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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal.

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von Schwermuth zu leiden; der Gegensatz ihrer auf Freiheit und Selbständig¬
keit, auf Wahrhaftigkeit und Klarheit angelegten Natur zu dem Ordensgeist,
der vielmehr den Verzicht auf die Entwickelung der Persönlichkeit heischt, machte
sich ihr stets aufs neue schmerzlich fühlbar. Und dies je länger je mehr. Der
Geist des Ultramontanismus und Jesuitismus, der langsam, aber mit sicherem
Schritt seinen Einzug in die katholische Kirche gehalten hatte, dessen Herrschaft
an Umfang und Festigkeit gewann, ließ es sie immer peinlicher empfinden, wie
isolirt sie in ihrem Gemüthsleben sei, wie wenig sie für die Regungen desselben
auf einen Wiederhall in ihrem Orden rechnen könne. Dies war denn auch so
wenig der Fall, daß das Bonner Hospital bei den Oberinnen der Kongregation
in Mißkredit kam. stach dasselbe doch anch von den übrigen Klöstern insofern
ab, als gar kein Wunder sich hier zutrug, ausgenommen das Wunder der
rettenden Liebe göttlicher und menschlicher Barmherzigkeit. So war ihr denn
die rstr-nes sxiriwöllo in Nancy, in die sie alle zwei Jahre zu geistlichen
Exerzitien sich begeben mußte, eine Zeit, auf die sie nur mit Bangen hin-, und
an die sie nur mit Entsetzen zurückdachte. Dabei war sie eine treue Katholikin,
dem Glauben ihrer Kirche voll und ganz ergeben; wenn auch ihr weiter Ge¬
sichtskreis ihr gestattete, für den Protestantismus, zumal für die lutherische
Gestaltung desselben, die wärmste Sympathie zu hegen. Es war besonders der
lutherische Glaube an die Erlösung, an dem sie sich erbaute. Kernlieder, wie
"Wenn ich ihn nur habe", "Befiehl du deine Wege", "Wenn alle untreu werden",
betete sie während der Messe. Was sie von dem evangelischen Protestantismus
zurückhielt, war theils der Mangel desselben an fester Geschlossenheit in der
äußeren Erscheinung, theils der Bruch mit der geschichtlichen Entwickelung, den
sie an ihm wahrzunehmen glaubte.

So war denn auch sür die Wahl ihrer Freunde der konfessionelle Gegen¬
satz durchaus nicht bestimmend, wohl aber die Stellung derselben zum Evan¬
gelium. Wir finden hier Professor Georg Benjamin Mendelssohn, den alten
Freund ihres Vaters; den älteren Bruder desselben, der Geheimrath Alexander
Mendelssohn in Berlin, den Amalie mit den Worten charakterisirte: "Ein
Mann, der das Christenthum so bethätigt im Leben, kann nicht fern vom
Herrn Christus sein." Wir nennen ferner einen andern Freund ihres Vaters,
Sulpiz Boisseree, und dessen Frau. Letztere war eine ebenso weitflurige Prote¬
stantin, wie Amalie eine weitflurige Katholikin. Eine warme Verehrerin
Salier's, hatte sie früher sich der Idee einer Wiedervereinigung der getrennten
Konfessionen ergeben. Daß sie dieselbe fallen ließ und sich auf den Wunsch
eines friedlichen Zusammenlebens der Konfessionen beschränkte, ist vielleicht auf
den Einfluß Ernst v. Lasaulx's zurückzuführen, der ihr einmal erklärt hatte:
"Glauben Sie ja nicht, daß das ein Glück wäre! Blicken Sie nach Frankreich,


von Schwermuth zu leiden; der Gegensatz ihrer auf Freiheit und Selbständig¬
keit, auf Wahrhaftigkeit und Klarheit angelegten Natur zu dem Ordensgeist,
der vielmehr den Verzicht auf die Entwickelung der Persönlichkeit heischt, machte
sich ihr stets aufs neue schmerzlich fühlbar. Und dies je länger je mehr. Der
Geist des Ultramontanismus und Jesuitismus, der langsam, aber mit sicherem
Schritt seinen Einzug in die katholische Kirche gehalten hatte, dessen Herrschaft
an Umfang und Festigkeit gewann, ließ es sie immer peinlicher empfinden, wie
isolirt sie in ihrem Gemüthsleben sei, wie wenig sie für die Regungen desselben
auf einen Wiederhall in ihrem Orden rechnen könne. Dies war denn auch so
wenig der Fall, daß das Bonner Hospital bei den Oberinnen der Kongregation
in Mißkredit kam. stach dasselbe doch anch von den übrigen Klöstern insofern
ab, als gar kein Wunder sich hier zutrug, ausgenommen das Wunder der
rettenden Liebe göttlicher und menschlicher Barmherzigkeit. So war ihr denn
die rstr-nes sxiriwöllo in Nancy, in die sie alle zwei Jahre zu geistlichen
Exerzitien sich begeben mußte, eine Zeit, auf die sie nur mit Bangen hin-, und
an die sie nur mit Entsetzen zurückdachte. Dabei war sie eine treue Katholikin,
dem Glauben ihrer Kirche voll und ganz ergeben; wenn auch ihr weiter Ge¬
sichtskreis ihr gestattete, für den Protestantismus, zumal für die lutherische
Gestaltung desselben, die wärmste Sympathie zu hegen. Es war besonders der
lutherische Glaube an die Erlösung, an dem sie sich erbaute. Kernlieder, wie
„Wenn ich ihn nur habe", „Befiehl du deine Wege", „Wenn alle untreu werden",
betete sie während der Messe. Was sie von dem evangelischen Protestantismus
zurückhielt, war theils der Mangel desselben an fester Geschlossenheit in der
äußeren Erscheinung, theils der Bruch mit der geschichtlichen Entwickelung, den
sie an ihm wahrzunehmen glaubte.

So war denn auch sür die Wahl ihrer Freunde der konfessionelle Gegen¬
satz durchaus nicht bestimmend, wohl aber die Stellung derselben zum Evan¬
gelium. Wir finden hier Professor Georg Benjamin Mendelssohn, den alten
Freund ihres Vaters; den älteren Bruder desselben, der Geheimrath Alexander
Mendelssohn in Berlin, den Amalie mit den Worten charakterisirte: „Ein
Mann, der das Christenthum so bethätigt im Leben, kann nicht fern vom
Herrn Christus sein." Wir nennen ferner einen andern Freund ihres Vaters,
Sulpiz Boisseree, und dessen Frau. Letztere war eine ebenso weitflurige Prote¬
stantin, wie Amalie eine weitflurige Katholikin. Eine warme Verehrerin
Salier's, hatte sie früher sich der Idee einer Wiedervereinigung der getrennten
Konfessionen ergeben. Daß sie dieselbe fallen ließ und sich auf den Wunsch
eines friedlichen Zusammenlebens der Konfessionen beschränkte, ist vielleicht auf
den Einfluß Ernst v. Lasaulx's zurückzuführen, der ihr einmal erklärt hatte:
„Glauben Sie ja nicht, daß das ein Glück wäre! Blicken Sie nach Frankreich,


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[0443] von Schwermuth zu leiden; der Gegensatz ihrer auf Freiheit und Selbständig¬ keit, auf Wahrhaftigkeit und Klarheit angelegten Natur zu dem Ordensgeist, der vielmehr den Verzicht auf die Entwickelung der Persönlichkeit heischt, machte sich ihr stets aufs neue schmerzlich fühlbar. Und dies je länger je mehr. Der Geist des Ultramontanismus und Jesuitismus, der langsam, aber mit sicherem Schritt seinen Einzug in die katholische Kirche gehalten hatte, dessen Herrschaft an Umfang und Festigkeit gewann, ließ es sie immer peinlicher empfinden, wie isolirt sie in ihrem Gemüthsleben sei, wie wenig sie für die Regungen desselben auf einen Wiederhall in ihrem Orden rechnen könne. Dies war denn auch so wenig der Fall, daß das Bonner Hospital bei den Oberinnen der Kongregation in Mißkredit kam. stach dasselbe doch anch von den übrigen Klöstern insofern ab, als gar kein Wunder sich hier zutrug, ausgenommen das Wunder der rettenden Liebe göttlicher und menschlicher Barmherzigkeit. So war ihr denn die rstr-nes sxiriwöllo in Nancy, in die sie alle zwei Jahre zu geistlichen Exerzitien sich begeben mußte, eine Zeit, auf die sie nur mit Bangen hin-, und an die sie nur mit Entsetzen zurückdachte. Dabei war sie eine treue Katholikin, dem Glauben ihrer Kirche voll und ganz ergeben; wenn auch ihr weiter Ge¬ sichtskreis ihr gestattete, für den Protestantismus, zumal für die lutherische Gestaltung desselben, die wärmste Sympathie zu hegen. Es war besonders der lutherische Glaube an die Erlösung, an dem sie sich erbaute. Kernlieder, wie „Wenn ich ihn nur habe", „Befiehl du deine Wege", „Wenn alle untreu werden", betete sie während der Messe. Was sie von dem evangelischen Protestantismus zurückhielt, war theils der Mangel desselben an fester Geschlossenheit in der äußeren Erscheinung, theils der Bruch mit der geschichtlichen Entwickelung, den sie an ihm wahrzunehmen glaubte. So war denn auch sür die Wahl ihrer Freunde der konfessionelle Gegen¬ satz durchaus nicht bestimmend, wohl aber die Stellung derselben zum Evan¬ gelium. Wir finden hier Professor Georg Benjamin Mendelssohn, den alten Freund ihres Vaters; den älteren Bruder desselben, der Geheimrath Alexander Mendelssohn in Berlin, den Amalie mit den Worten charakterisirte: „Ein Mann, der das Christenthum so bethätigt im Leben, kann nicht fern vom Herrn Christus sein." Wir nennen ferner einen andern Freund ihres Vaters, Sulpiz Boisseree, und dessen Frau. Letztere war eine ebenso weitflurige Prote¬ stantin, wie Amalie eine weitflurige Katholikin. Eine warme Verehrerin Salier's, hatte sie früher sich der Idee einer Wiedervereinigung der getrennten Konfessionen ergeben. Daß sie dieselbe fallen ließ und sich auf den Wunsch eines friedlichen Zusammenlebens der Konfessionen beschränkte, ist vielleicht auf den Einfluß Ernst v. Lasaulx's zurückzuführen, der ihr einmal erklärt hatte: „Glauben Sie ja nicht, daß das ein Glück wäre! Blicken Sie nach Frankreich,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673/443>, abgerufen am 27.11.2024.