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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal.

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bekennen, der Ehrgeiz erstickte einen Augenblick jenes Gefühl von -- ich will
nicht sagen Furcht, aber doch von etwas sehr verwandtem, das mich beschlich,
indem ich die guten und schlimmen Aussichten meines bevorstehenden Rittes
erwog.

Als ich in mein Zelt zurückkam, erachtete ich es als meine nächste Pflicht,
mich niederzulegen, denn ich mußte mich durch den Schlaf für die schlaflose
Nacht stärken. Als meine Kameraden erfuhren, weshalb der General mich zu
sich gerufen hatte, ließen sie mich in Ruhe und störten mich weder durch Ein¬
ladung zum Kartenspiel, noch durch andere mehr oder minder verführerische
Lockungen; und mein Nachbar, ein Artillerist, sagte: "Weißt du was? Laß
doch auf alle Fälle deine Uhr und deine Brieftasche da. Weshalb sie un-
nöthigerweise aussetzen?" Ich muß ihm jedoch einen fürchterlichen Blick zuge¬
worfen haben, denn er zog sich eilig zurück und murmelte: "Ich sage es ja
nicht aus habgieriger Absicht. Es wäre nur schade, wenn so schöne Dinge
diesem schiefäugigen Gesinde! in die Hände fielen." -- "Aber woher weißt du
denn so gewiß, daß ich gleich verloren sein muß, und daß ich nicht glücklich
durchkomme?" schrie ich überlaut, drehte mich nach der Wand und steckte den
Kopf ins Bettuch. --

Langsam sank die purpurne, wie Eisen glühende Sonne in den dichten
Nebel, die blutrothe Scheibe schien von ungeheurem Umfang. Sie warf keine
Strahlen, aber sie goß über die ganze Steppe einen matten, röthlichen Schimmer,
der auf deu Steinen und Zeltdächern spielte und über die Spitzen der Piken,
welche bei den Pferdepflöcken der Kosaken palissadenförmig im Boden steckten,
und über die Bajonette der Infanterie-Gewehrpyramiden glitt. Die Kameele
stießen ein dumpfes Gebrüll aus; sie wurden jetzt in langen Reihen zur Tränke
an die Brunnen geführt. Vorsichtig drängte ich mich an den Soldatenzelten
vorbei und war bald an den letzten Wachtposten vorüber im Freien. Unser
Lager ließ ich hinter mir, und mit jedem Schritt meines Pferdes wurde das
mannigfache Geräusch leiser.

Bald waren auch die letzten zitternden Laute verhallt. Aeugstliche Todten-
stille umgab mich, jene schreckliche, herzbeklemmende, abergläubisches Grausen
weckende Stille der Wüste. Eins, zwei -- eins, zwei -- eins, zwei -- so hallten
deutlich die flachen turkomanischen Hufeisen meines Orlik. Daneben stampften
die Gäule zweier uralischen Kosaken, die mir auf Gott weiß welche Inspiration
hin als nutzlose Bedeckung mitgegeben worden waren. Mit gemischtem Gefühl
betrachtete ich diese stämmigen, bärtigen Gesellen, welche nachlässig gebückt in
ihren hohen Sätteln saßen. Ich war froh über ihre Anwesenheit und war es
auch wieder nicht. Einerseits hatte ich jemand, mit dem ich in dieser todten
Steppe ein Wort reden konnte, andrerseits beschlich mich aber auch ein sehr


bekennen, der Ehrgeiz erstickte einen Augenblick jenes Gefühl von — ich will
nicht sagen Furcht, aber doch von etwas sehr verwandtem, das mich beschlich,
indem ich die guten und schlimmen Aussichten meines bevorstehenden Rittes
erwog.

Als ich in mein Zelt zurückkam, erachtete ich es als meine nächste Pflicht,
mich niederzulegen, denn ich mußte mich durch den Schlaf für die schlaflose
Nacht stärken. Als meine Kameraden erfuhren, weshalb der General mich zu
sich gerufen hatte, ließen sie mich in Ruhe und störten mich weder durch Ein¬
ladung zum Kartenspiel, noch durch andere mehr oder minder verführerische
Lockungen; und mein Nachbar, ein Artillerist, sagte: „Weißt du was? Laß
doch auf alle Fälle deine Uhr und deine Brieftasche da. Weshalb sie un-
nöthigerweise aussetzen?" Ich muß ihm jedoch einen fürchterlichen Blick zuge¬
worfen haben, denn er zog sich eilig zurück und murmelte: „Ich sage es ja
nicht aus habgieriger Absicht. Es wäre nur schade, wenn so schöne Dinge
diesem schiefäugigen Gesinde! in die Hände fielen." — „Aber woher weißt du
denn so gewiß, daß ich gleich verloren sein muß, und daß ich nicht glücklich
durchkomme?" schrie ich überlaut, drehte mich nach der Wand und steckte den
Kopf ins Bettuch. —

Langsam sank die purpurne, wie Eisen glühende Sonne in den dichten
Nebel, die blutrothe Scheibe schien von ungeheurem Umfang. Sie warf keine
Strahlen, aber sie goß über die ganze Steppe einen matten, röthlichen Schimmer,
der auf deu Steinen und Zeltdächern spielte und über die Spitzen der Piken,
welche bei den Pferdepflöcken der Kosaken palissadenförmig im Boden steckten,
und über die Bajonette der Infanterie-Gewehrpyramiden glitt. Die Kameele
stießen ein dumpfes Gebrüll aus; sie wurden jetzt in langen Reihen zur Tränke
an die Brunnen geführt. Vorsichtig drängte ich mich an den Soldatenzelten
vorbei und war bald an den letzten Wachtposten vorüber im Freien. Unser
Lager ließ ich hinter mir, und mit jedem Schritt meines Pferdes wurde das
mannigfache Geräusch leiser.

Bald waren auch die letzten zitternden Laute verhallt. Aeugstliche Todten-
stille umgab mich, jene schreckliche, herzbeklemmende, abergläubisches Grausen
weckende Stille der Wüste. Eins, zwei — eins, zwei — eins, zwei — so hallten
deutlich die flachen turkomanischen Hufeisen meines Orlik. Daneben stampften
die Gäule zweier uralischen Kosaken, die mir auf Gott weiß welche Inspiration
hin als nutzlose Bedeckung mitgegeben worden waren. Mit gemischtem Gefühl
betrachtete ich diese stämmigen, bärtigen Gesellen, welche nachlässig gebückt in
ihren hohen Sätteln saßen. Ich war froh über ihre Anwesenheit und war es
auch wieder nicht. Einerseits hatte ich jemand, mit dem ich in dieser todten
Steppe ein Wort reden konnte, andrerseits beschlich mich aber auch ein sehr


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/24>, abgerufen am 23.07.2024.