als aber
die Stimmung immer mehr umschlug und auch die "A. Z." sehr wohl einsehen
mußte, daß der allzustraff gespannte Bogen springe, so stellte sie, als in Folge
der bekannten Vorgänge des vorigen Jahres der Reichstag bereits nach sechs
Monaten aufgelöst wurde, selbst einen fr eikonservativ en Kandidaten
auf, während sie noch sechs Monate vorher die Aufstellung eines freikonser¬
vativen Kandidaten als reichsfeindlich bezeichnet hatte! Sie wußte freilich,
daß ein andrer nicht wohl durchzubringen war, und sie wollte lieber eine ge-


Maße theilte, weil die in Deutschland herrschende politische Richtung der Libe¬
ralismus war, und weil der letztere endlich sich zugleich zum Schildhalter
nationaler Gesinnung hinstellte und so zum Nationalliberalismus wurde, so
nahm die „Altenburger Zeitung" die nationalliberale Richtung an. Es soll damit
nicht gesagt werden, daß es nicht auch Männer in Altenburg gäbe, welche wirk¬
lich nationalliberal wären; es gibt hier entschieden eine nationalliberale Partei,
die sehr rührig ist und den dominirenden Einfluß im Lande zu gewinnen sucht.
Nur ist es eine kleine Partei; sie ist nicht entfernt so groß wie die Auflageziffer
der „A. Z." Ganz wesentlich kommt dieser Partei zu statten, daß ihr Organ
die einzige Zeitung ist, die im Lande erscheint, und überall gelesen wird. Als
daher während und nach dem Kriege gegen Frankreich die Wogen der natio¬
nalen Begeisterung am höchsten gingen, da jubelte auch sie mit der liberalen
Presse, „daß es eine Lust sei, zu leben"; da wußte sie die Vorstellung in dem
konservativen Lande zu verbreiten, daß „liberal" gleichbedeutend sei mit „ehren¬
haft" und der Nationalliberalismus mit patriotischer Ehrenhaftigkeit gleichbe¬
deutend sei, so daß der konservativste Altenburger Bauer, eben in diesem Sinne,
bei mancher Wahlversammlung ausrief: „Wir sind alle liberal!" und „kon¬
servativ" hier gleichbedeutend wurde mit „reaktionär" und „Finsterling". Ist
nun der beste Beweis für die Redlichkeit irgend welcher Ueberzeugung, daß
man eine andere, selbst feindliche Ueberzeugung wenn auch nicht zu ehren, so
doch zu achten wisse, und daß man tolerant sei, so war es auffällig, daß die
„A. Z." in der Verfolgung Andersgesinnter mit der Hetze und Intoleranz der
Berliner Judenblätter wetteiferte. Als z. B. im Januar l878 eine kleine
Anzahl selbständig denkender Männer sich von dem Banne des nationalliberalen
Organs losmachte und statt des bisherigen nationalliberalen Reichstagsabge¬
ordneten den früheren preußischen Regierungspräsidenten von Kassel, den im
Saalkreise des Landes ansässigen Freiherrn von Hardenberg, als Reichstags¬
kandidaten aufstellte, welcher erklärt hatte, daß er, falls er gewählt würde, der
freikonservativen Partei beitreten würde, da war der „A. Z." keine Schmähung
schmutzig und gemein genug, die sie nicht den Wählern des Herrn von Harden¬
berg an den Kopf geworfen hätte; sie stellte dieselben mit den verhaßten Zen¬
trumsmitgliedern und Sozialdemokraten ungefähr auf gleiche Stufe. Als aber
die Stimmung immer mehr umschlug und auch die „A. Z." sehr wohl einsehen
mußte, daß der allzustraff gespannte Bogen springe, so stellte sie, als in Folge
der bekannten Vorgänge des vorigen Jahres der Reichstag bereits nach sechs
Monaten aufgelöst wurde, selbst einen fr eikonservativ en Kandidaten
auf, während sie noch sechs Monate vorher die Aufstellung eines freikonser¬
vativen Kandidaten als reichsfeindlich bezeichnet hatte! Sie wußte freilich,
daß ein andrer nicht wohl durchzubringen war, und sie wollte lieber eine ge-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/253>, abgerufen am 28.09.2024.