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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal.

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unangenehmer Gedanke. Ich betrachtete mir die dickbeinigen, fettgemüsteten
Pferdchen, die zwar bei fortgesetztem gemäßigten Lauf unermüdlich, aber durchaus
nicht flink auf kurzen Strecken sind. Wie, wenn wir auf eine Räuberbande
stießen? Was meinem Turkomanen eine Kleinigkeit schien, daran war für sie gar
nicht zu denken. Mir blieb in diesem Falle nur die Wahl, entweder mit diesen
beiden Kosaken zu sterben oder sie ihrem Schicksale zu überlassen und mich
allein zu retten. Die Dienstpflicht legte mir das letztere auf, die Ehre verlangte
das erstere. Warum war ich aber auch nicht so klug gewesen, mir dieses
nutzlose Geleit zu verbitten? So fragte ich mich ärgerlich im Stillen, und um
meinen Verdruß ein wenig auszulassen, kitzelte ich meinen Orlik leicht mit dem
Sporn in der Flanke.

Nur ein kleiner, von Finsterniß verschleierter Raum lag vor mir, denn
der Horizont verschwamm bald, und alles zerfloß im Nebel. Kaum blinkte
hoch oben ein einzelner Stern; ein seltsames, milchweißes, phvsphoreszirendes
Licht zitterte auf der steinigen Steppenfläche, die mit dürren Stechpflanzen
besät war. Dieses Gewächs taugt nur zum Brennmaterial, denn es wird
selbst von den nichts weniger als wählerischen Kameelen verschmäht, da auch
diese uicht wagen, sich Lippen und Zunge daran zu zerstechen, die doch übrigens
dnrch eine so feste Haut geschützt sind, daß sogar eine gewöhnliche englische
Nadel daran abbrechen würde. "Ich möchte Ihnen etwas vorschlagen, Ew.
Wohlgeboren", sagte einer der Kosaken, indem er näher zu mir heranritt.
"Nun?" -- "Es wäre sehr gut, sehen Sie, wir sollten Filzstucke nehmen und
unsern Pferden die Hufeisen damit umwickeln, das wäre von großem Werth." --
"Und wozu das?" fragte ich, sah aber sogleich ein, daß ich eine Dummheit
gesagt hatte. "Sehen Sie, jetzt ist es dunkel, folglich sieht man nichts, aber es
ist still, deshalb hört man weit," setzte mir der Uralbewohner auseinander,
indem er sich vermuthlich im Stillen wunderte, daß ich eine so einfache Sache
nicht gleich begriff. "Wenn wir aber den Pferden Filz umwickeln, so gehen
sie unhörbar wie Katzen." -- "Recht!" stimmte ich bei, und wir machten alle
drei Halt, um diesen Vorschlag auszuführen.

Mehr als eine halbe Stunde brauchten wir, bis wir uns wieder in Gang
setzten, aber bald stellte sich heraus, daß wir die kostbare Nachtzeit nutzlos
verloren hatten. Anfangs ging es vortrefflich; wir konnten selber den Tritt
unsrer Pferde nicht vernehmen, die in ihren weichen Schuhen unhörbar dahin¬
flogen. Aber es sollte nicht lange dauern. Wir hatten noch kaum drei Werst
auf dem steinigen Boden zurückgelegt, als wir wieder das bekannte Klappern
vernahmen, anfangs selten, dann immer häufiger. Die improvisiere Fußbeklei¬
dung unsrer Pferde hatte sich weit schneller abgenützt, als wir erwarteten.

Wir zuckten die Achseln, nahmen unsern Thieren die Filzüberbleibsel


unangenehmer Gedanke. Ich betrachtete mir die dickbeinigen, fettgemüsteten
Pferdchen, die zwar bei fortgesetztem gemäßigten Lauf unermüdlich, aber durchaus
nicht flink auf kurzen Strecken sind. Wie, wenn wir auf eine Räuberbande
stießen? Was meinem Turkomanen eine Kleinigkeit schien, daran war für sie gar
nicht zu denken. Mir blieb in diesem Falle nur die Wahl, entweder mit diesen
beiden Kosaken zu sterben oder sie ihrem Schicksale zu überlassen und mich
allein zu retten. Die Dienstpflicht legte mir das letztere auf, die Ehre verlangte
das erstere. Warum war ich aber auch nicht so klug gewesen, mir dieses
nutzlose Geleit zu verbitten? So fragte ich mich ärgerlich im Stillen, und um
meinen Verdruß ein wenig auszulassen, kitzelte ich meinen Orlik leicht mit dem
Sporn in der Flanke.

Nur ein kleiner, von Finsterniß verschleierter Raum lag vor mir, denn
der Horizont verschwamm bald, und alles zerfloß im Nebel. Kaum blinkte
hoch oben ein einzelner Stern; ein seltsames, milchweißes, phvsphoreszirendes
Licht zitterte auf der steinigen Steppenfläche, die mit dürren Stechpflanzen
besät war. Dieses Gewächs taugt nur zum Brennmaterial, denn es wird
selbst von den nichts weniger als wählerischen Kameelen verschmäht, da auch
diese uicht wagen, sich Lippen und Zunge daran zu zerstechen, die doch übrigens
dnrch eine so feste Haut geschützt sind, daß sogar eine gewöhnliche englische
Nadel daran abbrechen würde. „Ich möchte Ihnen etwas vorschlagen, Ew.
Wohlgeboren", sagte einer der Kosaken, indem er näher zu mir heranritt.
„Nun?" — „Es wäre sehr gut, sehen Sie, wir sollten Filzstucke nehmen und
unsern Pferden die Hufeisen damit umwickeln, das wäre von großem Werth." —
„Und wozu das?" fragte ich, sah aber sogleich ein, daß ich eine Dummheit
gesagt hatte. „Sehen Sie, jetzt ist es dunkel, folglich sieht man nichts, aber es
ist still, deshalb hört man weit," setzte mir der Uralbewohner auseinander,
indem er sich vermuthlich im Stillen wunderte, daß ich eine so einfache Sache
nicht gleich begriff. „Wenn wir aber den Pferden Filz umwickeln, so gehen
sie unhörbar wie Katzen." — „Recht!" stimmte ich bei, und wir machten alle
drei Halt, um diesen Vorschlag auszuführen.

Mehr als eine halbe Stunde brauchten wir, bis wir uns wieder in Gang
setzten, aber bald stellte sich heraus, daß wir die kostbare Nachtzeit nutzlos
verloren hatten. Anfangs ging es vortrefflich; wir konnten selber den Tritt
unsrer Pferde nicht vernehmen, die in ihren weichen Schuhen unhörbar dahin¬
flogen. Aber es sollte nicht lange dauern. Wir hatten noch kaum drei Werst
auf dem steinigen Boden zurückgelegt, als wir wieder das bekannte Klappern
vernahmen, anfangs selten, dann immer häufiger. Die improvisiere Fußbeklei¬
dung unsrer Pferde hatte sich weit schneller abgenützt, als wir erwarteten.

Wir zuckten die Achseln, nahmen unsern Thieren die Filzüberbleibsel


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/25>, abgerufen am 23.07.2024.