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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal.

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Hältnisse in keiner Weise gestört, und unter dem Schutze des deutschen Bundes
fand dieses behagliche Dasein das fröhlichste Gedeihen. Mit größeren staat¬
lichen Aufgaben hatte man sich nicht zu befassen; das Wohlbefinden des sür
seine Lage und Fruchtbarkeit nicht eben dicht bevölkerten Landes, das gegen¬
wärtig wenig mehr als 6000 Seelen auf der Quadratmeile zählt, war die
einzige Aufgabe, die man zu lösen hatte; in patriarchalischer Verlorenheit an
die Außenwelt bildete man eine friedliche Welt für sich. Im Innern freilich
sah dieser Frieden etwas anders aus. Wenn ein alter griechischer Dichter als
das rühmlichste Streben',, des Mannes bezeichnet: "immer der erste zu sein und
vorzustreben den andern", so faßte man diese Aufforderung auch in diesen Kreisen
lebhaft auf; immer der erste zu sein, und noch lieber: mehr zu sein als die
andern, das war in der That dasjenige, was diesen Kreisen ein gewisses Leben
verlieh. Natürlich meinte man das praktisch nicht ganz so wie der alte Grieche,
und mehr sein bedeutete hier nur: mehr Einfluß haben oder doch in Reich¬
thum und Aufwand es andern zuvorthun. Eine öffentliche Meinung gab es
hier noch weniger als anderswo; die Zeitungen oder Wochenblätter, welche
nach und nach in den meisten Städten des Landes auftauchten, wollten nichts
anders, als die Eigner der Scholle von den Vorgängen des Landes und der
Nachbarländer, vielleicht auch andrer Kulturländer benachrichtigen.

Einen Umschwung führten, wie anderwärts, so auch hier die Ereignisse
von 1866 und 1870 herbei. Als die Söhne des Landes mit,an den Rhein
zogen, um deutsche Ehre zu schirmen, da war jeder Herd, der einen Streiter
mitgab, mit seinem eignen Blute bei Erfolg oder Niederlage der deutschen Waffen
betheiligt und dem entsprechend interessirt, und diese gaben auch für andere den
Ton an; neben den Angelegenheiten des Herzogthums traten die des ganzen
deutschen Volkes in den Vordergrund, und das bisher ziemlich isolirt gebliebene
Land wurde in den breiten Strom des nationalen Lebens mit hineingezogen.

Mit dem erwachenden Interesse an den Ereignissen des nationalen Lebens
entwickelte sich auch die Presse. Sie war allerdings nur durch Lokalblätter
vertreten, davon jede Stadt das ihre hatte; aber bald hob sich die "Altenburger
Zeitung" über die übrigen Lokalblätter empor und wurde zu einer Art Landes¬
zeitung mit einer gewissen Tendenz. Sie begnügte sich nicht mehr damit!, wie
alle Presse anfängt, ihre Leser von den Geschehnissen des Landes und der Außen¬
welt zu unterrichten; sie nahm vielmehr eine bestimmte Richtung an und suchte
ihre Leser für diese Richtung zu gewinnen. Sie fand in dieser Beziehung
nichts vor bei der Bevölkerung des Landes, welche allerdings naturgemäß, aber
gleichsam unbewußt, streng konservativ war. Weil man aber beim Eintritt in
das nationale Leben des ganzen Deutschlands dasselbe gleich von der erfreu¬
lichsten Seite hatte kennen lernen und die nationale Begeisterung in vollem


Hältnisse in keiner Weise gestört, und unter dem Schutze des deutschen Bundes
fand dieses behagliche Dasein das fröhlichste Gedeihen. Mit größeren staat¬
lichen Aufgaben hatte man sich nicht zu befassen; das Wohlbefinden des sür
seine Lage und Fruchtbarkeit nicht eben dicht bevölkerten Landes, das gegen¬
wärtig wenig mehr als 6000 Seelen auf der Quadratmeile zählt, war die
einzige Aufgabe, die man zu lösen hatte; in patriarchalischer Verlorenheit an
die Außenwelt bildete man eine friedliche Welt für sich. Im Innern freilich
sah dieser Frieden etwas anders aus. Wenn ein alter griechischer Dichter als
das rühmlichste Streben',, des Mannes bezeichnet: „immer der erste zu sein und
vorzustreben den andern", so faßte man diese Aufforderung auch in diesen Kreisen
lebhaft auf; immer der erste zu sein, und noch lieber: mehr zu sein als die
andern, das war in der That dasjenige, was diesen Kreisen ein gewisses Leben
verlieh. Natürlich meinte man das praktisch nicht ganz so wie der alte Grieche,
und mehr sein bedeutete hier nur: mehr Einfluß haben oder doch in Reich¬
thum und Aufwand es andern zuvorthun. Eine öffentliche Meinung gab es
hier noch weniger als anderswo; die Zeitungen oder Wochenblätter, welche
nach und nach in den meisten Städten des Landes auftauchten, wollten nichts
anders, als die Eigner der Scholle von den Vorgängen des Landes und der
Nachbarländer, vielleicht auch andrer Kulturländer benachrichtigen.

Einen Umschwung führten, wie anderwärts, so auch hier die Ereignisse
von 1866 und 1870 herbei. Als die Söhne des Landes mit,an den Rhein
zogen, um deutsche Ehre zu schirmen, da war jeder Herd, der einen Streiter
mitgab, mit seinem eignen Blute bei Erfolg oder Niederlage der deutschen Waffen
betheiligt und dem entsprechend interessirt, und diese gaben auch für andere den
Ton an; neben den Angelegenheiten des Herzogthums traten die des ganzen
deutschen Volkes in den Vordergrund, und das bisher ziemlich isolirt gebliebene
Land wurde in den breiten Strom des nationalen Lebens mit hineingezogen.

Mit dem erwachenden Interesse an den Ereignissen des nationalen Lebens
entwickelte sich auch die Presse. Sie war allerdings nur durch Lokalblätter
vertreten, davon jede Stadt das ihre hatte; aber bald hob sich die „Altenburger
Zeitung" über die übrigen Lokalblätter empor und wurde zu einer Art Landes¬
zeitung mit einer gewissen Tendenz. Sie begnügte sich nicht mehr damit!, wie
alle Presse anfängt, ihre Leser von den Geschehnissen des Landes und der Außen¬
welt zu unterrichten; sie nahm vielmehr eine bestimmte Richtung an und suchte
ihre Leser für diese Richtung zu gewinnen. Sie fand in dieser Beziehung
nichts vor bei der Bevölkerung des Landes, welche allerdings naturgemäß, aber
gleichsam unbewußt, streng konservativ war. Weil man aber beim Eintritt in
das nationale Leben des ganzen Deutschlands dasselbe gleich von der erfreu¬
lichsten Seite hatte kennen lernen und die nationale Begeisterung in vollem


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[0252] Hältnisse in keiner Weise gestört, und unter dem Schutze des deutschen Bundes fand dieses behagliche Dasein das fröhlichste Gedeihen. Mit größeren staat¬ lichen Aufgaben hatte man sich nicht zu befassen; das Wohlbefinden des sür seine Lage und Fruchtbarkeit nicht eben dicht bevölkerten Landes, das gegen¬ wärtig wenig mehr als 6000 Seelen auf der Quadratmeile zählt, war die einzige Aufgabe, die man zu lösen hatte; in patriarchalischer Verlorenheit an die Außenwelt bildete man eine friedliche Welt für sich. Im Innern freilich sah dieser Frieden etwas anders aus. Wenn ein alter griechischer Dichter als das rühmlichste Streben',, des Mannes bezeichnet: „immer der erste zu sein und vorzustreben den andern", so faßte man diese Aufforderung auch in diesen Kreisen lebhaft auf; immer der erste zu sein, und noch lieber: mehr zu sein als die andern, das war in der That dasjenige, was diesen Kreisen ein gewisses Leben verlieh. Natürlich meinte man das praktisch nicht ganz so wie der alte Grieche, und mehr sein bedeutete hier nur: mehr Einfluß haben oder doch in Reich¬ thum und Aufwand es andern zuvorthun. Eine öffentliche Meinung gab es hier noch weniger als anderswo; die Zeitungen oder Wochenblätter, welche nach und nach in den meisten Städten des Landes auftauchten, wollten nichts anders, als die Eigner der Scholle von den Vorgängen des Landes und der Nachbarländer, vielleicht auch andrer Kulturländer benachrichtigen. Einen Umschwung führten, wie anderwärts, so auch hier die Ereignisse von 1866 und 1870 herbei. Als die Söhne des Landes mit,an den Rhein zogen, um deutsche Ehre zu schirmen, da war jeder Herd, der einen Streiter mitgab, mit seinem eignen Blute bei Erfolg oder Niederlage der deutschen Waffen betheiligt und dem entsprechend interessirt, und diese gaben auch für andere den Ton an; neben den Angelegenheiten des Herzogthums traten die des ganzen deutschen Volkes in den Vordergrund, und das bisher ziemlich isolirt gebliebene Land wurde in den breiten Strom des nationalen Lebens mit hineingezogen. Mit dem erwachenden Interesse an den Ereignissen des nationalen Lebens entwickelte sich auch die Presse. Sie war allerdings nur durch Lokalblätter vertreten, davon jede Stadt das ihre hatte; aber bald hob sich die „Altenburger Zeitung" über die übrigen Lokalblätter empor und wurde zu einer Art Landes¬ zeitung mit einer gewissen Tendenz. Sie begnügte sich nicht mehr damit!, wie alle Presse anfängt, ihre Leser von den Geschehnissen des Landes und der Außen¬ welt zu unterrichten; sie nahm vielmehr eine bestimmte Richtung an und suchte ihre Leser für diese Richtung zu gewinnen. Sie fand in dieser Beziehung nichts vor bei der Bevölkerung des Landes, welche allerdings naturgemäß, aber gleichsam unbewußt, streng konservativ war. Weil man aber beim Eintritt in das nationale Leben des ganzen Deutschlands dasselbe gleich von der erfreu¬ lichsten Seite hatte kennen lernen und die nationale Begeisterung in vollem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/252>, abgerufen am 25.08.2024.