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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal.

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Früchte dieses Privatfleißes warm u. a. die Aufführungen alt- oder neuklassi¬
scher Stücke, von denen die der letzteren Art seit 1874 an den Geburtstagen
Lessings, Goethes und Schillers stattfinden.

Aber nicht blos unterrichten, sondern auch erziehen soll ja die Schule,
wie es schon der alte Fabricius in den Worten erklärt: us"zus snira slsxan-
tss solum, Dominos, S6Ä viros etig-w, d(ZQ08 s sedolis xroüirs volumiis
(Denn nicht allein gebildete Menschen, sondern auch brave Männer wollen
wir aus den Schulen hervorgehen sehen). Da galt es nun freilich in den
ersten Perioden der Fürstenschule, nicht blos den Stab Sanft, sondern auch
den Stab Wehe zu schwingen, eingedenk des alten, treffenden Mottos, welches
auch vor Goethes "Dichtung und Wahrheit" prangt. Die Ruthe gehörte zum
Schulinventar und war immer von den Faunus in die Stunden mitzubringen.
Bei gröberen Vergehen wurde der Missethäter mit systematischer Kaltblü¬
tigkeit von allen Mitgliedern des Kollegiums sscunäuiri, orÄinsin geschlagen,
und als 1645 der Rektor Lindemuth sich von diesem Bütteldienst dispensiren
wollte, wurde er auf die ernstliche Beschwerde seiner Kollegen, welche das
Odium nicht allein tragen wollten, vom Oberkonsistorium zur Erfüllung seiner
Pflicht angehalten. Zu dieser fühlbaren Körperstrafe kam die Nahrungs- und
Freiheitsentziehung, die schmachvolle Ausstellung im Halseisen und schließlich
die Dimission. Letztere wurde während der 25 jährigen Amtszeit des schon
mehrfach erwähnten Rektors Fabricius 80 Mal verhängt, während aus Furcht
vor jenen Exekutionen in den ersten 50 Lebensjahren der Schule über 60 Schüler
freiwillig das Weite suchten.

Freilich werden wir schwerlich in ein sentimentales Jammergeschrei über
die Barbarei jener Alten ausbrechen, wenn wir uns von Flathe erzählen lassen,
was für Zuchtlosigkeit und Unbotmäßigkeit unter der damaligen Jugend herrschte.
Da muß verboten werden, daß die Schüler während des Unterrichts den Hut
aussetzen; da macht die Schulordnung von 1602 dem Rektor zur Pflicht, "seiner
College" Ehr und Auctorität zu vertreten und das schmähliche Auspfeifen,
Aufrauschen, Ausklappern und Thürzuschlagen der Knaben über die ?re>.sosx-
torss mit Ernst zu strafen." Namentlich aber unterstanden sich die adlichen
Schüler, die Lehrer "zu raufen und zu schlagen", ja drohten ihnen sogar mit
Erstechen.

Mit der Zeit wurden natürlich die Sitten und auch die Strafen milder.
Das Losungswort aus dem Horaz ^VVD (Wage es, vernünftig
zu sein!), welches über dem Eingange des Neubaues von 1812 stand, und auf
welches nachmals Professor Diller das sinnige, in einigen Distichen weiter
ausgeführte Anagramm: g,of, Sön xg-re"! (Sei willkommen, aber gehorche!)
machte, fand mehr und mehr Beherzigung. Noch um die Wende des 17. und


Früchte dieses Privatfleißes warm u. a. die Aufführungen alt- oder neuklassi¬
scher Stücke, von denen die der letzteren Art seit 1874 an den Geburtstagen
Lessings, Goethes und Schillers stattfinden.

Aber nicht blos unterrichten, sondern auch erziehen soll ja die Schule,
wie es schon der alte Fabricius in den Worten erklärt: us«zus snira slsxan-
tss solum, Dominos, S6Ä viros etig-w, d(ZQ08 s sedolis xroüirs volumiis
(Denn nicht allein gebildete Menschen, sondern auch brave Männer wollen
wir aus den Schulen hervorgehen sehen). Da galt es nun freilich in den
ersten Perioden der Fürstenschule, nicht blos den Stab Sanft, sondern auch
den Stab Wehe zu schwingen, eingedenk des alten, treffenden Mottos, welches
auch vor Goethes „Dichtung und Wahrheit" prangt. Die Ruthe gehörte zum
Schulinventar und war immer von den Faunus in die Stunden mitzubringen.
Bei gröberen Vergehen wurde der Missethäter mit systematischer Kaltblü¬
tigkeit von allen Mitgliedern des Kollegiums sscunäuiri, orÄinsin geschlagen,
und als 1645 der Rektor Lindemuth sich von diesem Bütteldienst dispensiren
wollte, wurde er auf die ernstliche Beschwerde seiner Kollegen, welche das
Odium nicht allein tragen wollten, vom Oberkonsistorium zur Erfüllung seiner
Pflicht angehalten. Zu dieser fühlbaren Körperstrafe kam die Nahrungs- und
Freiheitsentziehung, die schmachvolle Ausstellung im Halseisen und schließlich
die Dimission. Letztere wurde während der 25 jährigen Amtszeit des schon
mehrfach erwähnten Rektors Fabricius 80 Mal verhängt, während aus Furcht
vor jenen Exekutionen in den ersten 50 Lebensjahren der Schule über 60 Schüler
freiwillig das Weite suchten.

Freilich werden wir schwerlich in ein sentimentales Jammergeschrei über
die Barbarei jener Alten ausbrechen, wenn wir uns von Flathe erzählen lassen,
was für Zuchtlosigkeit und Unbotmäßigkeit unter der damaligen Jugend herrschte.
Da muß verboten werden, daß die Schüler während des Unterrichts den Hut
aussetzen; da macht die Schulordnung von 1602 dem Rektor zur Pflicht, „seiner
College« Ehr und Auctorität zu vertreten und das schmähliche Auspfeifen,
Aufrauschen, Ausklappern und Thürzuschlagen der Knaben über die ?re>.sosx-
torss mit Ernst zu strafen." Namentlich aber unterstanden sich die adlichen
Schüler, die Lehrer „zu raufen und zu schlagen", ja drohten ihnen sogar mit
Erstechen.

Mit der Zeit wurden natürlich die Sitten und auch die Strafen milder.
Das Losungswort aus dem Horaz ^VVD (Wage es, vernünftig
zu sein!), welches über dem Eingange des Neubaues von 1812 stand, und auf
welches nachmals Professor Diller das sinnige, in einigen Distichen weiter
ausgeführte Anagramm: g,of, Sön xg-re»! (Sei willkommen, aber gehorche!)
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[0197] Früchte dieses Privatfleißes warm u. a. die Aufführungen alt- oder neuklassi¬ scher Stücke, von denen die der letzteren Art seit 1874 an den Geburtstagen Lessings, Goethes und Schillers stattfinden. Aber nicht blos unterrichten, sondern auch erziehen soll ja die Schule, wie es schon der alte Fabricius in den Worten erklärt: us«zus snira slsxan- tss solum, Dominos, S6Ä viros etig-w, d(ZQ08 s sedolis xroüirs volumiis (Denn nicht allein gebildete Menschen, sondern auch brave Männer wollen wir aus den Schulen hervorgehen sehen). Da galt es nun freilich in den ersten Perioden der Fürstenschule, nicht blos den Stab Sanft, sondern auch den Stab Wehe zu schwingen, eingedenk des alten, treffenden Mottos, welches auch vor Goethes „Dichtung und Wahrheit" prangt. Die Ruthe gehörte zum Schulinventar und war immer von den Faunus in die Stunden mitzubringen. Bei gröberen Vergehen wurde der Missethäter mit systematischer Kaltblü¬ tigkeit von allen Mitgliedern des Kollegiums sscunäuiri, orÄinsin geschlagen, und als 1645 der Rektor Lindemuth sich von diesem Bütteldienst dispensiren wollte, wurde er auf die ernstliche Beschwerde seiner Kollegen, welche das Odium nicht allein tragen wollten, vom Oberkonsistorium zur Erfüllung seiner Pflicht angehalten. Zu dieser fühlbaren Körperstrafe kam die Nahrungs- und Freiheitsentziehung, die schmachvolle Ausstellung im Halseisen und schließlich die Dimission. Letztere wurde während der 25 jährigen Amtszeit des schon mehrfach erwähnten Rektors Fabricius 80 Mal verhängt, während aus Furcht vor jenen Exekutionen in den ersten 50 Lebensjahren der Schule über 60 Schüler freiwillig das Weite suchten. Freilich werden wir schwerlich in ein sentimentales Jammergeschrei über die Barbarei jener Alten ausbrechen, wenn wir uns von Flathe erzählen lassen, was für Zuchtlosigkeit und Unbotmäßigkeit unter der damaligen Jugend herrschte. Da muß verboten werden, daß die Schüler während des Unterrichts den Hut aussetzen; da macht die Schulordnung von 1602 dem Rektor zur Pflicht, „seiner College« Ehr und Auctorität zu vertreten und das schmähliche Auspfeifen, Aufrauschen, Ausklappern und Thürzuschlagen der Knaben über die ?re>.sosx- torss mit Ernst zu strafen." Namentlich aber unterstanden sich die adlichen Schüler, die Lehrer „zu raufen und zu schlagen", ja drohten ihnen sogar mit Erstechen. Mit der Zeit wurden natürlich die Sitten und auch die Strafen milder. Das Losungswort aus dem Horaz ^VVD (Wage es, vernünftig zu sein!), welches über dem Eingange des Neubaues von 1812 stand, und auf welches nachmals Professor Diller das sinnige, in einigen Distichen weiter ausgeführte Anagramm: g,of, Sön xg-re»! (Sei willkommen, aber gehorche!) machte, fand mehr und mehr Beherzigung. Noch um die Wende des 17. und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/197>, abgerufen am 29.06.2024.