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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal.

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Daß diese Worte vom Reichskanzler eingegeben waren, müssen wir zwar
bezweifeln, aber jedenfalls drückten sie die damalige Meinung desselben mit
ziemlicher Genauigkeit aus. Der Artikel machte damals bedeutenden Eindruck,
weil die erstere Annahme vorherrschte. In den Konversationszimmern des
Reichstags zirkulirte ein Wort des Herrn v. Stauffenberg: "Wenn Bismarck
den Krieg haben will, soll er ihn haben." Später nahm Herr Rickert im
Reichstage Gelegenheit zu erklären, man wisse nicht, was die "große Reichspolitik"
bedeuten solle, um deren willen die Finanzpolitik der Fortschrittspartei ange¬
fochten werde. Diese Politik triumphirte noch einmal, die Steuervorlagen von
1875 wurden mit Hurrah abgelehnt. Der Reichskanzler aber nahm Gelegenheit,
bei einem seiner parlamentarischen Abende Herrn Rickert auseinanderzusetzen,
wie der fortgesetzte Widerstand gegen die Schaffung der finanziellen Unterlage
des Reichs zum Bruch mit den Nationalliberalen führen müsse. So stand
damals in den Zeitungen.

Die Finanzreform ruhte während ^der anwachsenden orientalischen Krisis.
Aber im Dezember 1877 bot der Reichskanzler Herrn v. Bennigsen zu Varzin
das preußische Finanzministerium an. Herr v. Bennigsen erklärte, mit seinen
Freunden berathen zu müssen. Die "Freunde" legten dem Führer auf Ver¬
anlassung des eigentlichen Führers, Laster, folgende von der "National-Zeitung"
später veröffentlichte Forderungen auf, welche dem Kanzler zu stellen wären:
Einführung konstitutioneller Garantieen, Eintritt noch zweier Nationalliberalen
(Stauffenberg und Forckenbeck) in das Ministerium, Abstand vom Tabaks¬
monopol. Die Unterhandlungen zogen sich hin bis zum März, wo Herr
v. Bennigsen dieselben abbrach auf Grund einer Aeußerung des Kanzlers im
Reichstage, sein Ideal der Tabakbesteuerung sei nach wie vor das Monopol.
Die Finanzreform aber war schlechterdings nicht mehr aufzuschieben, und weil
der Kanzler die Nationalliberalen nicht zum ersten Angriff des Werkes haben
konnte, nahm er die Mitwirkung des Zentrums an, die auf Grund der gleich¬
zeitigen Einführung einer gemäßigten Schutzpolitik bereitwillig gegeben wurde.
Nun glaubt das Zentrum und ebenso die Konservativen, als Entgelt eine ver¬
änderte Kirchenpolitik verlangen zu dürfen. Daher die Verdrießlichkeit dieser
Parteien, daß das Entgelt von Tag zu Tag unsicherer zu werden scheint.
Die Nationalliberalen aber sind in der übelsten Lage. Sie haben eine Ma߬
regel bekämpft, die von ihrem eigensten Lebensprinzip gefordert wurde. Sie
haben nicht den Muth, den Kampf fortzusetzen, auch nicht unter dem Vorwand
der freihändlerischen Fahne. Nun predigen sie der Welt, der Kanzler, der einen
Feldzug gegen Rom begonnen, gegen welchen die Feldzüge unserer mittelalter¬
lichen Kaiser an Kühnheit und erfolgreicher Führung ein Kinderspiel sind, wolle
Dentschland dem Papste überliefern. Um das abzuwehren, müßten Liberale


Daß diese Worte vom Reichskanzler eingegeben waren, müssen wir zwar
bezweifeln, aber jedenfalls drückten sie die damalige Meinung desselben mit
ziemlicher Genauigkeit aus. Der Artikel machte damals bedeutenden Eindruck,
weil die erstere Annahme vorherrschte. In den Konversationszimmern des
Reichstags zirkulirte ein Wort des Herrn v. Stauffenberg: „Wenn Bismarck
den Krieg haben will, soll er ihn haben." Später nahm Herr Rickert im
Reichstage Gelegenheit zu erklären, man wisse nicht, was die „große Reichspolitik"
bedeuten solle, um deren willen die Finanzpolitik der Fortschrittspartei ange¬
fochten werde. Diese Politik triumphirte noch einmal, die Steuervorlagen von
1875 wurden mit Hurrah abgelehnt. Der Reichskanzler aber nahm Gelegenheit,
bei einem seiner parlamentarischen Abende Herrn Rickert auseinanderzusetzen,
wie der fortgesetzte Widerstand gegen die Schaffung der finanziellen Unterlage
des Reichs zum Bruch mit den Nationalliberalen führen müsse. So stand
damals in den Zeitungen.

Die Finanzreform ruhte während ^der anwachsenden orientalischen Krisis.
Aber im Dezember 1877 bot der Reichskanzler Herrn v. Bennigsen zu Varzin
das preußische Finanzministerium an. Herr v. Bennigsen erklärte, mit seinen
Freunden berathen zu müssen. Die „Freunde" legten dem Führer auf Ver¬
anlassung des eigentlichen Führers, Laster, folgende von der „National-Zeitung"
später veröffentlichte Forderungen auf, welche dem Kanzler zu stellen wären:
Einführung konstitutioneller Garantieen, Eintritt noch zweier Nationalliberalen
(Stauffenberg und Forckenbeck) in das Ministerium, Abstand vom Tabaks¬
monopol. Die Unterhandlungen zogen sich hin bis zum März, wo Herr
v. Bennigsen dieselben abbrach auf Grund einer Aeußerung des Kanzlers im
Reichstage, sein Ideal der Tabakbesteuerung sei nach wie vor das Monopol.
Die Finanzreform aber war schlechterdings nicht mehr aufzuschieben, und weil
der Kanzler die Nationalliberalen nicht zum ersten Angriff des Werkes haben
konnte, nahm er die Mitwirkung des Zentrums an, die auf Grund der gleich¬
zeitigen Einführung einer gemäßigten Schutzpolitik bereitwillig gegeben wurde.
Nun glaubt das Zentrum und ebenso die Konservativen, als Entgelt eine ver¬
änderte Kirchenpolitik verlangen zu dürfen. Daher die Verdrießlichkeit dieser
Parteien, daß das Entgelt von Tag zu Tag unsicherer zu werden scheint.
Die Nationalliberalen aber sind in der übelsten Lage. Sie haben eine Ma߬
regel bekämpft, die von ihrem eigensten Lebensprinzip gefordert wurde. Sie
haben nicht den Muth, den Kampf fortzusetzen, auch nicht unter dem Vorwand
der freihändlerischen Fahne. Nun predigen sie der Welt, der Kanzler, der einen
Feldzug gegen Rom begonnen, gegen welchen die Feldzüge unserer mittelalter¬
lichen Kaiser an Kühnheit und erfolgreicher Führung ein Kinderspiel sind, wolle
Dentschland dem Papste überliefern. Um das abzuwehren, müßten Liberale


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673/517>, abgerufen am 27.07.2024.