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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal.

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Rechte des Priesterthums und Papstthums und deren Verhältniß zur weltlichen
Gewalt gehandelt. Mit aller Entschiedenheit tritt hier die Meinung auf: die
Scheidung zwischen Laien und Klerikern ist nicht richtig; sie ist willkürlich später
geschaffen und lag nicht in der Absicht Christi. Die Kirche umfaßt Alle, die
an Christus glauben, für Alle hat der Herr sein Blut vergossen und hat sie
erlöst. Mit Unrecht hat man daher im Staate noch einen besonderen geistliche"
Staat mit allerhand Vorrechten geschaffen. Mit Unrecht hat man auch den Be¬
griff 8M'itr>M8 (geistlich) auf Handlungen und Güter des Klerus, die doch welt¬
lich sind, ausgedehnt. Kein Geistlicher darf insbesondere eine von der weltlichen
getrennte Gerichtsbarkeit, zumal wo es sich um weltliche Dinge handelt, ver¬
langen. Für Alle muß das weltliche Gesetz die Norm abgeben, und nur der
Landesfürst hat zu urtheilen, was nach den Gesetzen gerecht und zulässig ist.
Marsiglio geht dann dazu über, die Argumente, welche die richterliche Gewalt
des Papstes beweisen sollen, zu widerlegen. "Christus ist nicht in die Welt
gekommen, um ein irdisches Regiment zu handhaben. Mein Reich ist nicht
von dieser Welt^, sagt er, und die hervorragendsten Kirchenväter deuten dies
auf eine Entsagung der irdischen Herrschaft. Der Herr floh in die Berge, als
die Juden ihn zum Könige machen wollten. ,Wer hat mich zum Richter über
euch gesetzt-" ruft er aus; ja noch mehr, er hat selbst gelehrt und durch sein
Beispiel bekräftigt, daß Jedermann der Obrigkeit Unterthan sein müsse, da er
dem Kaiser gab, was des Kaisers war, und sich der Gewalt des römischen
Statthalters unterwarf." So stehen nach Marsiglio alle menschlichen Hand¬
lungen unter dem weltlichen Gesetz; jeder Priester oder Bischof, der das weltliche
Gesetz überschreitet, verfällt dem weltlichen Gerichte, ja, schwerer soll er von
demselben gestraft werden als ein weltlicher Verbrecher, da er. ein größeres
Wissen besitzt und Böses voll Gutem besser zu unterscheiden vermag.

Ist aber dem Papste die weltliche Gewalt genommen, worin besteht dann
die Macht, die Christus seinen Nachfolgern, den Priestern, hinterließ? Marsiglio
beschränkt sie auf die Verkündigung der christlichen Lehre und Spendung der
Sakramente. Aus der Schrift ersehen wir, daß ihnen die Schlüsselgewalt
übertragen worden ist und demgemäß die Sündenvergebung und Exkommuni¬
kation. Doch auch hier tritt eine nothwendige Einschränkung ein. Nicht der
Priester, nur Gott allein kann von dem Makel der Sünde und von der ver¬
schuldeten ewigen Strafe befreien. Wenn jener die Fähigkeit hat, zu binden
und zu lösen, so heißt das nichts Anderes, als daß sie zeigen und aussprechen
dürfen, wer von Gott gesühnt sei oder nicht. Wer nicht absolvirt wird, mag
sich getrösten; Gott, der allein frei von Leidenschaften und gerecht ist, sieht sem
Leben an, nicht das Urtheil des Priesters.

Das Dispensationsrecht gesteht Marsiglio der Kirche nicht zu. Denn


Rechte des Priesterthums und Papstthums und deren Verhältniß zur weltlichen
Gewalt gehandelt. Mit aller Entschiedenheit tritt hier die Meinung auf: die
Scheidung zwischen Laien und Klerikern ist nicht richtig; sie ist willkürlich später
geschaffen und lag nicht in der Absicht Christi. Die Kirche umfaßt Alle, die
an Christus glauben, für Alle hat der Herr sein Blut vergossen und hat sie
erlöst. Mit Unrecht hat man daher im Staate noch einen besonderen geistliche»
Staat mit allerhand Vorrechten geschaffen. Mit Unrecht hat man auch den Be¬
griff 8M'itr>M8 (geistlich) auf Handlungen und Güter des Klerus, die doch welt¬
lich sind, ausgedehnt. Kein Geistlicher darf insbesondere eine von der weltlichen
getrennte Gerichtsbarkeit, zumal wo es sich um weltliche Dinge handelt, ver¬
langen. Für Alle muß das weltliche Gesetz die Norm abgeben, und nur der
Landesfürst hat zu urtheilen, was nach den Gesetzen gerecht und zulässig ist.
Marsiglio geht dann dazu über, die Argumente, welche die richterliche Gewalt
des Papstes beweisen sollen, zu widerlegen. „Christus ist nicht in die Welt
gekommen, um ein irdisches Regiment zu handhaben. Mein Reich ist nicht
von dieser Welt^, sagt er, und die hervorragendsten Kirchenväter deuten dies
auf eine Entsagung der irdischen Herrschaft. Der Herr floh in die Berge, als
die Juden ihn zum Könige machen wollten. ,Wer hat mich zum Richter über
euch gesetzt-" ruft er aus; ja noch mehr, er hat selbst gelehrt und durch sein
Beispiel bekräftigt, daß Jedermann der Obrigkeit Unterthan sein müsse, da er
dem Kaiser gab, was des Kaisers war, und sich der Gewalt des römischen
Statthalters unterwarf." So stehen nach Marsiglio alle menschlichen Hand¬
lungen unter dem weltlichen Gesetz; jeder Priester oder Bischof, der das weltliche
Gesetz überschreitet, verfällt dem weltlichen Gerichte, ja, schwerer soll er von
demselben gestraft werden als ein weltlicher Verbrecher, da er. ein größeres
Wissen besitzt und Böses voll Gutem besser zu unterscheiden vermag.

Ist aber dem Papste die weltliche Gewalt genommen, worin besteht dann
die Macht, die Christus seinen Nachfolgern, den Priestern, hinterließ? Marsiglio
beschränkt sie auf die Verkündigung der christlichen Lehre und Spendung der
Sakramente. Aus der Schrift ersehen wir, daß ihnen die Schlüsselgewalt
übertragen worden ist und demgemäß die Sündenvergebung und Exkommuni¬
kation. Doch auch hier tritt eine nothwendige Einschränkung ein. Nicht der
Priester, nur Gott allein kann von dem Makel der Sünde und von der ver¬
schuldeten ewigen Strafe befreien. Wenn jener die Fähigkeit hat, zu binden
und zu lösen, so heißt das nichts Anderes, als daß sie zeigen und aussprechen
dürfen, wer von Gott gesühnt sei oder nicht. Wer nicht absolvirt wird, mag
sich getrösten; Gott, der allein frei von Leidenschaften und gerecht ist, sieht sem
Leben an, nicht das Urtheil des Priesters.

Das Dispensationsrecht gesteht Marsiglio der Kirche nicht zu. Denn


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/14>, abgerufen am 01.07.2024.