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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal.

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in jener Periode gruppiren. Man wird daraus erkennen, daß England damals
sich nur in wenigen Beziehungen eines Vorzugs vor Deutschland zu rühmen
hatte, und daß es in vielen hinter diesem zurückstand.

Das Parlament der Zeit, von der unser Geschichtschreiber in diesem Bande
spricht, war in seiner Zusammensetzung fehlerhaft, in seinen Tendenzen eng¬
herzig, despotisch und vielfach korrupt, und doch ist es ein Hüter der Freiheit
und ein Schöpfer weiser Gesetze gewesen. Das Parlamentarische System war
damals eine Regierung der höheren Klassen, und diese besaßen in hohem Grade
politische Befähigung, und wenn auch der öffentliche Geist in ihnen sehr ge¬
sunken war, so stand er doch keineswegs auf dem Nullpunkte. Jenes System
ließ eine Schule von Staatsmännern entstehen, die der Leitung der Dinge
gewachsen waren, und unter den Reichen, die ihre Parlamentssitze kauften,
waren immer einige, welche von dem ernsten Wunsche beseelt waren, ihrem
Vaterlande zu nützen. Das Volk besaß wenig unmittelbaren Einfluß auf seine
Vertreter, aber so oft es seine Ansichten über eine Frage durch die freien
Wahlkörper oder durch tumultuarische Mittel zu erkennen gab, fand es Gehör
und meist auch Gehorsam.

Das allgemeine Niveau des politischen Lebens war indessen ein sehr nie¬
driges. Günstlingseinflüsse, Hosintriguen, Bestechungen waren an der Tages¬
ordnung. Bolingbroke wirkte sich seine Rückkehr aus der Verbannung durch
eine Mätresse Georgs des Ersten aus, die er mit 10000 Pfund bestochen
haben soll. Carteret sicherte sich seine Stellung durch Kriechen vor einer andern
"Freundin" des Königs. Chesterfield und Pulteney lagen zu den Füßen von
Mrs. Howard, der Geliebten des zweiten Georg, die von Mrs. Pitt, der Mutter
des großen Lord Chatam, unter dem Anerbieten von 1000 Pfund brieflich um
eine Kammerherrnstelle für ihren Bruder angegangen wurde. Pitt selbst wahrte
sich sein Verbleiben im Kabinet großenteils durch Aufmerksamkeiten gegen die
Herzogin von Icirmouth. Walpoles und Newcastles Macht ruhten auf der
Benutzung des gesammten Kronpatronats und eines' erheblichen Theiles der
ihnen zugänglichen öffentlichen Gelder zu dem Zwecke, sich ^die Mehrheit im
Parlamente zu erhalten. Verletzung des Briefgeheimnisses war etwas ganz
Gewöhnliches. Die Briefe Swifts, Boliugbrokes, Marlboroughs und Popes
sind voll von Klagen über die Unsicherheit ihrer Korrespondenz, und wir wissen
durch Walpole selbst, daß er kein Bedenken trug, die Briefe eines politischen
Nebenbuhlers zu öffnen.

Es kann nicht überraschen, daß unter solchen Umständen der Geist der
Nation tief gesunken war. Die Begeisterung für den Gedanken der Reforma¬
tion, dann für die mit dem Despotismus ringende Freiheit war verraucht. Mit
einer Kirche, die eine kalte und nüchterne Moral lehrte und jeden Eifer für


in jener Periode gruppiren. Man wird daraus erkennen, daß England damals
sich nur in wenigen Beziehungen eines Vorzugs vor Deutschland zu rühmen
hatte, und daß es in vielen hinter diesem zurückstand.

Das Parlament der Zeit, von der unser Geschichtschreiber in diesem Bande
spricht, war in seiner Zusammensetzung fehlerhaft, in seinen Tendenzen eng¬
herzig, despotisch und vielfach korrupt, und doch ist es ein Hüter der Freiheit
und ein Schöpfer weiser Gesetze gewesen. Das Parlamentarische System war
damals eine Regierung der höheren Klassen, und diese besaßen in hohem Grade
politische Befähigung, und wenn auch der öffentliche Geist in ihnen sehr ge¬
sunken war, so stand er doch keineswegs auf dem Nullpunkte. Jenes System
ließ eine Schule von Staatsmännern entstehen, die der Leitung der Dinge
gewachsen waren, und unter den Reichen, die ihre Parlamentssitze kauften,
waren immer einige, welche von dem ernsten Wunsche beseelt waren, ihrem
Vaterlande zu nützen. Das Volk besaß wenig unmittelbaren Einfluß auf seine
Vertreter, aber so oft es seine Ansichten über eine Frage durch die freien
Wahlkörper oder durch tumultuarische Mittel zu erkennen gab, fand es Gehör
und meist auch Gehorsam.

Das allgemeine Niveau des politischen Lebens war indessen ein sehr nie¬
driges. Günstlingseinflüsse, Hosintriguen, Bestechungen waren an der Tages¬
ordnung. Bolingbroke wirkte sich seine Rückkehr aus der Verbannung durch
eine Mätresse Georgs des Ersten aus, die er mit 10000 Pfund bestochen
haben soll. Carteret sicherte sich seine Stellung durch Kriechen vor einer andern
„Freundin" des Königs. Chesterfield und Pulteney lagen zu den Füßen von
Mrs. Howard, der Geliebten des zweiten Georg, die von Mrs. Pitt, der Mutter
des großen Lord Chatam, unter dem Anerbieten von 1000 Pfund brieflich um
eine Kammerherrnstelle für ihren Bruder angegangen wurde. Pitt selbst wahrte
sich sein Verbleiben im Kabinet großenteils durch Aufmerksamkeiten gegen die
Herzogin von Icirmouth. Walpoles und Newcastles Macht ruhten auf der
Benutzung des gesammten Kronpatronats und eines' erheblichen Theiles der
ihnen zugänglichen öffentlichen Gelder zu dem Zwecke, sich ^die Mehrheit im
Parlamente zu erhalten. Verletzung des Briefgeheimnisses war etwas ganz
Gewöhnliches. Die Briefe Swifts, Boliugbrokes, Marlboroughs und Popes
sind voll von Klagen über die Unsicherheit ihrer Korrespondenz, und wir wissen
durch Walpole selbst, daß er kein Bedenken trug, die Briefe eines politischen
Nebenbuhlers zu öffnen.

Es kann nicht überraschen, daß unter solchen Umständen der Geist der
Nation tief gesunken war. Die Begeisterung für den Gedanken der Reforma¬
tion, dann für die mit dem Despotismus ringende Freiheit war verraucht. Mit
einer Kirche, die eine kalte und nüchterne Moral lehrte und jeden Eifer für


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/150>, abgerufen am 05.07.2024.