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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal.

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nur auf die stetige ethische Qualität der in Gott freien Persönlichkeit, auf die
bei allem Wechsel der Objekte des Handelns bleibende ethische Kausalität des
Christen-Menschen.

Auch darauf wird man kein Gewicht legen, daß Luther eine Rückwirkung
des sittlichen Handelns auf die Kraft des Glaubens und der Liebe leugnet.*)
Hier, wo er diese sittlichen Mächte in ihrem innersten idealen Wesen vergegen¬
wärtigt, hatte er ein Recht dazu. Die sittliche Gewöhnung, die ein stetes
sittliches Handeln erzeugt, das Naturwerden des sittlichen Lebens, konnte und
mußte ihm da gering erscheinen, wo er Glaube und Liebe nur als die Akte
innerster Freiheit darstellen wollte.

Der Traktat "Von der Freiheit eines Christen-Menschen" ist die einzige
reformatorische Schrift, in welcher, wenn auch in schwachen Anklängen, die
Stimme der Mystik laut wird; bald sollte sie völlig verstummen. Der Kampf
mit den Schwarmgeistern, der ihm die Gefahren zeigte, die einer entfesselten
Mystik drohen -- wir verweisen auf die ausgezeichnete Darstellung desselben
in dem Werke Herings --, die Nothwendigkeit, ein unmündiges Volk der Päda-
gogie des Evangeliums zu unterstellen, führte ihn von den Wegen der Mystik
weit ab, weiter sogar, als es im Interesse rein evangelischer Bezeugung der
christlichen Wahrheit lag. Es zeigt sich dieser Gegensatz zwischen früherer und
späterer Lehre besonders in der verschiednen Art der Begründung der Buße.
Luther hatte dieselbe früher von der Liebe zu Gott abgeleitet, eine Frucht der
Einwirkung von Staupitz, die er noch in einem Briefe an diesen von 1518
mit dem größten Danke erwähnt.**) Jetzt führt er die Buße auf das Gesetz
zurück, das von unsrer Schuld und zugleich von dem Zorne Gottes uns über¬
führe.***)

Bis an die Schwelle der Reformation hat die Mystik Luther geleitet; daß
er sie überschritt, war seine eigenste That. Sie hat seinen Blick in die Tiefen
des Gemüthslebens, in das geheimnißvolle Gebiet der unmittelbarsten Gemein¬
schaft mit Gott gelenkt, aber die entscheidende Erfahrung hat er hier als das
Ergebniß eigenster Bewegungen des Denkens und Wollens, Strebens und
Empfindens erlebt. Und was der Mystik nur ein fremdes Element in einem
Ganzen anders gearteter Anschauungen war, ein Gedanke, dem sie nicht Folge
gab, das war für Luther der Ausgangspunkt einer neuen Welt von Ideen,
welche folgerichtig mit einander zusammenhingen. Die Idee der Rechtfertigung





*) Vgl. Lommcchsch a, a, O, S. 209.
Vgl. Hering a. a. O, S, 8.
Vgl. Hering ni, ni, O. S. 283 und besonders Lommatzsch a, ni, O, S. 333 u, ff-,
wo eingehend und treffend diese Umwandlung und die Bedeutung derselben im Ganzen
der Lehre Luthers dargelegt ist.

nur auf die stetige ethische Qualität der in Gott freien Persönlichkeit, auf die
bei allem Wechsel der Objekte des Handelns bleibende ethische Kausalität des
Christen-Menschen.

Auch darauf wird man kein Gewicht legen, daß Luther eine Rückwirkung
des sittlichen Handelns auf die Kraft des Glaubens und der Liebe leugnet.*)
Hier, wo er diese sittlichen Mächte in ihrem innersten idealen Wesen vergegen¬
wärtigt, hatte er ein Recht dazu. Die sittliche Gewöhnung, die ein stetes
sittliches Handeln erzeugt, das Naturwerden des sittlichen Lebens, konnte und
mußte ihm da gering erscheinen, wo er Glaube und Liebe nur als die Akte
innerster Freiheit darstellen wollte.

Der Traktat „Von der Freiheit eines Christen-Menschen" ist die einzige
reformatorische Schrift, in welcher, wenn auch in schwachen Anklängen, die
Stimme der Mystik laut wird; bald sollte sie völlig verstummen. Der Kampf
mit den Schwarmgeistern, der ihm die Gefahren zeigte, die einer entfesselten
Mystik drohen — wir verweisen auf die ausgezeichnete Darstellung desselben
in dem Werke Herings —, die Nothwendigkeit, ein unmündiges Volk der Päda-
gogie des Evangeliums zu unterstellen, führte ihn von den Wegen der Mystik
weit ab, weiter sogar, als es im Interesse rein evangelischer Bezeugung der
christlichen Wahrheit lag. Es zeigt sich dieser Gegensatz zwischen früherer und
späterer Lehre besonders in der verschiednen Art der Begründung der Buße.
Luther hatte dieselbe früher von der Liebe zu Gott abgeleitet, eine Frucht der
Einwirkung von Staupitz, die er noch in einem Briefe an diesen von 1518
mit dem größten Danke erwähnt.**) Jetzt führt er die Buße auf das Gesetz
zurück, das von unsrer Schuld und zugleich von dem Zorne Gottes uns über¬
führe.***)

Bis an die Schwelle der Reformation hat die Mystik Luther geleitet; daß
er sie überschritt, war seine eigenste That. Sie hat seinen Blick in die Tiefen
des Gemüthslebens, in das geheimnißvolle Gebiet der unmittelbarsten Gemein¬
schaft mit Gott gelenkt, aber die entscheidende Erfahrung hat er hier als das
Ergebniß eigenster Bewegungen des Denkens und Wollens, Strebens und
Empfindens erlebt. Und was der Mystik nur ein fremdes Element in einem
Ganzen anders gearteter Anschauungen war, ein Gedanke, dem sie nicht Folge
gab, das war für Luther der Ausgangspunkt einer neuen Welt von Ideen,
welche folgerichtig mit einander zusammenhingen. Die Idee der Rechtfertigung





*) Vgl. Lommcchsch a, a, O, S. 209.
Vgl. Hering a. a. O, S, 8.
Vgl. Hering ni, ni, O. S. 283 und besonders Lommatzsch a, ni, O, S. 333 u, ff-,
wo eingehend und treffend diese Umwandlung und die Bedeutung derselben im Ganzen
der Lehre Luthers dargelegt ist.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/146>, abgerufen am 23.07.2024.