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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal.

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Beziehung ist die Jugend die Zeit des Reims, doch sind die schönsten formellen
Wirkungen auch hier schon rhythmische, unterstützt durch mannigfaltige, höchst
wirkungsvolle Anwendung des Refrains.

In der Uebergangsperiode schließt sich der Dichter in Lied und Ballade
noch enger an das Volkslied an, meist sehr glücklich. Auf dem Felde der
Ballade erringt er die Meisterschaft in dem herrlichen Gedicht "Schön Roh¬
traut", aus dessen alterthümlich formelhafter Gebundenheit die Fülle der
Empfindung so verstohlen hervorbricht, und wo nur am Schlüsse der Knabe
sich für mein Gefühl allzuleicht bescheidet. Bescheiden, kindlich, fast spielend er¬
scheint die Liebe auch im "Gärtner" und in "Der Knabe und das Jmmlein",
und wie der Dichter heiterer geworden ist, so treibt jetzt sein Humor die schönsten
Blüthen, im Tone des Volksliedes und in dem Goethischen Tone genialer Derb¬
heit so gut wie in zierlichen, schalkhaften Distichen ("Storchenbotschaft", "Re¬
stauration", "Lose Waare", Amor als Tintenverkäufer). Vom besten Humor
und nicht gemeiner Gestaltungskraft zeugt das "Märchen vom sicheren Mann",
das -- bezeichnend für die Uebergangszeit -- eine phantastische Erfindung der
Orplidperiode mit dem vollen epischen Behagen der späteren Zeit in Hexame¬
tern erzählt. Denn während die romantisch volksthümliche Richtung, während
Lied und Ballade hier im wesentlichen ihren Abschluß finden, tritt nun die
Vorliebe für reimlose Verse, die Hinwendung zu Epigramm, Epistel, Idylle
hervor.

Diese Richtung ist es, welche die letzte Periode seit dem Jahre 1840 be¬
herrscht. Es ist das Jahr der "Classischen Blumenlese", einer Auswahl von
Uebersetzungen aus griechischen und römischen Dichtern, die Mörike, zum Theil
in neuer Bearbeitung, herausgab, das Jahr des "Thurmhahns", das Jahr der
ersten Trimeter, die von nun an -- und das hört man ihnen an -- des Dich¬
ters Lieblingsversmaß sind. Nicht mehr nach Shakespeare'scher Bilderfülle steht
sein Sinn, ein sicher gewähltes Bild liebt er in homerischer Weise auszuführen
und bildet den angebornen Sinn für Anmuth im steten Verkehr mit Theokrit
und Catull unermüdlich aus. Catull war es, von dem er den Trimeter über¬
nahm. Individuelle Eindrücke aus Natur, Kunst und Leben sind jetzt die
Stoffe des Dichters, insbesondere weiß er überraschend feinsinnig im gewöhn¬
lichen Leben Poesie zu finden. Immer seltener werden die vollen Nachtigallen-
töne, Schwalben scheinen diese Gedichte mit ihrem lieblich geschäftigen Gezwit-
scher, die sich so eng und traulich bei dem Menschen ansiedeln; so nahe der
Erde geht ihr Flug und ist doch so leicht, so zierlich und sicher wie der Flug
der Schwalbe, die, wo sie über dem Wasser hinstreicht, auch wohl einmal den
Flügel netzt. Und hier in diesen genrebildlichen, idyllischen Darstellungen, in
diesen zwanglosen Plaudereien, die gern die Form der Epistel annehmen, findet


Beziehung ist die Jugend die Zeit des Reims, doch sind die schönsten formellen
Wirkungen auch hier schon rhythmische, unterstützt durch mannigfaltige, höchst
wirkungsvolle Anwendung des Refrains.

In der Uebergangsperiode schließt sich der Dichter in Lied und Ballade
noch enger an das Volkslied an, meist sehr glücklich. Auf dem Felde der
Ballade erringt er die Meisterschaft in dem herrlichen Gedicht „Schön Roh¬
traut", aus dessen alterthümlich formelhafter Gebundenheit die Fülle der
Empfindung so verstohlen hervorbricht, und wo nur am Schlüsse der Knabe
sich für mein Gefühl allzuleicht bescheidet. Bescheiden, kindlich, fast spielend er¬
scheint die Liebe auch im „Gärtner" und in „Der Knabe und das Jmmlein",
und wie der Dichter heiterer geworden ist, so treibt jetzt sein Humor die schönsten
Blüthen, im Tone des Volksliedes und in dem Goethischen Tone genialer Derb¬
heit so gut wie in zierlichen, schalkhaften Distichen („Storchenbotschaft", „Re¬
stauration", „Lose Waare", Amor als Tintenverkäufer). Vom besten Humor
und nicht gemeiner Gestaltungskraft zeugt das „Märchen vom sicheren Mann",
das — bezeichnend für die Uebergangszeit — eine phantastische Erfindung der
Orplidperiode mit dem vollen epischen Behagen der späteren Zeit in Hexame¬
tern erzählt. Denn während die romantisch volksthümliche Richtung, während
Lied und Ballade hier im wesentlichen ihren Abschluß finden, tritt nun die
Vorliebe für reimlose Verse, die Hinwendung zu Epigramm, Epistel, Idylle
hervor.

Diese Richtung ist es, welche die letzte Periode seit dem Jahre 1840 be¬
herrscht. Es ist das Jahr der „Classischen Blumenlese", einer Auswahl von
Uebersetzungen aus griechischen und römischen Dichtern, die Mörike, zum Theil
in neuer Bearbeitung, herausgab, das Jahr des „Thurmhahns", das Jahr der
ersten Trimeter, die von nun an — und das hört man ihnen an — des Dich¬
ters Lieblingsversmaß sind. Nicht mehr nach Shakespeare'scher Bilderfülle steht
sein Sinn, ein sicher gewähltes Bild liebt er in homerischer Weise auszuführen
und bildet den angebornen Sinn für Anmuth im steten Verkehr mit Theokrit
und Catull unermüdlich aus. Catull war es, von dem er den Trimeter über¬
nahm. Individuelle Eindrücke aus Natur, Kunst und Leben sind jetzt die
Stoffe des Dichters, insbesondere weiß er überraschend feinsinnig im gewöhn¬
lichen Leben Poesie zu finden. Immer seltener werden die vollen Nachtigallen-
töne, Schwalben scheinen diese Gedichte mit ihrem lieblich geschäftigen Gezwit-
scher, die sich so eng und traulich bei dem Menschen ansiedeln; so nahe der
Erde geht ihr Flug und ist doch so leicht, so zierlich und sicher wie der Flug
der Schwalbe, die, wo sie über dem Wasser hinstreicht, auch wohl einmal den
Flügel netzt. Und hier in diesen genrebildlichen, idyllischen Darstellungen, in
diesen zwanglosen Plaudereien, die gern die Form der Epistel annehmen, findet


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/189>, abgerufen am 03.07.2024.