Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal.liberalen Bürgerthums, sind unbekümmert und ohne Rücksicht auf die reale Die Folgen dieser Mißstände liegen heute klar genug zu Tage. Die wirth¬ liberalen Bürgerthums, sind unbekümmert und ohne Rücksicht auf die reale Die Folgen dieser Mißstände liegen heute klar genug zu Tage. Die wirth¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0058" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/142555"/> <p xml:id="ID_169" prev="#ID_168"> liberalen Bürgerthums, sind unbekümmert und ohne Rücksicht auf die reale<lb/> Entwickelung der Dinge ihren Weg gegangen; über die Häupter des Volkes<lb/> hinweg, mit stolzem Tribunenbewnßtsein, nichts lernend und nichts vergessend,<lb/> sind sie zu immer steileren Höhen emporgedrungen und haben dabei nicht wahr¬<lb/> genommen, daß einer nach dem andern von ihren Getreuen sich verloren, daß end¬<lb/> lich nur noch ein Häuflein vou Führern übrig ist, denen zu folgen die über¬<lb/> wiegende Mehrheit des Volkes schon längst keine Lust mehr hat. Hierbei ist<lb/> gar nichts Wunderbares. Wunderbar wäre nur die Selbsttäuschung, der man<lb/> sich hingibt, und in der man immer noch an der Spitze von Legionen zu<lb/> marschiren glaubt, wenn nicht fast die gesammte liberale Presse, wenigstens in<lb/> Norddeutschland, mit in das Horn jener Führer stieße und das Vaterland<lb/> dnrch den Reichskanzler aufs schmählichste gefährdet sähe. Man darf jedoch<lb/> hierbei den ganz kleinen Umstand nicht vergessen, daß fast diese gesammte Presse<lb/> von den handwerksmäßigen publizistischen Parlamentariern in ihren tonangeben¬<lb/> den Organen bedient und fast durchgängig wenigstens inspirirt wird. Die<lb/> liberale Presse ist in parlamentarischer Beziehung fast nur der Wald, aus dem<lb/> herausschallt, was die Volkstribunen hineingerufen; sie ist beinahe ausschließlich<lb/> in den Händen von Männern, denen das praktische Leben und seine Bedürfnisse<lb/> fast eben so fremd sind wie den meisten liberalen Handwerks-Parlamentariern<lb/> selbst. Und dazu nehme man die Paschawirthschaft in dieser Presse selbst, das<lb/> Sichanlehnen der einen, die vollständige stoffliche und gedankliche Abhängigkeit der<lb/> anderen in Bezug auf die wenigen leitenden Organe, und man wird verstehen,<lb/> wie ein Uneingeweihter sich wenigstens versucht fühlen kann, zu glauben, die<lb/> öffentliche Meinung gebe jenem liberalen Generalstabe recht. Dieser General¬<lb/> stab selbst aber sollte doch zu diesen Uneingeweihten nicht gehören wollen!</p><lb/> <p xml:id="ID_170" next="#ID_171"> Die Folgen dieser Mißstände liegen heute klar genug zu Tage. Die wirth¬<lb/> schaftliche Reform ist nahe daran, wenn auch nicht zu scheitern, so doch gänzlich<lb/> ohne Mithilfe der liberalen Partei zu Stande zu kommen; drei Ministersessel sind,<lb/> nicht ohne Verschulden der liberalen Partei, erledigt und werden aller Voraus¬<lb/> sicht nach auch ohne ihre Berücksichtigung besetzt werden, und auch dies nur,<lb/> weil sich die Partei in eine Stellung hat hineindrängen lassen, die jede Ge¬<lb/> meinsamkeit des Wirkens nahezu zur Unmöglichkeit macht; im Volke ist das<lb/> Vertrauen zur liberalen Sache und zu ihren Vertretern tief erschüttert, und<lb/> selbst dem Bürgerthum, das bisher als die eigentliche Domäne des Liberalis¬<lb/> mus galt, kommt der Glauben an den legislativen Beruf desselben immer mehr<lb/> abhanden; in der Partei selbst Zerfahrenheit, ein von Tag zu Tag wachsendes<lb/> Gefühl der Unzusammengehörigkeit und Haltlosigkeit, die Ahnung des Aus¬<lb/> einanderfalls und des Unvermögens. Und das Alles in Folge jenes politischen<lb/> Pessimismus, des Verlierens jedes positiven Bodens und der alleinigen Be-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0058]
liberalen Bürgerthums, sind unbekümmert und ohne Rücksicht auf die reale
Entwickelung der Dinge ihren Weg gegangen; über die Häupter des Volkes
hinweg, mit stolzem Tribunenbewnßtsein, nichts lernend und nichts vergessend,
sind sie zu immer steileren Höhen emporgedrungen und haben dabei nicht wahr¬
genommen, daß einer nach dem andern von ihren Getreuen sich verloren, daß end¬
lich nur noch ein Häuflein vou Führern übrig ist, denen zu folgen die über¬
wiegende Mehrheit des Volkes schon längst keine Lust mehr hat. Hierbei ist
gar nichts Wunderbares. Wunderbar wäre nur die Selbsttäuschung, der man
sich hingibt, und in der man immer noch an der Spitze von Legionen zu
marschiren glaubt, wenn nicht fast die gesammte liberale Presse, wenigstens in
Norddeutschland, mit in das Horn jener Führer stieße und das Vaterland
dnrch den Reichskanzler aufs schmählichste gefährdet sähe. Man darf jedoch
hierbei den ganz kleinen Umstand nicht vergessen, daß fast diese gesammte Presse
von den handwerksmäßigen publizistischen Parlamentariern in ihren tonangeben¬
den Organen bedient und fast durchgängig wenigstens inspirirt wird. Die
liberale Presse ist in parlamentarischer Beziehung fast nur der Wald, aus dem
herausschallt, was die Volkstribunen hineingerufen; sie ist beinahe ausschließlich
in den Händen von Männern, denen das praktische Leben und seine Bedürfnisse
fast eben so fremd sind wie den meisten liberalen Handwerks-Parlamentariern
selbst. Und dazu nehme man die Paschawirthschaft in dieser Presse selbst, das
Sichanlehnen der einen, die vollständige stoffliche und gedankliche Abhängigkeit der
anderen in Bezug auf die wenigen leitenden Organe, und man wird verstehen,
wie ein Uneingeweihter sich wenigstens versucht fühlen kann, zu glauben, die
öffentliche Meinung gebe jenem liberalen Generalstabe recht. Dieser General¬
stab selbst aber sollte doch zu diesen Uneingeweihten nicht gehören wollen!
Die Folgen dieser Mißstände liegen heute klar genug zu Tage. Die wirth¬
schaftliche Reform ist nahe daran, wenn auch nicht zu scheitern, so doch gänzlich
ohne Mithilfe der liberalen Partei zu Stande zu kommen; drei Ministersessel sind,
nicht ohne Verschulden der liberalen Partei, erledigt und werden aller Voraus¬
sicht nach auch ohne ihre Berücksichtigung besetzt werden, und auch dies nur,
weil sich die Partei in eine Stellung hat hineindrängen lassen, die jede Ge¬
meinsamkeit des Wirkens nahezu zur Unmöglichkeit macht; im Volke ist das
Vertrauen zur liberalen Sache und zu ihren Vertretern tief erschüttert, und
selbst dem Bürgerthum, das bisher als die eigentliche Domäne des Liberalis¬
mus galt, kommt der Glauben an den legislativen Beruf desselben immer mehr
abhanden; in der Partei selbst Zerfahrenheit, ein von Tag zu Tag wachsendes
Gefühl der Unzusammengehörigkeit und Haltlosigkeit, die Ahnung des Aus¬
einanderfalls und des Unvermögens. Und das Alles in Folge jenes politischen
Pessimismus, des Verlierens jedes positiven Bodens und der alleinigen Be-
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