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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal.

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echten Enthusiasmus zu sein, welche mehrere Aufführungen unter Haydn's
eigener Direction bei allen Zuhörern bewirkten. Hciydn gestand mir auch, daß
er die Empfindungen nicht zu schildern vermöge, von denen er durchdrungen
gewesen sei, wenn die Ausführung ganz seinen Wünschen entsprach und die
Zuhörer in der größten Stille ans jeden Ton lauschten. Bald war ich, sagte
er, eiskalt am ganzen Leib, bald überfiel mich glühende Hitze und ich befürch¬
tete mehr als einmal plötzlich vom Schlage gerührt zu werden." Wie tief aber
auch sein persönliches Innere gerade bei dieser Komposition war, bezeugt sein
anderes Wort: "Ich war nie so fromm als während der Zeit, da ich an der
Schöpfung arbeitete. Täglich siel ich auf meine Kniee nieder und bat Gott,
daß er mir Kraft zur glücklichen Ausführung dieses Werkes verleihen möchte."
Man sieht, das Werk war ihm Herzensangelegenheit.

"Empfangen Sie dieses Oratorium mit Ehrfurcht und Andacht", schrieb
sein Bruder Michael Hciydn, damals selbst längst ein angesehener Kirchen¬
komponist. Dennoch ist nicht, was Haydn, wie der Bruder sich ausdrückt, "in
seinen Chören mit der Ewigkeit treibt", das Außerordentliche an den Werken
-- dies hat Händel, hat vollends Sebastian Bach in unnennbar größerer
Erhabenheit und überwältigender Geistesmacht geboten. Aber die herzliche
Innigkeit der Sprache, die unvergleichliche Natürlichkeit, der selige Frohmuth
und der ganze unschuldsvolle, lächelnden Kinderaugen gleichende Sinn, das ist
hier das Entscheidende. Ein Springquell ewiger Jugend sprudelt in Weisen
wie "Nun heut die Flur das frische Grün", "Und Liebe girrt das zarte
Taubenpaar", "Des Frühlings reizend Bild". Und wie ingeniös inspirirt ist
so manche der vielbesprochenen "Malereien" in diesem Werke! Das Aufsteigen
des Mondes ist ebenso sinnig wahr wie wehmüthig rührend dargestellt. Wie
Haydn die Dissonanz zu verwerthen weiß, zeigt schon das einleitende "Chaos".
Die Modulation überhaupt aber gibt dem Ganzen merkwürdige Wirkungen,
man denke an die kräftige Steigerung im Coda des Chores "Die Himmel
erzählen die Ehre Gottes". Auch die säulenartig aufbauende Dreiklangfolge
der Alten ist ihm im richtigen Momente zur Hand.

Diese neue Schöpfung unwillkürlichster Lebensregung aber, vom "reizenden
Gesänge" der Nachtigall bis zum unbefangenen Ausdruck herzlichen Liebesglücks
in Adam und Eva konnte nur aus einem Herzen kommen, dessen Grundzug
Güte, Frömmigkeit und Reinheit der Gesinnung war. Es ist ein Schatz, den
Oesterreich hier aus seinem innersten Gemüthe dem ganzen deutschen Volle
spendete, werthvoll wie unsere klassische Dichtung und ewig wie sie. Dieser
bestehende, dauernde Gehalt des Werkes geht über alles, was Aesthetik oder
Berstandeskritik hier an der Malerei nicht musikalischer Gegenstände auszusetzen
oder gar zu bespötteln haben könnte. Der Grundton ist durchweg musikalisch,


echten Enthusiasmus zu sein, welche mehrere Aufführungen unter Haydn's
eigener Direction bei allen Zuhörern bewirkten. Hciydn gestand mir auch, daß
er die Empfindungen nicht zu schildern vermöge, von denen er durchdrungen
gewesen sei, wenn die Ausführung ganz seinen Wünschen entsprach und die
Zuhörer in der größten Stille ans jeden Ton lauschten. Bald war ich, sagte
er, eiskalt am ganzen Leib, bald überfiel mich glühende Hitze und ich befürch¬
tete mehr als einmal plötzlich vom Schlage gerührt zu werden." Wie tief aber
auch sein persönliches Innere gerade bei dieser Komposition war, bezeugt sein
anderes Wort: „Ich war nie so fromm als während der Zeit, da ich an der
Schöpfung arbeitete. Täglich siel ich auf meine Kniee nieder und bat Gott,
daß er mir Kraft zur glücklichen Ausführung dieses Werkes verleihen möchte."
Man sieht, das Werk war ihm Herzensangelegenheit.

„Empfangen Sie dieses Oratorium mit Ehrfurcht und Andacht", schrieb
sein Bruder Michael Hciydn, damals selbst längst ein angesehener Kirchen¬
komponist. Dennoch ist nicht, was Haydn, wie der Bruder sich ausdrückt, „in
seinen Chören mit der Ewigkeit treibt", das Außerordentliche an den Werken
— dies hat Händel, hat vollends Sebastian Bach in unnennbar größerer
Erhabenheit und überwältigender Geistesmacht geboten. Aber die herzliche
Innigkeit der Sprache, die unvergleichliche Natürlichkeit, der selige Frohmuth
und der ganze unschuldsvolle, lächelnden Kinderaugen gleichende Sinn, das ist
hier das Entscheidende. Ein Springquell ewiger Jugend sprudelt in Weisen
wie „Nun heut die Flur das frische Grün", „Und Liebe girrt das zarte
Taubenpaar", „Des Frühlings reizend Bild". Und wie ingeniös inspirirt ist
so manche der vielbesprochenen „Malereien" in diesem Werke! Das Aufsteigen
des Mondes ist ebenso sinnig wahr wie wehmüthig rührend dargestellt. Wie
Haydn die Dissonanz zu verwerthen weiß, zeigt schon das einleitende „Chaos".
Die Modulation überhaupt aber gibt dem Ganzen merkwürdige Wirkungen,
man denke an die kräftige Steigerung im Coda des Chores „Die Himmel
erzählen die Ehre Gottes". Auch die säulenartig aufbauende Dreiklangfolge
der Alten ist ihm im richtigen Momente zur Hand.

Diese neue Schöpfung unwillkürlichster Lebensregung aber, vom „reizenden
Gesänge" der Nachtigall bis zum unbefangenen Ausdruck herzlichen Liebesglücks
in Adam und Eva konnte nur aus einem Herzen kommen, dessen Grundzug
Güte, Frömmigkeit und Reinheit der Gesinnung war. Es ist ein Schatz, den
Oesterreich hier aus seinem innersten Gemüthe dem ganzen deutschen Volle
spendete, werthvoll wie unsere klassische Dichtung und ewig wie sie. Dieser
bestehende, dauernde Gehalt des Werkes geht über alles, was Aesthetik oder
Berstandeskritik hier an der Malerei nicht musikalischer Gegenstände auszusetzen
oder gar zu bespötteln haben könnte. Der Grundton ist durchweg musikalisch,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673/453>, abgerufen am 27.11.2024.