Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal.des Kanzlers, nicht zu thun, wie die Nationalliberalen wollen? Das bilden des Kanzlers, nicht zu thun, wie die Nationalliberalen wollen? Das bilden <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0516" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/143013"/> <p xml:id="ID_1551" prev="#ID_1550"> des Kanzlers, nicht zu thun, wie die Nationalliberalen wollen? Das bilden<lb/> sich diese Herren ein, und so lautet ihre Diagnose des Leidens der Situation.<lb/> Unsere Diagnose aber, und es wird die richtige sein, lautet anders. Sie ist<lb/> folgende. Die Aufgabe der deutschen Finanzreform oder auch der Gründung<lb/> der Reichsfinanzen war dringend im höchsten Grade, war durch die Schuld<lb/> der Nationalliberalen bis zum letzten Augenblick versäumt worden, konnte end¬<lb/> lich nicht mehr aufgeschoben werden. Diese Schaffung der Neichsfinanzen,<lb/> welche früher hier die eigentliche Gründung des Reichs genannt worden, war<lb/> recht eigentlich die Aufgabe der nationalliberaleu Partei, welche von Anfang<lb/> an die wahre Reichspartei hat sein wollen. Es war genauer die Aufgabe<lb/> dieser Partei, das Werk der finanziellen Fundamentirung des Reichs mit dem<lb/> Kanzler unter der Initiative desselben zu vollbringen. Der Kanzler hat sich<lb/> auch redliche Mühe gegeben, den Beistand der Nationalliberalen zu erlangen.<lb/> Schon — aber dies ist nicht einmal der erste Versuch, der sehr viel weiter<lb/> zurückliegt — im Herbst 1875, als damals der Reichstag eröffnet worden,<lb/> schrieb die Berliner „Post" in einem Artikel im November 1875 Folgendes:<lb/> „Es handelt sich um die rechtzeitige Auffindung eines Systems der Finanz¬<lb/> politik, welches im Stande ist, den unerbittlich an die Reichsfinanzen heran¬<lb/> tretenden großen Forderungen zu genügen. Man weiß, daß es eine Partei<lb/> im Reichstage gibt, deren Wortführer oft genug auseinandergesetzt hat, man<lb/> müsse die Reichsregierung aus der günstigen Lage bringen, Ueberschüsse zu<lb/> haben, man müsse die Regierung vielmehr durch knappe Bewilligung auf kurze<lb/> Fristen kurz halten und dadurch vom Reichstag abhängig machen. Der Gegen¬<lb/> satz dieser beiden Systeme wird in dieser Session wenn noch nicht zum Aus¬<lb/> trag, doch eindringlicher als bisher zur Sprache kommen. Man hat neuerdings<lb/> von nationalliberaler Seite das nahe Verhältniß zur Fortschrittspartei wieder<lb/> vielfach betont. Die Fortschrittspartei sieht die Aussicht wachsen, ihre Behand¬<lb/> lung der Reichsfinanzpolitik zur Geltung zu bringen. Aber mit dieser Behand¬<lb/> lung ist eine große Reichspolitik nicht möglich, und es ist eine vergebliche<lb/> Annahme, die schwerlich auch nur ernstlich gemeint sein kann, der Träger<lb/> unserer großen Reichspolitik werde jene Behandlung der Reichsfinanzen seiner¬<lb/> seits annehmen. Es fehlt denn auch nicht an Stimmen, welche rathen, man<lb/> solle es nur ohne den Reichskanzler versuchen; wenn die Gefahr da, werde er<lb/> doch wiederkommen. Wir vermessen uns nicht, die individuelle Meinung des<lb/> Reichskanzlers über die Pflichten des Patriotismus zu kennen. Aber wir wissen,<lb/> daß die allgemeine Pflicht, einem Volke, das muthwillig sich frevelhaften Rath¬<lb/> schlägen vertraut und feine Angelegenheiten verdirbt, in der Stunde hoffnungs¬<lb/> loser Gefahr beizuspringen, aus dem Wesen des Patriotismus nicht hergeleitet<lb/> werden kann."</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0516]
des Kanzlers, nicht zu thun, wie die Nationalliberalen wollen? Das bilden
sich diese Herren ein, und so lautet ihre Diagnose des Leidens der Situation.
Unsere Diagnose aber, und es wird die richtige sein, lautet anders. Sie ist
folgende. Die Aufgabe der deutschen Finanzreform oder auch der Gründung
der Reichsfinanzen war dringend im höchsten Grade, war durch die Schuld
der Nationalliberalen bis zum letzten Augenblick versäumt worden, konnte end¬
lich nicht mehr aufgeschoben werden. Diese Schaffung der Neichsfinanzen,
welche früher hier die eigentliche Gründung des Reichs genannt worden, war
recht eigentlich die Aufgabe der nationalliberaleu Partei, welche von Anfang
an die wahre Reichspartei hat sein wollen. Es war genauer die Aufgabe
dieser Partei, das Werk der finanziellen Fundamentirung des Reichs mit dem
Kanzler unter der Initiative desselben zu vollbringen. Der Kanzler hat sich
auch redliche Mühe gegeben, den Beistand der Nationalliberalen zu erlangen.
Schon — aber dies ist nicht einmal der erste Versuch, der sehr viel weiter
zurückliegt — im Herbst 1875, als damals der Reichstag eröffnet worden,
schrieb die Berliner „Post" in einem Artikel im November 1875 Folgendes:
„Es handelt sich um die rechtzeitige Auffindung eines Systems der Finanz¬
politik, welches im Stande ist, den unerbittlich an die Reichsfinanzen heran¬
tretenden großen Forderungen zu genügen. Man weiß, daß es eine Partei
im Reichstage gibt, deren Wortführer oft genug auseinandergesetzt hat, man
müsse die Reichsregierung aus der günstigen Lage bringen, Ueberschüsse zu
haben, man müsse die Regierung vielmehr durch knappe Bewilligung auf kurze
Fristen kurz halten und dadurch vom Reichstag abhängig machen. Der Gegen¬
satz dieser beiden Systeme wird in dieser Session wenn noch nicht zum Aus¬
trag, doch eindringlicher als bisher zur Sprache kommen. Man hat neuerdings
von nationalliberaler Seite das nahe Verhältniß zur Fortschrittspartei wieder
vielfach betont. Die Fortschrittspartei sieht die Aussicht wachsen, ihre Behand¬
lung der Reichsfinanzpolitik zur Geltung zu bringen. Aber mit dieser Behand¬
lung ist eine große Reichspolitik nicht möglich, und es ist eine vergebliche
Annahme, die schwerlich auch nur ernstlich gemeint sein kann, der Träger
unserer großen Reichspolitik werde jene Behandlung der Reichsfinanzen seiner¬
seits annehmen. Es fehlt denn auch nicht an Stimmen, welche rathen, man
solle es nur ohne den Reichskanzler versuchen; wenn die Gefahr da, werde er
doch wiederkommen. Wir vermessen uns nicht, die individuelle Meinung des
Reichskanzlers über die Pflichten des Patriotismus zu kennen. Aber wir wissen,
daß die allgemeine Pflicht, einem Volke, das muthwillig sich frevelhaften Rath¬
schlägen vertraut und feine Angelegenheiten verdirbt, in der Stunde hoffnungs¬
loser Gefahr beizuspringen, aus dem Wesen des Patriotismus nicht hergeleitet
werden kann."
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