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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal.

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Redaktion im Auge gehabt; aber wir möchten glauben, daß sie bei der Lektüre
der ersteren schon durch deu Eindruck der letzteren etwas präokkupirt waren.
Sonst hätte Hering unmöglich den Vorwurf erheben können, daß Luther uicht
der Pflicht des Gehorsams gegen Gott, die auch für den von freier Liebe
erfüllten Christen bestehe, eingedenk sei. Erklärt doch Luther ausdrücklich:
"Diese Werke -- soll er -- der Christen-Mensch -- in freier Liebe, Gott zu
gehorchen, thun, auf nichts anders gerichtet als auf den göttlichen Willen, dem
er in allem auf das Pflichttreueste gehorchen möchte-"") Erheblicher ist das
andre Bedenken Herings, das auch im lateinischen Text eine Basis findet. Und
doch scheint es uns nur auf einem Mißverständnisse zu ruhen. Unser Traktat
ist Ende Oktober 1520 erschienen, Anfang Angust desselben Jahres hatte Luther
die gewaltige Schrift "An den christlichen Adel deutscher Nation u. s. w." ver¬
öffentlicht, in welcher er als Anwalt der hohen ethischen Aufgabe der Obrigkeit
eingetreten war und offen das große Wort ausgesprochen hatte: "Weltliche
Herrschaft ist ein Mitglied worden des christlichen Körpers. Und wiewohl sie
ein leibliches Werk hat, doch geistlichen Standes ist; darum ihr Werk soll frei
unverhindert gehen in allen Gliedmaßen des ganzen Körpers, strafen und
treiben, wo es die Schuld verdienet oder Noth fordert." Ist es nun wohl
denkbar, daß Luther nach zwei bis drei Monaten dies alles sollte vergessen und
einen Standpunkt gewählt haben, der eine Verkennung der ethischen Würde
des Staates in sich schloß? Unmöglich! Wir müssen, um Luthers Stellung
zu den sittlichen Aufgaben in unsrer Schrift zu verstehen, nur nicht aus den
Augen lassen, daß er weit davon entfernt ist, in derselben etwa die Grund¬
prinzipien der evangelischen Ethik darzulegen. Er will eben von nichts anderm
xeden als von der christlichen Freiheit, und zwar von dieser als dem Eigen¬
thum der individuellen christlichen Persönlichkeit. Hier kommt es ihm daher
nur darauf an, zu zeigen, wodurch dieselbe konstituirt werde und wodurch nicht.
Steht es nun fest, daß Werke es nicht sind, die sie hervorbringen, so fragt es
sich, in welcher Beziehung diese zu jener stehen. Die Antwort lautet: Es ist
die dienende, selbstverleugnende Liebe, von der sie bedingt sind. So hat er
denn keinen Anlaß, die Werke, welche er hier berücksichtigt, auch nicht die
Leistungen an den Staat, unter eine andre als diese Kategorie zu bringen. Er
will an diesem Orte gar nicht reflektiren auf die objektiven ethischen Qualitäten
der Gemeinschaften, welchen das sittliche Thun gilt; ebensowenig ans die objek¬
tiven Bestimmungsgründe, welche daraus für jenes hervorgehen, sondern eben



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S. 236.
Grenzboten IV. 1879. 13

Redaktion im Auge gehabt; aber wir möchten glauben, daß sie bei der Lektüre
der ersteren schon durch deu Eindruck der letzteren etwas präokkupirt waren.
Sonst hätte Hering unmöglich den Vorwurf erheben können, daß Luther uicht
der Pflicht des Gehorsams gegen Gott, die auch für den von freier Liebe
erfüllten Christen bestehe, eingedenk sei. Erklärt doch Luther ausdrücklich:
„Diese Werke — soll er — der Christen-Mensch — in freier Liebe, Gott zu
gehorchen, thun, auf nichts anders gerichtet als auf den göttlichen Willen, dem
er in allem auf das Pflichttreueste gehorchen möchte-"") Erheblicher ist das
andre Bedenken Herings, das auch im lateinischen Text eine Basis findet. Und
doch scheint es uns nur auf einem Mißverständnisse zu ruhen. Unser Traktat
ist Ende Oktober 1520 erschienen, Anfang Angust desselben Jahres hatte Luther
die gewaltige Schrift „An den christlichen Adel deutscher Nation u. s. w." ver¬
öffentlicht, in welcher er als Anwalt der hohen ethischen Aufgabe der Obrigkeit
eingetreten war und offen das große Wort ausgesprochen hatte: „Weltliche
Herrschaft ist ein Mitglied worden des christlichen Körpers. Und wiewohl sie
ein leibliches Werk hat, doch geistlichen Standes ist; darum ihr Werk soll frei
unverhindert gehen in allen Gliedmaßen des ganzen Körpers, strafen und
treiben, wo es die Schuld verdienet oder Noth fordert." Ist es nun wohl
denkbar, daß Luther nach zwei bis drei Monaten dies alles sollte vergessen und
einen Standpunkt gewählt haben, der eine Verkennung der ethischen Würde
des Staates in sich schloß? Unmöglich! Wir müssen, um Luthers Stellung
zu den sittlichen Aufgaben in unsrer Schrift zu verstehen, nur nicht aus den
Augen lassen, daß er weit davon entfernt ist, in derselben etwa die Grund¬
prinzipien der evangelischen Ethik darzulegen. Er will eben von nichts anderm
xeden als von der christlichen Freiheit, und zwar von dieser als dem Eigen¬
thum der individuellen christlichen Persönlichkeit. Hier kommt es ihm daher
nur darauf an, zu zeigen, wodurch dieselbe konstituirt werde und wodurch nicht.
Steht es nun fest, daß Werke es nicht sind, die sie hervorbringen, so fragt es
sich, in welcher Beziehung diese zu jener stehen. Die Antwort lautet: Es ist
die dienende, selbstverleugnende Liebe, von der sie bedingt sind. So hat er
denn keinen Anlaß, die Werke, welche er hier berücksichtigt, auch nicht die
Leistungen an den Staat, unter eine andre als diese Kategorie zu bringen. Er
will an diesem Orte gar nicht reflektiren auf die objektiven ethischen Qualitäten
der Gemeinschaften, welchen das sittliche Thun gilt; ebensowenig ans die objek¬
tiven Bestimmungsgründe, welche daraus für jenes hervorgehen, sondern eben



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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/145>, abgerufen am 03.07.2024.