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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal.

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konnte das nicht. "Den Menschen unsere Liebe nicht zu schenken, um Gott
desto inniger lieb haben zu können/' schreibt sie, "so predigte uns die vorgelesene
Betrachtung. Mein Gott, wenn ich Dich auf diesem Wege suchen muß, dann
werde ich Dich nie erreichen, nie besitzen. Man sagt gewöhnlich: die Tugenden
müsse man fleißig üben, um Meister darin werdeu zu können. Die Liebe
scheint dann wohl als Unkraut oder Giftpflanze betrachtet zu werden, die man
mit Füßen treten und fliehen muß, damit sie ungestört wachse und gedeihe.
Der sterbende Johannes predigte andere Maximen und schenkte sie uns als
Erbe seiner reichen Lebenserfahrungen. Denn auf seinem Wege fand er den
Eingang in seines Erlösers Herz."

Im Frühjahr 1848 verlor Amalie ihren Vater. Nur schwer hatte sie bei
einem früheren Besuch seiue Versöhnung erlangt. In seiner letzten Krankheit
hatte er sich dem positiven Christenthum wieder zugewandt und, wie er an
Bethmann-Hollweg schrieb, erfahren, was man leichter verliere als wiedergewinne.
In eigenthümlicher Weise hatte sich der sterbende Vater der entfernten Tochter
bezeugt. Eines Tages in der Mittagsstunde, nur 12 Uhr, war Amalie in der
Apotheke beschäftigt. Plötzlich ergriff sie eine tiefe Betrübniß, und sie brach in
Thränen aus. Nach Tisch theilte ihr die Oberin mit, ihr Vater sei erkrankt,
sie solle sofort nach Hause reisen. Freudig, die Ihren wieder sehen zu dürfen^
ohne die geringste Ahnung, wie schwer ihr Vater darniederliege, eilte sie in die
Heimat, um dort die Trauerkunde zu hören, daß am Tage vorher, mittags
um 12, ihr Vater gestorben sei.

Eine neue Aera begann in dem Leben Amaliens, als sie im November 1849
in das neugegründete Bürgerhospital zu Bonn einzog, dessen Verwaltung aus¬
schließlich und für immer den Barmherzigen Schwestern übertragen war, um
hier die Stellung einer Oberin zu bekleiden. Sie füllte dieselbe voll und ganz
aus. Ihre hervorragende Organisations- und Herrschergabe befähigte sie dazu
in besonderem Maße. Aber nicht in despotischen, sondern in freiem und be¬
freienden Geiste verwaltete sie ihr Amt. Nicht eine gedrückte, sondern eine
freudige und heitere Stimmung waltete in dem Institut. Scherz und Laune
hatten Raum. Ihr sür das Schöne empfängliche Gemüth hatte der Kunst die
Pforten geöffnet; künstlerischer Schmuck und geschmackvolle Anordnung zierten
das Haus. Dabei war Schwester Augustine eine ausgezeichnete Krankenpflegerin,
mit hingebender Theilnahme diente sie den Leidenden. Alle Proselyten-Macherei
war ihr verhaßt, und sie war stolz darauf, auch Evangelische unter ihren
Kranken zu haben. Begreiflich, daß sie allgemeine Verehrung und Liebe genoß,
und daß von den verschiedensten Seiten her Beweise derselben ihr zu Theil
wurden.

Trotzdem hatte Schwester Augustine noch immer viel unter Anwandlungen


konnte das nicht. „Den Menschen unsere Liebe nicht zu schenken, um Gott
desto inniger lieb haben zu können/' schreibt sie, „so predigte uns die vorgelesene
Betrachtung. Mein Gott, wenn ich Dich auf diesem Wege suchen muß, dann
werde ich Dich nie erreichen, nie besitzen. Man sagt gewöhnlich: die Tugenden
müsse man fleißig üben, um Meister darin werdeu zu können. Die Liebe
scheint dann wohl als Unkraut oder Giftpflanze betrachtet zu werden, die man
mit Füßen treten und fliehen muß, damit sie ungestört wachse und gedeihe.
Der sterbende Johannes predigte andere Maximen und schenkte sie uns als
Erbe seiner reichen Lebenserfahrungen. Denn auf seinem Wege fand er den
Eingang in seines Erlösers Herz."

Im Frühjahr 1848 verlor Amalie ihren Vater. Nur schwer hatte sie bei
einem früheren Besuch seiue Versöhnung erlangt. In seiner letzten Krankheit
hatte er sich dem positiven Christenthum wieder zugewandt und, wie er an
Bethmann-Hollweg schrieb, erfahren, was man leichter verliere als wiedergewinne.
In eigenthümlicher Weise hatte sich der sterbende Vater der entfernten Tochter
bezeugt. Eines Tages in der Mittagsstunde, nur 12 Uhr, war Amalie in der
Apotheke beschäftigt. Plötzlich ergriff sie eine tiefe Betrübniß, und sie brach in
Thränen aus. Nach Tisch theilte ihr die Oberin mit, ihr Vater sei erkrankt,
sie solle sofort nach Hause reisen. Freudig, die Ihren wieder sehen zu dürfen^
ohne die geringste Ahnung, wie schwer ihr Vater darniederliege, eilte sie in die
Heimat, um dort die Trauerkunde zu hören, daß am Tage vorher, mittags
um 12, ihr Vater gestorben sei.

Eine neue Aera begann in dem Leben Amaliens, als sie im November 1849
in das neugegründete Bürgerhospital zu Bonn einzog, dessen Verwaltung aus¬
schließlich und für immer den Barmherzigen Schwestern übertragen war, um
hier die Stellung einer Oberin zu bekleiden. Sie füllte dieselbe voll und ganz
aus. Ihre hervorragende Organisations- und Herrschergabe befähigte sie dazu
in besonderem Maße. Aber nicht in despotischen, sondern in freiem und be¬
freienden Geiste verwaltete sie ihr Amt. Nicht eine gedrückte, sondern eine
freudige und heitere Stimmung waltete in dem Institut. Scherz und Laune
hatten Raum. Ihr sür das Schöne empfängliche Gemüth hatte der Kunst die
Pforten geöffnet; künstlerischer Schmuck und geschmackvolle Anordnung zierten
das Haus. Dabei war Schwester Augustine eine ausgezeichnete Krankenpflegerin,
mit hingebender Theilnahme diente sie den Leidenden. Alle Proselyten-Macherei
war ihr verhaßt, und sie war stolz darauf, auch Evangelische unter ihren
Kranken zu haben. Begreiflich, daß sie allgemeine Verehrung und Liebe genoß,
und daß von den verschiedensten Seiten her Beweise derselben ihr zu Theil
wurden.

Trotzdem hatte Schwester Augustine noch immer viel unter Anwandlungen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673/442>, abgerufen am 01.09.2024.