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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal.

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Satze, es müßten gewählt werden selbständige, zuverlässige, entschieden liberale
Männer, die kräftig und entschlossen seien, der Reaktion einen Damm entgegen¬
zusetzen, und dem Reichskanzler die Ueberzeugung beizubringen, "daß er diesen
Gang nach Canossa um der Ehre und des Ansehens unseres Staates
und seiner selbst willen vermeiden muß". So schrieb man in dem Ex¬
Wahlkreise Lasters, und wahrlich Lasters würdig, kurz vor der Wahl, und
einige Amtsverkündiger in Baden, wo ja die Wahlmännerwahl ebenfalls dicht
vor der Thür stand, druckten es nach. Aber welches Mißgeschick! Unglück¬
licherweise mahnte man den Schöpfer des deutschen Reiches, den treuesten
Schutz und Schirm seiner Ehre und seines Ansehens gerade in den Tagen so
bescheiden an seine Pflicht, wo er in Wien einen neuen Beweis ablegte für
die Ueberflüssigkeit solcher Laskerei, als er durch den neuen großartigen Erfolg
seiner Politik zeigte, daß er heute wie je für die Ehre und das Ansehen Deutsch¬
lands unermüdlich thätig ist, als er sich durch diese patriotische That von
neuem die Herzen auch der süddeutschen Bevölkerung eroberte. Von neuem
wurde man durch die Thatsachen daran erinnert, daß es eine Nichtswürdigkeit
sei, diesem Manne die Unterstellung zu machen, als könne er überhaupt anders
handeln wollen, als wie es dem Ansehen und der Ehre des deutschen Reiches
zuträglich ist. So wurde denn Falls Brief bei uns nicht nnr von Seiten der
Bevölkerung mit Gleichgiltigkeit und Kopfschütteln aufgenommen, auch die
Presse verhielt sich abweisend. Der "Schwäbische Merkur" antwortete mit
einem Li tacuissW, die "Badische Landes-Zeitung", die bei der Knlturkamps-
manie der badischen Liberalen noch am ehesten Anlaß gehabt hätte, in das
Berliner Horn zu blasen, wies einfach darauf hin, daß der Falkschen Befürch¬
tung jede thatsächliche Begründung fehle, und ebenso erklärte sich die süddeutsche
Presse gegen das fortgesetzte Reaktionsgeschrei der Berliner Preßleitung. Man
ist hier eben des Kulturkampfes herzlich müde, man fühlt heraus, daß doch etwas
zu rücksichtslos vorgegangen worden ist, daß man mehr verletzt hat, als nöthig
war, daß man den Teufel auszutreiben gesucht durch Beelzebub. Wo sich
noch ein Paar Hände falteten, da kamen unsere liberalen Flachköpfe mit dem
Lächeln geistiger Ueberlegenheit und gössen Spott aus über den Pietismus;
und Pietismus war für sie alles, was über die materialistischen Grenzen der
Endlichkeit hinausreichte. Man entrüstet sich jetzt über die "Judenhetze". Sie
ist aber das ganz natürliche Reagiren des beleidigten Volksgewissens, sie ist
die Gegenregung des christlich-germanischen Geistes gegen das überwuchernde
Judenthum -- nicht gegen das des Bekenntnisses, sondern gegen das der Ge¬
sinnung. Sie ist ein Zeichen, daß das deutsch-christliche Element uns von den
semitisch-kosmopolitisch-materialistischen Strebungen noch nicht völlig unterwühlt


Satze, es müßten gewählt werden selbständige, zuverlässige, entschieden liberale
Männer, die kräftig und entschlossen seien, der Reaktion einen Damm entgegen¬
zusetzen, und dem Reichskanzler die Ueberzeugung beizubringen, „daß er diesen
Gang nach Canossa um der Ehre und des Ansehens unseres Staates
und seiner selbst willen vermeiden muß". So schrieb man in dem Ex¬
Wahlkreise Lasters, und wahrlich Lasters würdig, kurz vor der Wahl, und
einige Amtsverkündiger in Baden, wo ja die Wahlmännerwahl ebenfalls dicht
vor der Thür stand, druckten es nach. Aber welches Mißgeschick! Unglück¬
licherweise mahnte man den Schöpfer des deutschen Reiches, den treuesten
Schutz und Schirm seiner Ehre und seines Ansehens gerade in den Tagen so
bescheiden an seine Pflicht, wo er in Wien einen neuen Beweis ablegte für
die Ueberflüssigkeit solcher Laskerei, als er durch den neuen großartigen Erfolg
seiner Politik zeigte, daß er heute wie je für die Ehre und das Ansehen Deutsch¬
lands unermüdlich thätig ist, als er sich durch diese patriotische That von
neuem die Herzen auch der süddeutschen Bevölkerung eroberte. Von neuem
wurde man durch die Thatsachen daran erinnert, daß es eine Nichtswürdigkeit
sei, diesem Manne die Unterstellung zu machen, als könne er überhaupt anders
handeln wollen, als wie es dem Ansehen und der Ehre des deutschen Reiches
zuträglich ist. So wurde denn Falls Brief bei uns nicht nnr von Seiten der
Bevölkerung mit Gleichgiltigkeit und Kopfschütteln aufgenommen, auch die
Presse verhielt sich abweisend. Der „Schwäbische Merkur" antwortete mit
einem Li tacuissW, die „Badische Landes-Zeitung", die bei der Knlturkamps-
manie der badischen Liberalen noch am ehesten Anlaß gehabt hätte, in das
Berliner Horn zu blasen, wies einfach darauf hin, daß der Falkschen Befürch¬
tung jede thatsächliche Begründung fehle, und ebenso erklärte sich die süddeutsche
Presse gegen das fortgesetzte Reaktionsgeschrei der Berliner Preßleitung. Man
ist hier eben des Kulturkampfes herzlich müde, man fühlt heraus, daß doch etwas
zu rücksichtslos vorgegangen worden ist, daß man mehr verletzt hat, als nöthig
war, daß man den Teufel auszutreiben gesucht durch Beelzebub. Wo sich
noch ein Paar Hände falteten, da kamen unsere liberalen Flachköpfe mit dem
Lächeln geistiger Ueberlegenheit und gössen Spott aus über den Pietismus;
und Pietismus war für sie alles, was über die materialistischen Grenzen der
Endlichkeit hinausreichte. Man entrüstet sich jetzt über die „Judenhetze". Sie
ist aber das ganz natürliche Reagiren des beleidigten Volksgewissens, sie ist
die Gegenregung des christlich-germanischen Geistes gegen das überwuchernde
Judenthum — nicht gegen das des Bekenntnisses, sondern gegen das der Ge¬
sinnung. Sie ist ein Zeichen, daß das deutsch-christliche Element uns von den
semitisch-kosmopolitisch-materialistischen Strebungen noch nicht völlig unterwühlt


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[0129] Satze, es müßten gewählt werden selbständige, zuverlässige, entschieden liberale Männer, die kräftig und entschlossen seien, der Reaktion einen Damm entgegen¬ zusetzen, und dem Reichskanzler die Ueberzeugung beizubringen, „daß er diesen Gang nach Canossa um der Ehre und des Ansehens unseres Staates und seiner selbst willen vermeiden muß". So schrieb man in dem Ex¬ Wahlkreise Lasters, und wahrlich Lasters würdig, kurz vor der Wahl, und einige Amtsverkündiger in Baden, wo ja die Wahlmännerwahl ebenfalls dicht vor der Thür stand, druckten es nach. Aber welches Mißgeschick! Unglück¬ licherweise mahnte man den Schöpfer des deutschen Reiches, den treuesten Schutz und Schirm seiner Ehre und seines Ansehens gerade in den Tagen so bescheiden an seine Pflicht, wo er in Wien einen neuen Beweis ablegte für die Ueberflüssigkeit solcher Laskerei, als er durch den neuen großartigen Erfolg seiner Politik zeigte, daß er heute wie je für die Ehre und das Ansehen Deutsch¬ lands unermüdlich thätig ist, als er sich durch diese patriotische That von neuem die Herzen auch der süddeutschen Bevölkerung eroberte. Von neuem wurde man durch die Thatsachen daran erinnert, daß es eine Nichtswürdigkeit sei, diesem Manne die Unterstellung zu machen, als könne er überhaupt anders handeln wollen, als wie es dem Ansehen und der Ehre des deutschen Reiches zuträglich ist. So wurde denn Falls Brief bei uns nicht nnr von Seiten der Bevölkerung mit Gleichgiltigkeit und Kopfschütteln aufgenommen, auch die Presse verhielt sich abweisend. Der „Schwäbische Merkur" antwortete mit einem Li tacuissW, die „Badische Landes-Zeitung", die bei der Knlturkamps- manie der badischen Liberalen noch am ehesten Anlaß gehabt hätte, in das Berliner Horn zu blasen, wies einfach darauf hin, daß der Falkschen Befürch¬ tung jede thatsächliche Begründung fehle, und ebenso erklärte sich die süddeutsche Presse gegen das fortgesetzte Reaktionsgeschrei der Berliner Preßleitung. Man ist hier eben des Kulturkampfes herzlich müde, man fühlt heraus, daß doch etwas zu rücksichtslos vorgegangen worden ist, daß man mehr verletzt hat, als nöthig war, daß man den Teufel auszutreiben gesucht durch Beelzebub. Wo sich noch ein Paar Hände falteten, da kamen unsere liberalen Flachköpfe mit dem Lächeln geistiger Ueberlegenheit und gössen Spott aus über den Pietismus; und Pietismus war für sie alles, was über die materialistischen Grenzen der Endlichkeit hinausreichte. Man entrüstet sich jetzt über die „Judenhetze". Sie ist aber das ganz natürliche Reagiren des beleidigten Volksgewissens, sie ist die Gegenregung des christlich-germanischen Geistes gegen das überwuchernde Judenthum — nicht gegen das des Bekenntnisses, sondern gegen das der Ge¬ sinnung. Sie ist ein Zeichen, daß das deutsch-christliche Element uns von den semitisch-kosmopolitisch-materialistischen Strebungen noch nicht völlig unterwühlt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/129>, abgerufen am 03.07.2024.