Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite

879 spricht beredt genug. Kaum der vierte Theil derjenigen Kunstwerke, die
Paris und Frankreich alljährlich mit Leichtigkeit aufzubringen vermögen!

Freilich fällt, abgesehen von gewissen Grundbedingungen, die einen Ver¬
gleich zwischen Paris und Berlin schon von vornherein unmöglich machen, in
diesem Jahre ein Umstand ins Gewicht, der nicht ohne Einfluß auf die Berliner
Kunstausstellung gewesen ist -- die internationale Münchener Ausstellung.
Wenn man aber näher zusieht, wird man gewahr, daß dieser Einfluß ein sehr
unbedeutender gewesen ist. Von Berliner Künstlern ist in München kaum ein
halbes Dutzend von Arbeiten, die wir nicht schon auf hiesigen Ausstellungen
gesehen haben. Und doch haben in Berlin nur 170 einheimische Künstler aus¬
gestellt gegen 195 im Vorjahr. Die Betheiligung der Düsseldorfer ist fast die¬
selbe geblieben, 98:104. Nur unter den Münchenern macht sich ein erheblicher
Rückgang fühlbar. Während im vorigen Jahre 54 ausgestellt hatten, sind
Heuer nur 24 erschienen. Dagegen hat sich das Ausland, wenigstens mit Ge¬
mälden, zahlreicher als sonst betheiligt. Fünf Maler aus Paris und sieben
aus Brüssel -- das ist seit 1868 nicht dagewesen. Hingegen sind die italieni¬
schen Bildhauer mit ihren Nippesfiguren weggeblieben, da sich ihnen für ihre
Fabrikwaare zur Zeit in München ein aussichtsreicheres Absatzgebiet eröffnet
als in Berlin.

Trotzdem daß die Kunstausstellung in diesem Jahre qualitativ besser er¬
scheint und ein höheres Durchschnittsniveau erreicht hat als in den drei Vor¬
jahren, scheint uns aber doch aus den angeführten Zahlen deutlich hervorzu¬
gehen, daß man auch in Deutschland ausstellungsmüde geworden ist, zumal
in dem gesegneten Jahre 1879, in welchem die Ausstellungen aller Orten gras-
sirten und noch grassiren, wie die Schützen- und Turnerfeste zu den Zeiten des
seligen deutschen Bundes. Man geht wohl nicht fehl, wenn man annimmt,
daß der Gedanke, die akademischen Kunstausstellungen alljährlich zu wieder¬
holen, in dem Kopfe derjenigen oder desjenigen seinen Ursprung gehabt hat,
dem es besonders daran gelegen war, seit der Reorganisation der Kunstakademie
auch die Ergebnisse eines gesteigerten Kunstlebens im allgemeinen und eines
regeren Akademiefleißes im besondern dem Publikum Jahr aus Jahr ein vor
Augen zu führen. Dieser leichtbegreifliche Ehrgeiz hat nur bisher nicht die
erwarteten Folgen gehabt. Das Publikum hat sich in seiner großen Majorität
gegen die Produkte der urplötzlich entstandenen "neuen Schule" ablehnend ver¬
halten. Der germanische Geist ist glücklicherweise zu tief veranlagt, um
seine ausschließliche Befriedigung in dem tändelnden Spiele einer zwar blen¬
denden, aber geistlosen Technik zu finden. Die Ablehnung steigerte sich bis
zur Verstimmung, als die jungen Tintoretti begannen, mit einer breitspurigen
Kühnheit aufzutreten, welcher die Jury keinen Einhalt gebot. Sie versuchten,


879 spricht beredt genug. Kaum der vierte Theil derjenigen Kunstwerke, die
Paris und Frankreich alljährlich mit Leichtigkeit aufzubringen vermögen!

Freilich fällt, abgesehen von gewissen Grundbedingungen, die einen Ver¬
gleich zwischen Paris und Berlin schon von vornherein unmöglich machen, in
diesem Jahre ein Umstand ins Gewicht, der nicht ohne Einfluß auf die Berliner
Kunstausstellung gewesen ist — die internationale Münchener Ausstellung.
Wenn man aber näher zusieht, wird man gewahr, daß dieser Einfluß ein sehr
unbedeutender gewesen ist. Von Berliner Künstlern ist in München kaum ein
halbes Dutzend von Arbeiten, die wir nicht schon auf hiesigen Ausstellungen
gesehen haben. Und doch haben in Berlin nur 170 einheimische Künstler aus¬
gestellt gegen 195 im Vorjahr. Die Betheiligung der Düsseldorfer ist fast die¬
selbe geblieben, 98:104. Nur unter den Münchenern macht sich ein erheblicher
Rückgang fühlbar. Während im vorigen Jahre 54 ausgestellt hatten, sind
Heuer nur 24 erschienen. Dagegen hat sich das Ausland, wenigstens mit Ge¬
mälden, zahlreicher als sonst betheiligt. Fünf Maler aus Paris und sieben
aus Brüssel — das ist seit 1868 nicht dagewesen. Hingegen sind die italieni¬
schen Bildhauer mit ihren Nippesfiguren weggeblieben, da sich ihnen für ihre
Fabrikwaare zur Zeit in München ein aussichtsreicheres Absatzgebiet eröffnet
als in Berlin.

Trotzdem daß die Kunstausstellung in diesem Jahre qualitativ besser er¬
scheint und ein höheres Durchschnittsniveau erreicht hat als in den drei Vor¬
jahren, scheint uns aber doch aus den angeführten Zahlen deutlich hervorzu¬
gehen, daß man auch in Deutschland ausstellungsmüde geworden ist, zumal
in dem gesegneten Jahre 1879, in welchem die Ausstellungen aller Orten gras-
sirten und noch grassiren, wie die Schützen- und Turnerfeste zu den Zeiten des
seligen deutschen Bundes. Man geht wohl nicht fehl, wenn man annimmt,
daß der Gedanke, die akademischen Kunstausstellungen alljährlich zu wieder¬
holen, in dem Kopfe derjenigen oder desjenigen seinen Ursprung gehabt hat,
dem es besonders daran gelegen war, seit der Reorganisation der Kunstakademie
auch die Ergebnisse eines gesteigerten Kunstlebens im allgemeinen und eines
regeren Akademiefleißes im besondern dem Publikum Jahr aus Jahr ein vor
Augen zu führen. Dieser leichtbegreifliche Ehrgeiz hat nur bisher nicht die
erwarteten Folgen gehabt. Das Publikum hat sich in seiner großen Majorität
gegen die Produkte der urplötzlich entstandenen „neuen Schule" ablehnend ver¬
halten. Der germanische Geist ist glücklicherweise zu tief veranlagt, um
seine ausschließliche Befriedigung in dem tändelnden Spiele einer zwar blen¬
denden, aber geistlosen Technik zu finden. Die Ablehnung steigerte sich bis
zur Verstimmung, als die jungen Tintoretti begannen, mit einer breitspurigen
Kühnheit aufzutreten, welcher die Jury keinen Einhalt gebot. Sie versuchten,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0459" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/142956"/>
          <p xml:id="ID_1357" prev="#ID_1356"> 879 spricht beredt genug. Kaum der vierte Theil derjenigen Kunstwerke, die<lb/>
Paris und Frankreich alljährlich mit Leichtigkeit aufzubringen vermögen!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1358"> Freilich fällt, abgesehen von gewissen Grundbedingungen, die einen Ver¬<lb/>
gleich zwischen Paris und Berlin schon von vornherein unmöglich machen, in<lb/>
diesem Jahre ein Umstand ins Gewicht, der nicht ohne Einfluß auf die Berliner<lb/>
Kunstausstellung gewesen ist &#x2014; die internationale Münchener Ausstellung.<lb/>
Wenn man aber näher zusieht, wird man gewahr, daß dieser Einfluß ein sehr<lb/>
unbedeutender gewesen ist. Von Berliner Künstlern ist in München kaum ein<lb/>
halbes Dutzend von Arbeiten, die wir nicht schon auf hiesigen Ausstellungen<lb/>
gesehen haben. Und doch haben in Berlin nur 170 einheimische Künstler aus¬<lb/>
gestellt gegen 195 im Vorjahr. Die Betheiligung der Düsseldorfer ist fast die¬<lb/>
selbe geblieben, 98:104. Nur unter den Münchenern macht sich ein erheblicher<lb/>
Rückgang fühlbar. Während im vorigen Jahre 54 ausgestellt hatten, sind<lb/>
Heuer nur 24 erschienen. Dagegen hat sich das Ausland, wenigstens mit Ge¬<lb/>
mälden, zahlreicher als sonst betheiligt. Fünf Maler aus Paris und sieben<lb/>
aus Brüssel &#x2014; das ist seit 1868 nicht dagewesen. Hingegen sind die italieni¬<lb/>
schen Bildhauer mit ihren Nippesfiguren weggeblieben, da sich ihnen für ihre<lb/>
Fabrikwaare zur Zeit in München ein aussichtsreicheres Absatzgebiet eröffnet<lb/>
als in Berlin.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1359" next="#ID_1360"> Trotzdem daß die Kunstausstellung in diesem Jahre qualitativ besser er¬<lb/>
scheint und ein höheres Durchschnittsniveau erreicht hat als in den drei Vor¬<lb/>
jahren, scheint uns aber doch aus den angeführten Zahlen deutlich hervorzu¬<lb/>
gehen, daß man auch in Deutschland ausstellungsmüde geworden ist, zumal<lb/>
in dem gesegneten Jahre 1879, in welchem die Ausstellungen aller Orten gras-<lb/>
sirten und noch grassiren, wie die Schützen- und Turnerfeste zu den Zeiten des<lb/>
seligen deutschen Bundes. Man geht wohl nicht fehl, wenn man annimmt,<lb/>
daß der Gedanke, die akademischen Kunstausstellungen alljährlich zu wieder¬<lb/>
holen, in dem Kopfe derjenigen oder desjenigen seinen Ursprung gehabt hat,<lb/>
dem es besonders daran gelegen war, seit der Reorganisation der Kunstakademie<lb/>
auch die Ergebnisse eines gesteigerten Kunstlebens im allgemeinen und eines<lb/>
regeren Akademiefleißes im besondern dem Publikum Jahr aus Jahr ein vor<lb/>
Augen zu führen. Dieser leichtbegreifliche Ehrgeiz hat nur bisher nicht die<lb/>
erwarteten Folgen gehabt. Das Publikum hat sich in seiner großen Majorität<lb/>
gegen die Produkte der urplötzlich entstandenen &#x201E;neuen Schule" ablehnend ver¬<lb/>
halten. Der germanische Geist ist glücklicherweise zu tief veranlagt, um<lb/>
seine ausschließliche Befriedigung in dem tändelnden Spiele einer zwar blen¬<lb/>
denden, aber geistlosen Technik zu finden. Die Ablehnung steigerte sich bis<lb/>
zur Verstimmung, als die jungen Tintoretti begannen, mit einer breitspurigen<lb/>
Kühnheit aufzutreten, welcher die Jury keinen Einhalt gebot. Sie versuchten,</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0459] 879 spricht beredt genug. Kaum der vierte Theil derjenigen Kunstwerke, die Paris und Frankreich alljährlich mit Leichtigkeit aufzubringen vermögen! Freilich fällt, abgesehen von gewissen Grundbedingungen, die einen Ver¬ gleich zwischen Paris und Berlin schon von vornherein unmöglich machen, in diesem Jahre ein Umstand ins Gewicht, der nicht ohne Einfluß auf die Berliner Kunstausstellung gewesen ist — die internationale Münchener Ausstellung. Wenn man aber näher zusieht, wird man gewahr, daß dieser Einfluß ein sehr unbedeutender gewesen ist. Von Berliner Künstlern ist in München kaum ein halbes Dutzend von Arbeiten, die wir nicht schon auf hiesigen Ausstellungen gesehen haben. Und doch haben in Berlin nur 170 einheimische Künstler aus¬ gestellt gegen 195 im Vorjahr. Die Betheiligung der Düsseldorfer ist fast die¬ selbe geblieben, 98:104. Nur unter den Münchenern macht sich ein erheblicher Rückgang fühlbar. Während im vorigen Jahre 54 ausgestellt hatten, sind Heuer nur 24 erschienen. Dagegen hat sich das Ausland, wenigstens mit Ge¬ mälden, zahlreicher als sonst betheiligt. Fünf Maler aus Paris und sieben aus Brüssel — das ist seit 1868 nicht dagewesen. Hingegen sind die italieni¬ schen Bildhauer mit ihren Nippesfiguren weggeblieben, da sich ihnen für ihre Fabrikwaare zur Zeit in München ein aussichtsreicheres Absatzgebiet eröffnet als in Berlin. Trotzdem daß die Kunstausstellung in diesem Jahre qualitativ besser er¬ scheint und ein höheres Durchschnittsniveau erreicht hat als in den drei Vor¬ jahren, scheint uns aber doch aus den angeführten Zahlen deutlich hervorzu¬ gehen, daß man auch in Deutschland ausstellungsmüde geworden ist, zumal in dem gesegneten Jahre 1879, in welchem die Ausstellungen aller Orten gras- sirten und noch grassiren, wie die Schützen- und Turnerfeste zu den Zeiten des seligen deutschen Bundes. Man geht wohl nicht fehl, wenn man annimmt, daß der Gedanke, die akademischen Kunstausstellungen alljährlich zu wieder¬ holen, in dem Kopfe derjenigen oder desjenigen seinen Ursprung gehabt hat, dem es besonders daran gelegen war, seit der Reorganisation der Kunstakademie auch die Ergebnisse eines gesteigerten Kunstlebens im allgemeinen und eines regeren Akademiefleißes im besondern dem Publikum Jahr aus Jahr ein vor Augen zu führen. Dieser leichtbegreifliche Ehrgeiz hat nur bisher nicht die erwarteten Folgen gehabt. Das Publikum hat sich in seiner großen Majorität gegen die Produkte der urplötzlich entstandenen „neuen Schule" ablehnend ver¬ halten. Der germanische Geist ist glücklicherweise zu tief veranlagt, um seine ausschließliche Befriedigung in dem tändelnden Spiele einer zwar blen¬ denden, aber geistlosen Technik zu finden. Die Ablehnung steigerte sich bis zur Verstimmung, als die jungen Tintoretti begannen, mit einer breitspurigen Kühnheit aufzutreten, welcher die Jury keinen Einhalt gebot. Sie versuchten,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673/459
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673/459>, abgerufen am 06.10.2024.