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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal.

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Fürst Bismarck genießt hier trotz alleil Gegensatzes, lvelcher zwischen dem süd¬
deutschen Wesen und dem spezifischen Preußenthum besteht, eine Popularität,
von der sich die redaktionelle und parlamentarische Schulweisheit des nord¬
deutschen Liberalismus nichts träumen läßt. Daher trennten sich beim Rück¬
tritte Falls alsbald die Wege der norddeutschen und der süddeutschen Liberalen.
Ohne daß man die Bedeutung der Stelle des Kultusministers im preußischen
Ministerium auch für das Reich verkannte, war man doch weit entfernt, von
vornherein zu glauben, daß mit dem Wechsel in der Person auch ein Wechsel
des Systems verknüpft sei. Einen treuen Ausdruck fand diese allgemeine Stim¬
mung in der Presse. Die drei maßgebenden Blätter Baierns, Württembergs
und Badens traten den Reaktionsprophezeiungen ihrer Berliner, Magdeburger
und Frankfurter Kolleginnen aufs entschiedenste entgegen und sprachen es wieder¬
holt aus, daß das Vertrauen zum Fürsten Bismarck in Süddeutschland ein
unbedingtes sei. Daß aber auf den Gebieten der Schule und Kirche in einigen
Beziehungen Wandel geschaffen werden müsse, und daß die Reichs- und speziell
die preußische Regierung durchaus uoch nicht reaktionären Anwandlungen folge,
wenn sie das thun, dieser Einsicht verschloß man sich dabei ausgesprochener
Maßen nicht.

So standen die Dinge bei uns, als der bekannte Brief des zurückgetretenen
Staatsmannes erschien und alsbald bis ins kleinste Dorf hinein in seinem Wort¬
laute verbreitet wurde. Die Freude über dieses Schreiben war auf liberaler Seite
natürlich groß, um so größer, als der neue Kultusminister bisher einen greifbaren
Grund für Reaktionsbefnrchtungen noch nicht geboten hatte, auf den Lauerschen
Fall aber nur die Rohesten, denen vor dem religiösen Gefühle anderer jegliche
Achtung abhanden gekommen war, sich beriefen. Jetzt war die Reaktion klar und
deutlich signalisirt, ihr Hereinbruch konnte kaum eine Frage der Zeit sein, ja der
eiserne Kanzler mußte sich wohl schon das Büßerhemde angethan haben, wenn
sein Freund und Kampfesgenosse den Gang nach Canossa in so wahrscheinliche
Aussicht stellen konnte. Wozu brauchen wir noch weiter Zeugniß? Falk sagt es
ja! Und mußte er nicht fest von der Nähe der Gefahr überzeugt sein, wenn
er gerade in dem Augenblicke den Schlachtruf ins Volk rief oder doch rufen
ließ, als dasselbe durch die Wahlen Zeugniß ablegen sollte, ob es mit seinem
Vertrauen zu Bismarck stehe oder zu Laster und Richter? Es ist bekannt, wie die
Berliner Meute sich auf den unseligen Brief stürzte, wie sie Falk -- Korri-
dils äiow! -- als einen der Ihrigen ausrief, wie ihn die semitische Gemeinde
zu Berlin als ihren Propheten auf den Schild hob! Auch in Süddentschland
hallte der Lärm leise wieder, aber nur leise. Ein nationalliberales Organ
Laskerscher Richtung in Frankfurt a/M. brachte einen Wahlaufruf mit der
verlockenden Ueberschrift: "Auf die Schanzen!" und verstieg sich dabei zudem


Fürst Bismarck genießt hier trotz alleil Gegensatzes, lvelcher zwischen dem süd¬
deutschen Wesen und dem spezifischen Preußenthum besteht, eine Popularität,
von der sich die redaktionelle und parlamentarische Schulweisheit des nord¬
deutschen Liberalismus nichts träumen läßt. Daher trennten sich beim Rück¬
tritte Falls alsbald die Wege der norddeutschen und der süddeutschen Liberalen.
Ohne daß man die Bedeutung der Stelle des Kultusministers im preußischen
Ministerium auch für das Reich verkannte, war man doch weit entfernt, von
vornherein zu glauben, daß mit dem Wechsel in der Person auch ein Wechsel
des Systems verknüpft sei. Einen treuen Ausdruck fand diese allgemeine Stim¬
mung in der Presse. Die drei maßgebenden Blätter Baierns, Württembergs
und Badens traten den Reaktionsprophezeiungen ihrer Berliner, Magdeburger
und Frankfurter Kolleginnen aufs entschiedenste entgegen und sprachen es wieder¬
holt aus, daß das Vertrauen zum Fürsten Bismarck in Süddeutschland ein
unbedingtes sei. Daß aber auf den Gebieten der Schule und Kirche in einigen
Beziehungen Wandel geschaffen werden müsse, und daß die Reichs- und speziell
die preußische Regierung durchaus uoch nicht reaktionären Anwandlungen folge,
wenn sie das thun, dieser Einsicht verschloß man sich dabei ausgesprochener
Maßen nicht.

So standen die Dinge bei uns, als der bekannte Brief des zurückgetretenen
Staatsmannes erschien und alsbald bis ins kleinste Dorf hinein in seinem Wort¬
laute verbreitet wurde. Die Freude über dieses Schreiben war auf liberaler Seite
natürlich groß, um so größer, als der neue Kultusminister bisher einen greifbaren
Grund für Reaktionsbefnrchtungen noch nicht geboten hatte, auf den Lauerschen
Fall aber nur die Rohesten, denen vor dem religiösen Gefühle anderer jegliche
Achtung abhanden gekommen war, sich beriefen. Jetzt war die Reaktion klar und
deutlich signalisirt, ihr Hereinbruch konnte kaum eine Frage der Zeit sein, ja der
eiserne Kanzler mußte sich wohl schon das Büßerhemde angethan haben, wenn
sein Freund und Kampfesgenosse den Gang nach Canossa in so wahrscheinliche
Aussicht stellen konnte. Wozu brauchen wir noch weiter Zeugniß? Falk sagt es
ja! Und mußte er nicht fest von der Nähe der Gefahr überzeugt sein, wenn
er gerade in dem Augenblicke den Schlachtruf ins Volk rief oder doch rufen
ließ, als dasselbe durch die Wahlen Zeugniß ablegen sollte, ob es mit seinem
Vertrauen zu Bismarck stehe oder zu Laster und Richter? Es ist bekannt, wie die
Berliner Meute sich auf den unseligen Brief stürzte, wie sie Falk — Korri-
dils äiow! — als einen der Ihrigen ausrief, wie ihn die semitische Gemeinde
zu Berlin als ihren Propheten auf den Schild hob! Auch in Süddentschland
hallte der Lärm leise wieder, aber nur leise. Ein nationalliberales Organ
Laskerscher Richtung in Frankfurt a/M. brachte einen Wahlaufruf mit der
verlockenden Ueberschrift: „Auf die Schanzen!" und verstieg sich dabei zudem


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[0128] Fürst Bismarck genießt hier trotz alleil Gegensatzes, lvelcher zwischen dem süd¬ deutschen Wesen und dem spezifischen Preußenthum besteht, eine Popularität, von der sich die redaktionelle und parlamentarische Schulweisheit des nord¬ deutschen Liberalismus nichts träumen läßt. Daher trennten sich beim Rück¬ tritte Falls alsbald die Wege der norddeutschen und der süddeutschen Liberalen. Ohne daß man die Bedeutung der Stelle des Kultusministers im preußischen Ministerium auch für das Reich verkannte, war man doch weit entfernt, von vornherein zu glauben, daß mit dem Wechsel in der Person auch ein Wechsel des Systems verknüpft sei. Einen treuen Ausdruck fand diese allgemeine Stim¬ mung in der Presse. Die drei maßgebenden Blätter Baierns, Württembergs und Badens traten den Reaktionsprophezeiungen ihrer Berliner, Magdeburger und Frankfurter Kolleginnen aufs entschiedenste entgegen und sprachen es wieder¬ holt aus, daß das Vertrauen zum Fürsten Bismarck in Süddeutschland ein unbedingtes sei. Daß aber auf den Gebieten der Schule und Kirche in einigen Beziehungen Wandel geschaffen werden müsse, und daß die Reichs- und speziell die preußische Regierung durchaus uoch nicht reaktionären Anwandlungen folge, wenn sie das thun, dieser Einsicht verschloß man sich dabei ausgesprochener Maßen nicht. So standen die Dinge bei uns, als der bekannte Brief des zurückgetretenen Staatsmannes erschien und alsbald bis ins kleinste Dorf hinein in seinem Wort¬ laute verbreitet wurde. Die Freude über dieses Schreiben war auf liberaler Seite natürlich groß, um so größer, als der neue Kultusminister bisher einen greifbaren Grund für Reaktionsbefnrchtungen noch nicht geboten hatte, auf den Lauerschen Fall aber nur die Rohesten, denen vor dem religiösen Gefühle anderer jegliche Achtung abhanden gekommen war, sich beriefen. Jetzt war die Reaktion klar und deutlich signalisirt, ihr Hereinbruch konnte kaum eine Frage der Zeit sein, ja der eiserne Kanzler mußte sich wohl schon das Büßerhemde angethan haben, wenn sein Freund und Kampfesgenosse den Gang nach Canossa in so wahrscheinliche Aussicht stellen konnte. Wozu brauchen wir noch weiter Zeugniß? Falk sagt es ja! Und mußte er nicht fest von der Nähe der Gefahr überzeugt sein, wenn er gerade in dem Augenblicke den Schlachtruf ins Volk rief oder doch rufen ließ, als dasselbe durch die Wahlen Zeugniß ablegen sollte, ob es mit seinem Vertrauen zu Bismarck stehe oder zu Laster und Richter? Es ist bekannt, wie die Berliner Meute sich auf den unseligen Brief stürzte, wie sie Falk — Korri- dils äiow! — als einen der Ihrigen ausrief, wie ihn die semitische Gemeinde zu Berlin als ihren Propheten auf den Schild hob! Auch in Süddentschland hallte der Lärm leise wieder, aber nur leise. Ein nationalliberales Organ Laskerscher Richtung in Frankfurt a/M. brachte einen Wahlaufruf mit der verlockenden Ueberschrift: „Auf die Schanzen!" und verstieg sich dabei zudem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/128>, abgerufen am 03.07.2024.