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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal.

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300 Huronenfamilien, die im Walde bivouakirten. Sie hatten ein Stück Busch
ausgerodet und Mais gepflanzt. Aber sie waren zu erschöpft vom Hunger, zu
schwach und zu muthlos und niedergeschlagen gewesen, um darin viel thun zu
können. Die Ankunft der Jesuiten flößte ihnen neuen Muth ein, sie gingen
wieder an die Arbeit, schlugen und brannten mehrere Bäume nieder, bauten Häuser
und umgaben die Stadt mit Palissaden. Auch die Missionäre und ihre Be¬
gleiter richteten sich auf diese Weise neu ein. Noch vor Anbruch des Winters
stand ein viereckiges, mit Bastionen versehenes Fort aus festem Mauerwerk mit
einem tiefen Graben an passender Stelle der Insel. In der Nähe wurden
vorgeschobene Redouten errichtet, von wo aus französische Musketiere bei der
Vertheidigung des benachbarten Huronenstädtchens helfen konnten.

Dank der Wachsamkeit der Franzosen blieb die neue Ansiedelung den
ganzen Sommer hindurch von den Irokesen verschont, und mit Beginn des
Winters schlössen sich große Schaaren von Huronen, die voll Angst in den
Wäldern des Nordens eine Zuflucht gesucht hatten, ihren Landsleuten auf Se.
Joseph an, bis sich zuletzt ganze 8000 dieser Unglücklichen unter dem Schutze
des französischen Forts gesammelt hatten und in 100 Häusern aus Flechtwerk
und Rinde untergebracht waren. Die meisten waren von Hunger und Stra¬
pazen erschöpft, wenige konnten tüchtig arbeiten, beinahe niemand von ihnen
hatte sich für den Winter mit Nahrung versehen können. Die Väter im Fort
waren besorgt gewesen, gegen sie Barmherzigkeit üben zu können. Sie ließen
sie in den Wäldern Eicheln sammeln, die gemahlen, mit Asche gekocht und
mit Maisschrot vermengt eine wenigstens leidliche Nahrung gaben, und sie
schickten Leute aus, die von den benachbarten Algonquins geräucherte Fische
kauften. Aber was waren diese Vorräthe für so viele Bedürftige! Als der
Winter strenger wurde, boten die Häuser der Huronen einen grauenvollen
Anblick. Ihre Bewohner starben täglich in Masse vor Mangel an genügender
Nahrung. Die Priester und ihre Leute begruben die Leichname, aber die
Indianer scharrten sie aus den flachen Gräbern wieder heraus und verzehrten
sie, meist heimlich, aber auch nicht selten öffentlich. Bald darauf brach eine
Epidemie unter ihnen aus und vollendete das Werk der Hungersnoth. Vor
Eintritt des Frühlings war die Hälfte von ihnen gestorben.

Von dem Reste des Volkes flohen jetzt zweimal starke Schaaren vor den
Schrecken des Hungers nach dem Festlande, aber kaum waren sie dort angelangt,
um am Gestade zu fischen, als sie von lauernden Jrokesenbanden überfallen
und niedergemetzelt wurden. Die Jesuiten befanden sich in großer Verlegenheit.
Sie wußten nicht, wie zu helfen sei, die Ansiedelung drohte sich aufzulösen.
Einige wollten sich zu den Neutralen flüchten, Andere dachten an Abzug in
die entlegensten und unzugänglichsten Waldwüsten des Nordens, wieder Andere


300 Huronenfamilien, die im Walde bivouakirten. Sie hatten ein Stück Busch
ausgerodet und Mais gepflanzt. Aber sie waren zu erschöpft vom Hunger, zu
schwach und zu muthlos und niedergeschlagen gewesen, um darin viel thun zu
können. Die Ankunft der Jesuiten flößte ihnen neuen Muth ein, sie gingen
wieder an die Arbeit, schlugen und brannten mehrere Bäume nieder, bauten Häuser
und umgaben die Stadt mit Palissaden. Auch die Missionäre und ihre Be¬
gleiter richteten sich auf diese Weise neu ein. Noch vor Anbruch des Winters
stand ein viereckiges, mit Bastionen versehenes Fort aus festem Mauerwerk mit
einem tiefen Graben an passender Stelle der Insel. In der Nähe wurden
vorgeschobene Redouten errichtet, von wo aus französische Musketiere bei der
Vertheidigung des benachbarten Huronenstädtchens helfen konnten.

Dank der Wachsamkeit der Franzosen blieb die neue Ansiedelung den
ganzen Sommer hindurch von den Irokesen verschont, und mit Beginn des
Winters schlössen sich große Schaaren von Huronen, die voll Angst in den
Wäldern des Nordens eine Zuflucht gesucht hatten, ihren Landsleuten auf Se.
Joseph an, bis sich zuletzt ganze 8000 dieser Unglücklichen unter dem Schutze
des französischen Forts gesammelt hatten und in 100 Häusern aus Flechtwerk
und Rinde untergebracht waren. Die meisten waren von Hunger und Stra¬
pazen erschöpft, wenige konnten tüchtig arbeiten, beinahe niemand von ihnen
hatte sich für den Winter mit Nahrung versehen können. Die Väter im Fort
waren besorgt gewesen, gegen sie Barmherzigkeit üben zu können. Sie ließen
sie in den Wäldern Eicheln sammeln, die gemahlen, mit Asche gekocht und
mit Maisschrot vermengt eine wenigstens leidliche Nahrung gaben, und sie
schickten Leute aus, die von den benachbarten Algonquins geräucherte Fische
kauften. Aber was waren diese Vorräthe für so viele Bedürftige! Als der
Winter strenger wurde, boten die Häuser der Huronen einen grauenvollen
Anblick. Ihre Bewohner starben täglich in Masse vor Mangel an genügender
Nahrung. Die Priester und ihre Leute begruben die Leichname, aber die
Indianer scharrten sie aus den flachen Gräbern wieder heraus und verzehrten
sie, meist heimlich, aber auch nicht selten öffentlich. Bald darauf brach eine
Epidemie unter ihnen aus und vollendete das Werk der Hungersnoth. Vor
Eintritt des Frühlings war die Hälfte von ihnen gestorben.

Von dem Reste des Volkes flohen jetzt zweimal starke Schaaren vor den
Schrecken des Hungers nach dem Festlande, aber kaum waren sie dort angelangt,
um am Gestade zu fischen, als sie von lauernden Jrokesenbanden überfallen
und niedergemetzelt wurden. Die Jesuiten befanden sich in großer Verlegenheit.
Sie wußten nicht, wie zu helfen sei, die Ansiedelung drohte sich aufzulösen.
Einige wollten sich zu den Neutralen flüchten, Andere dachten an Abzug in
die entlegensten und unzugänglichsten Waldwüsten des Nordens, wieder Andere


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[0424] 300 Huronenfamilien, die im Walde bivouakirten. Sie hatten ein Stück Busch ausgerodet und Mais gepflanzt. Aber sie waren zu erschöpft vom Hunger, zu schwach und zu muthlos und niedergeschlagen gewesen, um darin viel thun zu können. Die Ankunft der Jesuiten flößte ihnen neuen Muth ein, sie gingen wieder an die Arbeit, schlugen und brannten mehrere Bäume nieder, bauten Häuser und umgaben die Stadt mit Palissaden. Auch die Missionäre und ihre Be¬ gleiter richteten sich auf diese Weise neu ein. Noch vor Anbruch des Winters stand ein viereckiges, mit Bastionen versehenes Fort aus festem Mauerwerk mit einem tiefen Graben an passender Stelle der Insel. In der Nähe wurden vorgeschobene Redouten errichtet, von wo aus französische Musketiere bei der Vertheidigung des benachbarten Huronenstädtchens helfen konnten. Dank der Wachsamkeit der Franzosen blieb die neue Ansiedelung den ganzen Sommer hindurch von den Irokesen verschont, und mit Beginn des Winters schlössen sich große Schaaren von Huronen, die voll Angst in den Wäldern des Nordens eine Zuflucht gesucht hatten, ihren Landsleuten auf Se. Joseph an, bis sich zuletzt ganze 8000 dieser Unglücklichen unter dem Schutze des französischen Forts gesammelt hatten und in 100 Häusern aus Flechtwerk und Rinde untergebracht waren. Die meisten waren von Hunger und Stra¬ pazen erschöpft, wenige konnten tüchtig arbeiten, beinahe niemand von ihnen hatte sich für den Winter mit Nahrung versehen können. Die Väter im Fort waren besorgt gewesen, gegen sie Barmherzigkeit üben zu können. Sie ließen sie in den Wäldern Eicheln sammeln, die gemahlen, mit Asche gekocht und mit Maisschrot vermengt eine wenigstens leidliche Nahrung gaben, und sie schickten Leute aus, die von den benachbarten Algonquins geräucherte Fische kauften. Aber was waren diese Vorräthe für so viele Bedürftige! Als der Winter strenger wurde, boten die Häuser der Huronen einen grauenvollen Anblick. Ihre Bewohner starben täglich in Masse vor Mangel an genügender Nahrung. Die Priester und ihre Leute begruben die Leichname, aber die Indianer scharrten sie aus den flachen Gräbern wieder heraus und verzehrten sie, meist heimlich, aber auch nicht selten öffentlich. Bald darauf brach eine Epidemie unter ihnen aus und vollendete das Werk der Hungersnoth. Vor Eintritt des Frühlings war die Hälfte von ihnen gestorben. Von dem Reste des Volkes flohen jetzt zweimal starke Schaaren vor den Schrecken des Hungers nach dem Festlande, aber kaum waren sie dort angelangt, um am Gestade zu fischen, als sie von lauernden Jrokesenbanden überfallen und niedergemetzelt wurden. Die Jesuiten befanden sich in großer Verlegenheit. Sie wußten nicht, wie zu helfen sei, die Ansiedelung drohte sich aufzulösen. Einige wollten sich zu den Neutralen flüchten, Andere dachten an Abzug in die entlegensten und unzugänglichsten Waldwüsten des Nordens, wieder Andere

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673/424>, abgerufen am 01.09.2024.