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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal.

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trag ausführen." -- "Ich bin bereit, Excellenz", wollte ich versichern. "Nein,
nein, ruhen Sie nur vorher aus. Sie haben einen beschwerlichen und nicht
ganz ungefährlichen Weg vor sich."

Der General stand auf, ging zweimal in der Kibitka auf und ab und fuhr
fort: "Hier diese Kouverte -- es sind zwei -- bringen Sie dem Oberst A.
bei der Avant-Garde. Er ist uns, wie Sie wissen, einen Tagemarsch voraus,
in einer Entfernung von -- von -- Gott weiß wie weit; kurz, Sie tragen
Sorge, noch in der Nacht hinzukommen, ehe er von seinem Nachtlager auf¬
bricht. Verstanden?" -- "Ich verstehe, Excellenz", flüsterte ich, und wahr¬
scheinlich klang aus meiner Stimme etwas heraus, das ihm ausfiel, deun der
General blickte mich einen Augenblick scharf an und setzte dann hinzu: "Die
Dunkelheit der Nacht schützt Sie, die Sache ist nicht so gefährlich, wie sie auf
den ersten Blick aussieht. Zudem haben Sie ja ein so herrliches Pferd. Ein
Vollblutturkomane, nicht wahr?" --"Ja, Excellenz ; das heißt, er ist nicht sowohl
Vollblut --" "Beim vorjährigen Rennen hat er sich bedeutend ausgezeichnet,
Sie haben den ersten Preis gewonnen?" -- "Ja, Excellenz, aber jetzt ist er
auf dem linken Fuße nicht mehr ganz fest", antwortete ich ein wenig im Moli¬
tor. Der General schien jedoch diesem Umstände keine besondere Aufmerksam¬
keit zu schenken.

"Sie reiten also -- die Richtung ist Ihnen bekannt, und was den genauen
Weg betrifft, so kann eine solche Abtheilung nicht durch die nackte Steppe ziehen,
ohne deutliche Spuren zu hinterlassen. Führer haben Sie daher nicht nöthig,
es sind ja überhaupt keine vorhanden." -- "Aber für den Fall, daß --", wollte
ich einwenden, und kalter Schweiß brach mir aus beim bloßen Gedanken an
diesen Fall. "Sie reiten mit Sonnenuntergang weg. Auf Wiedersehen! Glück¬
liche Reise! Benachrichtigen Sie mich von der Stunde, von der Minute Ihres
Abgangs."

Schweigend empfing ich die beiden gewichtigen Kouverte, drehte sie in den
Händen um, verbeugte mich und ging hinaus. Ich hatte noch keine zehn
Schritte gethan, als ich hinter mir nochmals die Stimme des Generals ver¬
nahm, der laut und deutlich meinen Namen rief. Ich wandte mich um, der
General sah aus der Kibitka und rief mich zurück. Die Schildwachen präsen-
tirten und verharrten regungslos, die gefangenen Chiwiner blickten sich ängst¬
lich um.

"Es ist durchaus nothwendig, daß diese Kouverte rechtzeitig in die Hand
des Obersten A. gelangen. Und es versteht sich, daß Sie nichts im Dienst
verlieren, wenn -- Nun, Gott sei mit Ihnen!" Der General klopfte mir auf
die Schulter und verschwand wieder in der Kibitka.

Diesen letzteren Wink fand ich gleichfalls sehr verständlich, und ich Muß


trag ausführen." — „Ich bin bereit, Excellenz", wollte ich versichern. „Nein,
nein, ruhen Sie nur vorher aus. Sie haben einen beschwerlichen und nicht
ganz ungefährlichen Weg vor sich."

Der General stand auf, ging zweimal in der Kibitka auf und ab und fuhr
fort: „Hier diese Kouverte — es sind zwei — bringen Sie dem Oberst A.
bei der Avant-Garde. Er ist uns, wie Sie wissen, einen Tagemarsch voraus,
in einer Entfernung von — von — Gott weiß wie weit; kurz, Sie tragen
Sorge, noch in der Nacht hinzukommen, ehe er von seinem Nachtlager auf¬
bricht. Verstanden?" — „Ich verstehe, Excellenz", flüsterte ich, und wahr¬
scheinlich klang aus meiner Stimme etwas heraus, das ihm ausfiel, deun der
General blickte mich einen Augenblick scharf an und setzte dann hinzu: „Die
Dunkelheit der Nacht schützt Sie, die Sache ist nicht so gefährlich, wie sie auf
den ersten Blick aussieht. Zudem haben Sie ja ein so herrliches Pferd. Ein
Vollblutturkomane, nicht wahr?" —„Ja, Excellenz ; das heißt, er ist nicht sowohl
Vollblut —" „Beim vorjährigen Rennen hat er sich bedeutend ausgezeichnet,
Sie haben den ersten Preis gewonnen?" — „Ja, Excellenz, aber jetzt ist er
auf dem linken Fuße nicht mehr ganz fest", antwortete ich ein wenig im Moli¬
tor. Der General schien jedoch diesem Umstände keine besondere Aufmerksam¬
keit zu schenken.

„Sie reiten also — die Richtung ist Ihnen bekannt, und was den genauen
Weg betrifft, so kann eine solche Abtheilung nicht durch die nackte Steppe ziehen,
ohne deutliche Spuren zu hinterlassen. Führer haben Sie daher nicht nöthig,
es sind ja überhaupt keine vorhanden." — „Aber für den Fall, daß —", wollte
ich einwenden, und kalter Schweiß brach mir aus beim bloßen Gedanken an
diesen Fall. „Sie reiten mit Sonnenuntergang weg. Auf Wiedersehen! Glück¬
liche Reise! Benachrichtigen Sie mich von der Stunde, von der Minute Ihres
Abgangs."

Schweigend empfing ich die beiden gewichtigen Kouverte, drehte sie in den
Händen um, verbeugte mich und ging hinaus. Ich hatte noch keine zehn
Schritte gethan, als ich hinter mir nochmals die Stimme des Generals ver¬
nahm, der laut und deutlich meinen Namen rief. Ich wandte mich um, der
General sah aus der Kibitka und rief mich zurück. Die Schildwachen präsen-
tirten und verharrten regungslos, die gefangenen Chiwiner blickten sich ängst¬
lich um.

„Es ist durchaus nothwendig, daß diese Kouverte rechtzeitig in die Hand
des Obersten A. gelangen. Und es versteht sich, daß Sie nichts im Dienst
verlieren, wenn — Nun, Gott sei mit Ihnen!" Der General klopfte mir auf
die Schulter und verschwand wieder in der Kibitka.

Diesen letzteren Wink fand ich gleichfalls sehr verständlich, und ich Muß


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/23>, abgerufen am 23.07.2024.