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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal.

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That kein direkter Gewinn, wohl aber werden die Güter für die Nachkommen
ertragsfähiger und werthvoller.

Das Dorf Varzin liegt großentheils im Norden und Osten des Herren¬
hauses und seiner Wirthschaftsgebäude. Es ist klein und unansehnlich, nur
eine doppelte Häuserreihe neben der Landstraße, und hat, wenn ich recht hörte,
nicht mehr als fünf Bauern. Die übrigen Bewohner des Ortes sind, wie
man zu sagen Pflegt, "kleine Leute", Käthner, Tagelöhner, Dorfhandwerker
u. tgi. Im Wirthshause wohnen die zur Sicherung des Fürsten gegen Atten¬
tate von Berlin hierher kommandirten Schutzleute. Natürlich ist Varzin mit
der Hauptstadt durch eine Telegraphenleitung verbunden, und ebenso befindet
sich hier ein Postbeamter, der, wie erzählt wurde, in einem der letzten Jahre
nicht weniger als nahezu sechsundeinhalbtausend Briefe und Packete und über
zehntausend Telegramme durch seine Hände gehen sah -- Summen, bei denen
man sich erinnern muß, daß sie sich mit ganz geringen Ausnahmen über die
sechs oder sieben Monate vertheilten, die der Kanzler in jenem Jahre hier zu¬
brachte. Die Kouverts jeuer Briefe und Packete werden ein gutes Stück Welt¬
geschichte enthalte", die Telegraphendrähte allerlei Politisches und darunter
hochbedeutsame Momente in der Entwickelung des Kulturkampfes, in den Be¬
ziehungen des Kanzlers zu den fremden Mächten, zu der ihm damals nahe¬
stehenden nationalen Partei, zu den preußischen Ministern und zu den Regie¬
rungen der Bundesstaaten des Reiches durch die Welt hierher geleitet haben.
Sie vermittelten aber auch Anderes und dabei viel Unbequemes und Uner¬
wünschtes, wovon hier zu reden nützlich sein möchte, da es seitdem wahrschein¬
lich nicht besser geworden ist.

Fürst Bismarck pflegt in Varzin die eine oder die andere Kur zu brauchen,
Brunnen zu trinken u. tgi. Dabei wäre ihm, dem in Berlin viel Angestrengt¬
gewesenen, dem von riesiger Arbeit endlich Abgespannten, Ruhe und heitere
ländliche Stille doppelt zu gönnen. Man sollte meinen, daß ein verehrliches
Publikum das begriffe und darnach handelte. Aber weit gefehlt. "Man traut
seinen Augen kaum," so erzählte mir in den ersten Jahren nach 1870 jemand
aus der Umgebung des Kanzlers, "man erschrickt manchmal förmlich, wenn
man die Lasten von Zuschriften sieht, mit denen die Welt mit ihrer wohlmei¬
nenden Schreibseligkeit und ihrem naiv zudringlichen Egoismus ihm die paar
Wochen wohlverdienter Muße zu vereiteln trachtet, die der Sommer ihm end¬
lich gewähren möchte." Vergebens waren die Notizen in der "Norddeutschen
Allgemeinen Zeitung", mit welchen der Fürst sich derartige rücksichtslose Belä¬
stigung dringend verbat. Eine große Anzahl anderer Blätter gab sie wieder,
man wußte also in weiten Kreisen, daß solche Störung mit Verdruß empfunden
wurde. Trotzdem nahmen die dem Kanzler zukommenden Privatschreiben mit


That kein direkter Gewinn, wohl aber werden die Güter für die Nachkommen
ertragsfähiger und werthvoller.

Das Dorf Varzin liegt großentheils im Norden und Osten des Herren¬
hauses und seiner Wirthschaftsgebäude. Es ist klein und unansehnlich, nur
eine doppelte Häuserreihe neben der Landstraße, und hat, wenn ich recht hörte,
nicht mehr als fünf Bauern. Die übrigen Bewohner des Ortes sind, wie
man zu sagen Pflegt, „kleine Leute", Käthner, Tagelöhner, Dorfhandwerker
u. tgi. Im Wirthshause wohnen die zur Sicherung des Fürsten gegen Atten¬
tate von Berlin hierher kommandirten Schutzleute. Natürlich ist Varzin mit
der Hauptstadt durch eine Telegraphenleitung verbunden, und ebenso befindet
sich hier ein Postbeamter, der, wie erzählt wurde, in einem der letzten Jahre
nicht weniger als nahezu sechsundeinhalbtausend Briefe und Packete und über
zehntausend Telegramme durch seine Hände gehen sah — Summen, bei denen
man sich erinnern muß, daß sie sich mit ganz geringen Ausnahmen über die
sechs oder sieben Monate vertheilten, die der Kanzler in jenem Jahre hier zu¬
brachte. Die Kouverts jeuer Briefe und Packete werden ein gutes Stück Welt¬
geschichte enthalte», die Telegraphendrähte allerlei Politisches und darunter
hochbedeutsame Momente in der Entwickelung des Kulturkampfes, in den Be¬
ziehungen des Kanzlers zu den fremden Mächten, zu der ihm damals nahe¬
stehenden nationalen Partei, zu den preußischen Ministern und zu den Regie¬
rungen der Bundesstaaten des Reiches durch die Welt hierher geleitet haben.
Sie vermittelten aber auch Anderes und dabei viel Unbequemes und Uner¬
wünschtes, wovon hier zu reden nützlich sein möchte, da es seitdem wahrschein¬
lich nicht besser geworden ist.

Fürst Bismarck pflegt in Varzin die eine oder die andere Kur zu brauchen,
Brunnen zu trinken u. tgi. Dabei wäre ihm, dem in Berlin viel Angestrengt¬
gewesenen, dem von riesiger Arbeit endlich Abgespannten, Ruhe und heitere
ländliche Stille doppelt zu gönnen. Man sollte meinen, daß ein verehrliches
Publikum das begriffe und darnach handelte. Aber weit gefehlt. „Man traut
seinen Augen kaum," so erzählte mir in den ersten Jahren nach 1870 jemand
aus der Umgebung des Kanzlers, „man erschrickt manchmal förmlich, wenn
man die Lasten von Zuschriften sieht, mit denen die Welt mit ihrer wohlmei¬
nenden Schreibseligkeit und ihrem naiv zudringlichen Egoismus ihm die paar
Wochen wohlverdienter Muße zu vereiteln trachtet, die der Sommer ihm end¬
lich gewähren möchte." Vergebens waren die Notizen in der „Norddeutschen
Allgemeinen Zeitung", mit welchen der Fürst sich derartige rücksichtslose Belä¬
stigung dringend verbat. Eine große Anzahl anderer Blätter gab sie wieder,
man wußte also in weiten Kreisen, daß solche Störung mit Verdruß empfunden
wurde. Trotzdem nahmen die dem Kanzler zukommenden Privatschreiben mit


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[0539] That kein direkter Gewinn, wohl aber werden die Güter für die Nachkommen ertragsfähiger und werthvoller. Das Dorf Varzin liegt großentheils im Norden und Osten des Herren¬ hauses und seiner Wirthschaftsgebäude. Es ist klein und unansehnlich, nur eine doppelte Häuserreihe neben der Landstraße, und hat, wenn ich recht hörte, nicht mehr als fünf Bauern. Die übrigen Bewohner des Ortes sind, wie man zu sagen Pflegt, „kleine Leute", Käthner, Tagelöhner, Dorfhandwerker u. tgi. Im Wirthshause wohnen die zur Sicherung des Fürsten gegen Atten¬ tate von Berlin hierher kommandirten Schutzleute. Natürlich ist Varzin mit der Hauptstadt durch eine Telegraphenleitung verbunden, und ebenso befindet sich hier ein Postbeamter, der, wie erzählt wurde, in einem der letzten Jahre nicht weniger als nahezu sechsundeinhalbtausend Briefe und Packete und über zehntausend Telegramme durch seine Hände gehen sah — Summen, bei denen man sich erinnern muß, daß sie sich mit ganz geringen Ausnahmen über die sechs oder sieben Monate vertheilten, die der Kanzler in jenem Jahre hier zu¬ brachte. Die Kouverts jeuer Briefe und Packete werden ein gutes Stück Welt¬ geschichte enthalte», die Telegraphendrähte allerlei Politisches und darunter hochbedeutsame Momente in der Entwickelung des Kulturkampfes, in den Be¬ ziehungen des Kanzlers zu den fremden Mächten, zu der ihm damals nahe¬ stehenden nationalen Partei, zu den preußischen Ministern und zu den Regie¬ rungen der Bundesstaaten des Reiches durch die Welt hierher geleitet haben. Sie vermittelten aber auch Anderes und dabei viel Unbequemes und Uner¬ wünschtes, wovon hier zu reden nützlich sein möchte, da es seitdem wahrschein¬ lich nicht besser geworden ist. Fürst Bismarck pflegt in Varzin die eine oder die andere Kur zu brauchen, Brunnen zu trinken u. tgi. Dabei wäre ihm, dem in Berlin viel Angestrengt¬ gewesenen, dem von riesiger Arbeit endlich Abgespannten, Ruhe und heitere ländliche Stille doppelt zu gönnen. Man sollte meinen, daß ein verehrliches Publikum das begriffe und darnach handelte. Aber weit gefehlt. „Man traut seinen Augen kaum," so erzählte mir in den ersten Jahren nach 1870 jemand aus der Umgebung des Kanzlers, „man erschrickt manchmal förmlich, wenn man die Lasten von Zuschriften sieht, mit denen die Welt mit ihrer wohlmei¬ nenden Schreibseligkeit und ihrem naiv zudringlichen Egoismus ihm die paar Wochen wohlverdienter Muße zu vereiteln trachtet, die der Sommer ihm end¬ lich gewähren möchte." Vergebens waren die Notizen in der „Norddeutschen Allgemeinen Zeitung", mit welchen der Fürst sich derartige rücksichtslose Belä¬ stigung dringend verbat. Eine große Anzahl anderer Blätter gab sie wieder, man wußte also in weiten Kreisen, daß solche Störung mit Verdruß empfunden wurde. Trotzdem nahmen die dem Kanzler zukommenden Privatschreiben mit

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673/539>, abgerufen am 27.11.2024.