Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite

18. Jahrhunderts gab es allerdings gegen ein sehr wüstes Verbindungswesen
mit aller Strenge anzukämpfen. So entdeckte im Jahre 1683 "der Rector
Wille einen verborgenen Ort in der Schule, welchen zeithero etliche frevle
^luwlli gebrauchet: darin sich ein ganzer Vorrat von wstrumsutis Q6<zMiki,6,
Leuchter, Lichtputzen, Tobakspfeifen, Karten, Geschirre und sonderlich viel Eisen¬
werk als Brechstangen, Feilen, Dietriche, eine große lange Strickleiter finden
u. bei dadurch veranlaßter weiterer Nachforschung auch ein Patent, welches
auf einen sans- und Spielorden deutet"; derselbe nennt sich, ganz im Charakter
der Zeit, mit französischem Namen: Ila Mis oorarurmioQ trawrusllö. Später
aber, seit dem 18. Jahrhundert, kam die Prügelstrafe außer Gebrauch; die
Karzerstrafe aber suchten sich die Betroffenen zuweilen dadurch zu verkürzen,
daß sie sich mit einem lateinischen oder deutschen Bittgedicht an die königliche
Gnade wandten.

Zur Strafzucht, welche hinter den einzelnen Übertretungen einhergeht,
kam natürlich auch "die Zucht und Vermahnung zum Herrn", die sittlich-religiöse
Erziehung, welche es ja dahin zu bringen sucht, daß jene immer seltener werden.
Als ein Hauptmittel dieser Erziehung galt mit Recht zu allen Zeiten der
Fürstenschule die Religion, nur mit dem Unterschiede, daß die alte Zeit den
Nachdruck auf deren konfessionell-dogmatische Seite, die neuere dagegen auf
ihre gemüthlich-ethische legt, jene durch die Masse, diese durch die weise Art
der religiösen Einwirkungen ihr Ziel zu erreichen strebt. Es ist ein nieder¬
schlagender Anblick, den uns jenes Eifern mit Unverstand auf religiösem Gebiete
gewährt, unter dem auch die Entwickelung der Schule zu Se. Afra, namentlich
in ihren Anfängen, zu leiden hatte. Die Schüler wurden mit religiöser Speise
nicht etwa genährt, sondern vielmehr gestopft und fast zu Tode gefüttert. Bei
Beginn des Mittagessens z. B. "treten (im 16. Jahrhundert) ihrer vier gegen
die andern über und beten, einer ^rs-soo, der andere latiriv, der dritte und der
vierte ssörr-iMies, etwa eine Erinnerung der Wohlthaten Christi oder einen
Text aus der Bibel xro rs-tiono tswxoris, gleichergestalt auch nach dem Essen.
Unter dem Essen aber liefet einer, wie es denn nach der Ordnung geht, drei
Kapitel aus der Bibel deutsch" u. s. w. Dabei mußte die Schule auch noch
alle Phasen des theologischen Parteihaders mit durchmachen. Zur Zeit der
Philippistischen Streitigkeiten (1574) erging an die Professoren der Befehl, "alle
und jeden Knaben, so aus der Schulen ziehen und Testimonia bitten, sonderlich
diejenigen, so zu Stipendien in den Universitäten sollen gebraucht werden, die
kurtzer Torgischen articul" unterschreiben zu lassen, und der fanatische und
rachsüchtige Hofprediger Listhenius, dessen Sohn aus der Landesschule entfernt
worden war, wußte es sogar durchzusetzen, daß der Rektor Pensold um angeb-


18. Jahrhunderts gab es allerdings gegen ein sehr wüstes Verbindungswesen
mit aller Strenge anzukämpfen. So entdeckte im Jahre 1683 „der Rector
Wille einen verborgenen Ort in der Schule, welchen zeithero etliche frevle
^luwlli gebrauchet: darin sich ein ganzer Vorrat von wstrumsutis Q6<zMiki,6,
Leuchter, Lichtputzen, Tobakspfeifen, Karten, Geschirre und sonderlich viel Eisen¬
werk als Brechstangen, Feilen, Dietriche, eine große lange Strickleiter finden
u. bei dadurch veranlaßter weiterer Nachforschung auch ein Patent, welches
auf einen sans- und Spielorden deutet"; derselbe nennt sich, ganz im Charakter
der Zeit, mit französischem Namen: Ila Mis oorarurmioQ trawrusllö. Später
aber, seit dem 18. Jahrhundert, kam die Prügelstrafe außer Gebrauch; die
Karzerstrafe aber suchten sich die Betroffenen zuweilen dadurch zu verkürzen,
daß sie sich mit einem lateinischen oder deutschen Bittgedicht an die königliche
Gnade wandten.

Zur Strafzucht, welche hinter den einzelnen Übertretungen einhergeht,
kam natürlich auch „die Zucht und Vermahnung zum Herrn", die sittlich-religiöse
Erziehung, welche es ja dahin zu bringen sucht, daß jene immer seltener werden.
Als ein Hauptmittel dieser Erziehung galt mit Recht zu allen Zeiten der
Fürstenschule die Religion, nur mit dem Unterschiede, daß die alte Zeit den
Nachdruck auf deren konfessionell-dogmatische Seite, die neuere dagegen auf
ihre gemüthlich-ethische legt, jene durch die Masse, diese durch die weise Art
der religiösen Einwirkungen ihr Ziel zu erreichen strebt. Es ist ein nieder¬
schlagender Anblick, den uns jenes Eifern mit Unverstand auf religiösem Gebiete
gewährt, unter dem auch die Entwickelung der Schule zu Se. Afra, namentlich
in ihren Anfängen, zu leiden hatte. Die Schüler wurden mit religiöser Speise
nicht etwa genährt, sondern vielmehr gestopft und fast zu Tode gefüttert. Bei
Beginn des Mittagessens z. B. „treten (im 16. Jahrhundert) ihrer vier gegen
die andern über und beten, einer ^rs-soo, der andere latiriv, der dritte und der
vierte ssörr-iMies, etwa eine Erinnerung der Wohlthaten Christi oder einen
Text aus der Bibel xro rs-tiono tswxoris, gleichergestalt auch nach dem Essen.
Unter dem Essen aber liefet einer, wie es denn nach der Ordnung geht, drei
Kapitel aus der Bibel deutsch" u. s. w. Dabei mußte die Schule auch noch
alle Phasen des theologischen Parteihaders mit durchmachen. Zur Zeit der
Philippistischen Streitigkeiten (1574) erging an die Professoren der Befehl, „alle
und jeden Knaben, so aus der Schulen ziehen und Testimonia bitten, sonderlich
diejenigen, so zu Stipendien in den Universitäten sollen gebraucht werden, die
kurtzer Torgischen articul" unterschreiben zu lassen, und der fanatische und
rachsüchtige Hofprediger Listhenius, dessen Sohn aus der Landesschule entfernt
worden war, wußte es sogar durchzusetzen, daß der Rektor Pensold um angeb-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0198" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/143253"/>
          <p xml:id="ID_598" prev="#ID_597"> 18. Jahrhunderts gab es allerdings gegen ein sehr wüstes Verbindungswesen<lb/>
mit aller Strenge anzukämpfen. So entdeckte im Jahre 1683 &#x201E;der Rector<lb/>
Wille einen verborgenen Ort in der Schule, welchen zeithero etliche frevle<lb/>
^luwlli gebrauchet: darin sich ein ganzer Vorrat von wstrumsutis Q6&lt;zMiki,6,<lb/>
Leuchter, Lichtputzen, Tobakspfeifen, Karten, Geschirre und sonderlich viel Eisen¬<lb/>
werk als Brechstangen, Feilen, Dietriche, eine große lange Strickleiter finden<lb/>
u. bei dadurch veranlaßter weiterer Nachforschung auch ein Patent, welches<lb/>
auf einen sans- und Spielorden deutet"; derselbe nennt sich, ganz im Charakter<lb/>
der Zeit, mit französischem Namen: Ila Mis oorarurmioQ trawrusllö. Später<lb/>
aber, seit dem 18. Jahrhundert, kam die Prügelstrafe außer Gebrauch; die<lb/>
Karzerstrafe aber suchten sich die Betroffenen zuweilen dadurch zu verkürzen,<lb/>
daß sie sich mit einem lateinischen oder deutschen Bittgedicht an die königliche<lb/>
Gnade wandten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_599" next="#ID_600"> Zur Strafzucht, welche hinter den einzelnen Übertretungen einhergeht,<lb/>
kam natürlich auch &#x201E;die Zucht und Vermahnung zum Herrn", die sittlich-religiöse<lb/>
Erziehung, welche es ja dahin zu bringen sucht, daß jene immer seltener werden.<lb/>
Als ein Hauptmittel dieser Erziehung galt mit Recht zu allen Zeiten der<lb/>
Fürstenschule die Religion, nur mit dem Unterschiede, daß die alte Zeit den<lb/>
Nachdruck auf deren konfessionell-dogmatische Seite, die neuere dagegen auf<lb/>
ihre gemüthlich-ethische legt, jene durch die Masse, diese durch die weise Art<lb/>
der religiösen Einwirkungen ihr Ziel zu erreichen strebt. Es ist ein nieder¬<lb/>
schlagender Anblick, den uns jenes Eifern mit Unverstand auf religiösem Gebiete<lb/>
gewährt, unter dem auch die Entwickelung der Schule zu Se. Afra, namentlich<lb/>
in ihren Anfängen, zu leiden hatte. Die Schüler wurden mit religiöser Speise<lb/>
nicht etwa genährt, sondern vielmehr gestopft und fast zu Tode gefüttert. Bei<lb/>
Beginn des Mittagessens z. B. &#x201E;treten (im 16. Jahrhundert) ihrer vier gegen<lb/>
die andern über und beten, einer ^rs-soo, der andere latiriv, der dritte und der<lb/>
vierte ssörr-iMies, etwa eine Erinnerung der Wohlthaten Christi oder einen<lb/>
Text aus der Bibel xro rs-tiono tswxoris, gleichergestalt auch nach dem Essen.<lb/>
Unter dem Essen aber liefet einer, wie es denn nach der Ordnung geht, drei<lb/>
Kapitel aus der Bibel deutsch" u. s. w. Dabei mußte die Schule auch noch<lb/>
alle Phasen des theologischen Parteihaders mit durchmachen. Zur Zeit der<lb/>
Philippistischen Streitigkeiten (1574) erging an die Professoren der Befehl, &#x201E;alle<lb/>
und jeden Knaben, so aus der Schulen ziehen und Testimonia bitten, sonderlich<lb/>
diejenigen, so zu Stipendien in den Universitäten sollen gebraucht werden, die<lb/>
kurtzer Torgischen articul" unterschreiben zu lassen, und der fanatische und<lb/>
rachsüchtige Hofprediger Listhenius, dessen Sohn aus der Landesschule entfernt<lb/>
worden war, wußte es sogar durchzusetzen, daß der Rektor Pensold um angeb-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0198] 18. Jahrhunderts gab es allerdings gegen ein sehr wüstes Verbindungswesen mit aller Strenge anzukämpfen. So entdeckte im Jahre 1683 „der Rector Wille einen verborgenen Ort in der Schule, welchen zeithero etliche frevle ^luwlli gebrauchet: darin sich ein ganzer Vorrat von wstrumsutis Q6<zMiki,6, Leuchter, Lichtputzen, Tobakspfeifen, Karten, Geschirre und sonderlich viel Eisen¬ werk als Brechstangen, Feilen, Dietriche, eine große lange Strickleiter finden u. bei dadurch veranlaßter weiterer Nachforschung auch ein Patent, welches auf einen sans- und Spielorden deutet"; derselbe nennt sich, ganz im Charakter der Zeit, mit französischem Namen: Ila Mis oorarurmioQ trawrusllö. Später aber, seit dem 18. Jahrhundert, kam die Prügelstrafe außer Gebrauch; die Karzerstrafe aber suchten sich die Betroffenen zuweilen dadurch zu verkürzen, daß sie sich mit einem lateinischen oder deutschen Bittgedicht an die königliche Gnade wandten. Zur Strafzucht, welche hinter den einzelnen Übertretungen einhergeht, kam natürlich auch „die Zucht und Vermahnung zum Herrn", die sittlich-religiöse Erziehung, welche es ja dahin zu bringen sucht, daß jene immer seltener werden. Als ein Hauptmittel dieser Erziehung galt mit Recht zu allen Zeiten der Fürstenschule die Religion, nur mit dem Unterschiede, daß die alte Zeit den Nachdruck auf deren konfessionell-dogmatische Seite, die neuere dagegen auf ihre gemüthlich-ethische legt, jene durch die Masse, diese durch die weise Art der religiösen Einwirkungen ihr Ziel zu erreichen strebt. Es ist ein nieder¬ schlagender Anblick, den uns jenes Eifern mit Unverstand auf religiösem Gebiete gewährt, unter dem auch die Entwickelung der Schule zu Se. Afra, namentlich in ihren Anfängen, zu leiden hatte. Die Schüler wurden mit religiöser Speise nicht etwa genährt, sondern vielmehr gestopft und fast zu Tode gefüttert. Bei Beginn des Mittagessens z. B. „treten (im 16. Jahrhundert) ihrer vier gegen die andern über und beten, einer ^rs-soo, der andere latiriv, der dritte und der vierte ssörr-iMies, etwa eine Erinnerung der Wohlthaten Christi oder einen Text aus der Bibel xro rs-tiono tswxoris, gleichergestalt auch nach dem Essen. Unter dem Essen aber liefet einer, wie es denn nach der Ordnung geht, drei Kapitel aus der Bibel deutsch" u. s. w. Dabei mußte die Schule auch noch alle Phasen des theologischen Parteihaders mit durchmachen. Zur Zeit der Philippistischen Streitigkeiten (1574) erging an die Professoren der Befehl, „alle und jeden Knaben, so aus der Schulen ziehen und Testimonia bitten, sonderlich diejenigen, so zu Stipendien in den Universitäten sollen gebraucht werden, die kurtzer Torgischen articul" unterschreiben zu lassen, und der fanatische und rachsüchtige Hofprediger Listhenius, dessen Sohn aus der Landesschule entfernt worden war, wußte es sogar durchzusetzen, daß der Rektor Pensold um angeb-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/198
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/198>, abgerufen am 26.06.2024.