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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal.

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ihr leichtgewonnenes Farbenrezept an Aufgaben im großen Maßstabe zu er¬
proben, und erlitten dabei natürlich den kläglichsten Schiffbruch, da ihnen der
Geist fehlte, um eine umfangreiche Leinwand auch mit Leben zu erfüllen. Mit
der Geschmacklosigkeit in der Wahl der Stoffe verband sich eine Brutalität und
Oberflächlichkeit der Mache, die einige Ausgeburten des widrigsten Naturalis¬
mus zeitigte.

Auch selbst der neue Direktor der Kunstakademie, A. v. Werner, dessen
Amtsantritt mit ungetheilter Freude begrüßt wurde, hat die auf ihn persönlich
gesetzten Hoffnungen bisher noch nicht verwirklicht, ja er ist in seinem neuesten
Bilde weiter als je zuvor von der Verwirklichung dieser Hoffnungen abge¬
kommen. Was er uns auf dem glänzenden Velarium der Siegesstraße von
1871, dem Fall Napoleon's, versprochen, hat er auf dem Friesbilde der Sieges¬
säule nur zum Theil eingelöst, und seine späteren ^Arbeiten bilden eigentlich
eine zusammenhängende abwärtsführende Linie. Sein riesiges Bild "Die
Kaiserproklamation in Versailles" hat nirgends den Enthusiasmus erregt, den
man von der Schilderung eines großartigen erhebenden Momentes der vater¬
ländischen Geschichte billig erwarten durfte. Gerade das Gegentheil von dem,
was man erwartete, ist eingetroffen. Man sah in A. v. Werner eine Art
Revolutionär, der mit einem Male dem akademischen Treiben ein Ende machen,
der mit resoluter Hand den akademischen Zopf abschneiden würde, einen Feind
jeder Schablone, der das freie Walten der Individualität und des Geistes be¬
günstigen und fördern würde. Und in seinem neuesten Bilde, welches auf der
gegenwärtigen Kunstausstellung erschiene" ist, "Christus mit dem Zinsgroschen",
einem Altargemälde für die Se. Gertraudtenkirche in Frankfurt a. O., tritt uns
-- man traut seinen Augen nicht --.ein frostiger Akademiker entzogen, der
uns drei überlebensgroße Figuren -- Christus, den Pharisäer und Petrus --
hinstellt, welche in der Art der Carracci, des Guercino oder des Domenichino
behandelt sind: der Christus flach und seelenlos in theatralischer Attitüde,
die beiden andern mit übertriebenen Gesichtsausdruck, mit starkgerunzelten
Stirnen, in Summa drei Aktfiguren, die jeder Akademieschüler mit leidlichem
Fleiße zur Noth eben so gut fertig brächte. Ein hartes und buntes Kolorit trägt
auch nicht dazu bei, die Annehmlichkeit des Gesammteindrucks zu erhöhen.

Es gibt Aufgaben in der Kunst, die schon so vollkommen gelöst worden
sind, daß kein verständiger Künstler sich noch einmal an sie machen sollte.
Wie eine sixtinische Madonna nicht zum zweiten Male gemalt werden kann, so hat
auch Tizian in seinem weltberühmten Bilde die Szene mit dem Zinsgroschen nach
allen Richtungen geistig und malerisch so vollkommen erschöpft, daß ein Darüber-
hinausgelangen zu den Unmöglichkeiten gehört. Die Carraeeisten liebten es, in
ihrem akademischen Hochgefühle derartige kühne Experimente zu unternehmen.


ihr leichtgewonnenes Farbenrezept an Aufgaben im großen Maßstabe zu er¬
proben, und erlitten dabei natürlich den kläglichsten Schiffbruch, da ihnen der
Geist fehlte, um eine umfangreiche Leinwand auch mit Leben zu erfüllen. Mit
der Geschmacklosigkeit in der Wahl der Stoffe verband sich eine Brutalität und
Oberflächlichkeit der Mache, die einige Ausgeburten des widrigsten Naturalis¬
mus zeitigte.

Auch selbst der neue Direktor der Kunstakademie, A. v. Werner, dessen
Amtsantritt mit ungetheilter Freude begrüßt wurde, hat die auf ihn persönlich
gesetzten Hoffnungen bisher noch nicht verwirklicht, ja er ist in seinem neuesten
Bilde weiter als je zuvor von der Verwirklichung dieser Hoffnungen abge¬
kommen. Was er uns auf dem glänzenden Velarium der Siegesstraße von
1871, dem Fall Napoleon's, versprochen, hat er auf dem Friesbilde der Sieges¬
säule nur zum Theil eingelöst, und seine späteren ^Arbeiten bilden eigentlich
eine zusammenhängende abwärtsführende Linie. Sein riesiges Bild „Die
Kaiserproklamation in Versailles" hat nirgends den Enthusiasmus erregt, den
man von der Schilderung eines großartigen erhebenden Momentes der vater¬
ländischen Geschichte billig erwarten durfte. Gerade das Gegentheil von dem,
was man erwartete, ist eingetroffen. Man sah in A. v. Werner eine Art
Revolutionär, der mit einem Male dem akademischen Treiben ein Ende machen,
der mit resoluter Hand den akademischen Zopf abschneiden würde, einen Feind
jeder Schablone, der das freie Walten der Individualität und des Geistes be¬
günstigen und fördern würde. Und in seinem neuesten Bilde, welches auf der
gegenwärtigen Kunstausstellung erschiene» ist, „Christus mit dem Zinsgroschen",
einem Altargemälde für die Se. Gertraudtenkirche in Frankfurt a. O., tritt uns
— man traut seinen Augen nicht —.ein frostiger Akademiker entzogen, der
uns drei überlebensgroße Figuren — Christus, den Pharisäer und Petrus —
hinstellt, welche in der Art der Carracci, des Guercino oder des Domenichino
behandelt sind: der Christus flach und seelenlos in theatralischer Attitüde,
die beiden andern mit übertriebenen Gesichtsausdruck, mit starkgerunzelten
Stirnen, in Summa drei Aktfiguren, die jeder Akademieschüler mit leidlichem
Fleiße zur Noth eben so gut fertig brächte. Ein hartes und buntes Kolorit trägt
auch nicht dazu bei, die Annehmlichkeit des Gesammteindrucks zu erhöhen.

Es gibt Aufgaben in der Kunst, die schon so vollkommen gelöst worden
sind, daß kein verständiger Künstler sich noch einmal an sie machen sollte.
Wie eine sixtinische Madonna nicht zum zweiten Male gemalt werden kann, so hat
auch Tizian in seinem weltberühmten Bilde die Szene mit dem Zinsgroschen nach
allen Richtungen geistig und malerisch so vollkommen erschöpft, daß ein Darüber-
hinausgelangen zu den Unmöglichkeiten gehört. Die Carraeeisten liebten es, in
ihrem akademischen Hochgefühle derartige kühne Experimente zu unternehmen.


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[0460] ihr leichtgewonnenes Farbenrezept an Aufgaben im großen Maßstabe zu er¬ proben, und erlitten dabei natürlich den kläglichsten Schiffbruch, da ihnen der Geist fehlte, um eine umfangreiche Leinwand auch mit Leben zu erfüllen. Mit der Geschmacklosigkeit in der Wahl der Stoffe verband sich eine Brutalität und Oberflächlichkeit der Mache, die einige Ausgeburten des widrigsten Naturalis¬ mus zeitigte. Auch selbst der neue Direktor der Kunstakademie, A. v. Werner, dessen Amtsantritt mit ungetheilter Freude begrüßt wurde, hat die auf ihn persönlich gesetzten Hoffnungen bisher noch nicht verwirklicht, ja er ist in seinem neuesten Bilde weiter als je zuvor von der Verwirklichung dieser Hoffnungen abge¬ kommen. Was er uns auf dem glänzenden Velarium der Siegesstraße von 1871, dem Fall Napoleon's, versprochen, hat er auf dem Friesbilde der Sieges¬ säule nur zum Theil eingelöst, und seine späteren ^Arbeiten bilden eigentlich eine zusammenhängende abwärtsführende Linie. Sein riesiges Bild „Die Kaiserproklamation in Versailles" hat nirgends den Enthusiasmus erregt, den man von der Schilderung eines großartigen erhebenden Momentes der vater¬ ländischen Geschichte billig erwarten durfte. Gerade das Gegentheil von dem, was man erwartete, ist eingetroffen. Man sah in A. v. Werner eine Art Revolutionär, der mit einem Male dem akademischen Treiben ein Ende machen, der mit resoluter Hand den akademischen Zopf abschneiden würde, einen Feind jeder Schablone, der das freie Walten der Individualität und des Geistes be¬ günstigen und fördern würde. Und in seinem neuesten Bilde, welches auf der gegenwärtigen Kunstausstellung erschiene» ist, „Christus mit dem Zinsgroschen", einem Altargemälde für die Se. Gertraudtenkirche in Frankfurt a. O., tritt uns — man traut seinen Augen nicht —.ein frostiger Akademiker entzogen, der uns drei überlebensgroße Figuren — Christus, den Pharisäer und Petrus — hinstellt, welche in der Art der Carracci, des Guercino oder des Domenichino behandelt sind: der Christus flach und seelenlos in theatralischer Attitüde, die beiden andern mit übertriebenen Gesichtsausdruck, mit starkgerunzelten Stirnen, in Summa drei Aktfiguren, die jeder Akademieschüler mit leidlichem Fleiße zur Noth eben so gut fertig brächte. Ein hartes und buntes Kolorit trägt auch nicht dazu bei, die Annehmlichkeit des Gesammteindrucks zu erhöhen. Es gibt Aufgaben in der Kunst, die schon so vollkommen gelöst worden sind, daß kein verständiger Künstler sich noch einmal an sie machen sollte. Wie eine sixtinische Madonna nicht zum zweiten Male gemalt werden kann, so hat auch Tizian in seinem weltberühmten Bilde die Szene mit dem Zinsgroschen nach allen Richtungen geistig und malerisch so vollkommen erschöpft, daß ein Darüber- hinausgelangen zu den Unmöglichkeiten gehört. Die Carraeeisten liebten es, in ihrem akademischen Hochgefühle derartige kühne Experimente zu unternehmen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673/460>, abgerufen am 27.11.2024.