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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal.

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hofften durch Eintritt in die Stämme der Irokesen Sicherheit zu erlangen.
Da erschienen eines Tages zwei der vornehmsten Huronen-Häuptlinge bei
Ragueneau, baten ihn um Mitleid mit ihrem untergehenden Volke und schlugen
ihm vor, die Reste desselben nach Quebek zu führen und dort anzusiedeln.
"Warte nicht/ sagten sie, "bis Krieg und Hunger uns bis auf den letzten Mann
vernichtet haben. Wenn du zögerst, so wird er sein Werk vollenden, und dann
wird dich's gereuen, daß du die nicht gerettet hast, welche von dir aus dem Abgrund
gezogen werden konnten, und welche dir die Mittel dazu angeben."

Die Jesuiten waren gerührt. Sie beriethen sich immer und immer wieder
und beteten dann vierzig Stunden lang um Erleuchtung; denn es fiel ihnen be¬
greiflicherweise schwer, ihr Werk im Huronenlande ganz aufzugeben. Endlich
willigten sie in den Wunsch der Häuptlinge und trafen Vorbereitungen zur
Abfahrt, die man beeilen mußte, weil sonst die Irokesen von der Sache erfahren
und ihnen unterwegs mit Uebermacht entgegentreten konnten. Kanoes wurden
in Bereitschaft gesetzt und mit allem transportabeln Eigenthum und Vorrath
der Mission beladen, und am 10. Juni 1650 traten die Jesuiten mit allen
ihren französischen Begleitern und ungefähr 300 Huronen die Reise an. "Nicht
ohne Thränen verließen wir," so schreibt der Pater Superior, "das Land
unserer Hoffnungen und unsrer Liebe, wo unsere Brüder ihr Blut so ruhmvoll
vergossen hatten." Ihre Flotille nahm ihren traurigen Weg längs der Küsten
hin, wo vor zwei Jahren noch eine der größten Judianergemeinschaften des Welt¬
theils gewohnt hatte, und wo jetzt alles eine stille, todte Wildniß war. Dann
steuerten sie nordwärts am östlichen Gestade hin, längs der Georgsbai mit
ihren zahlreichen Felseilanden, und allenthalben begegneten sie den spüre"
des Jrokesenkrieges. Als sie den Nippissing-See erreichten, war von den
Algonquins, die einst seine Ufer bewohnt, nichts übriggeblieben als die Kohlen-
und Aschenhaufen ihrer Wigwams. Längs des Ottawa-Flusses war alles zur
Wüstenei geworden, und die christlichen Jndianerstämme der Menuette-Insel
und des ihr benachbarten Festlandes waren sämmtlich entweder getödtet oder
auf Nimmerwiederkehr vertrieben.

Als man weiterfuhr^, begegnete man dem Pater Brassain, der mit 40 be¬
waffneten Franzosen von Quebek aufgebrochen war, um die Mission auf der
Josephsinsel zu verstärken. Er kam zu spät, die Mission war unwiderruflich
aufgegeben, und da es deshalb nutzlos gewesen wäre, weiterzugehen, schloß er
sich der Gesellschaft Ragueneau's an. In Montreal angelangt, wurden sie auf¬
gefordert, sich hier anzusiedeln. Die Huronen aber weigerten sich; denn der
Ort war den Streifzügen der Irokesen zu sehr ausgesetzt. So fuhr man denn
weiter, den Lorenzstrom hinab, und kam am 28. Juli in Quebek an. Hier
erschöpften die Einwohner und die gastlichen Ursulinerinnen ihre Mittel aufs


hofften durch Eintritt in die Stämme der Irokesen Sicherheit zu erlangen.
Da erschienen eines Tages zwei der vornehmsten Huronen-Häuptlinge bei
Ragueneau, baten ihn um Mitleid mit ihrem untergehenden Volke und schlugen
ihm vor, die Reste desselben nach Quebek zu führen und dort anzusiedeln.
„Warte nicht/ sagten sie, „bis Krieg und Hunger uns bis auf den letzten Mann
vernichtet haben. Wenn du zögerst, so wird er sein Werk vollenden, und dann
wird dich's gereuen, daß du die nicht gerettet hast, welche von dir aus dem Abgrund
gezogen werden konnten, und welche dir die Mittel dazu angeben."

Die Jesuiten waren gerührt. Sie beriethen sich immer und immer wieder
und beteten dann vierzig Stunden lang um Erleuchtung; denn es fiel ihnen be¬
greiflicherweise schwer, ihr Werk im Huronenlande ganz aufzugeben. Endlich
willigten sie in den Wunsch der Häuptlinge und trafen Vorbereitungen zur
Abfahrt, die man beeilen mußte, weil sonst die Irokesen von der Sache erfahren
und ihnen unterwegs mit Uebermacht entgegentreten konnten. Kanoes wurden
in Bereitschaft gesetzt und mit allem transportabeln Eigenthum und Vorrath
der Mission beladen, und am 10. Juni 1650 traten die Jesuiten mit allen
ihren französischen Begleitern und ungefähr 300 Huronen die Reise an. „Nicht
ohne Thränen verließen wir," so schreibt der Pater Superior, „das Land
unserer Hoffnungen und unsrer Liebe, wo unsere Brüder ihr Blut so ruhmvoll
vergossen hatten." Ihre Flotille nahm ihren traurigen Weg längs der Küsten
hin, wo vor zwei Jahren noch eine der größten Judianergemeinschaften des Welt¬
theils gewohnt hatte, und wo jetzt alles eine stille, todte Wildniß war. Dann
steuerten sie nordwärts am östlichen Gestade hin, längs der Georgsbai mit
ihren zahlreichen Felseilanden, und allenthalben begegneten sie den spüre»
des Jrokesenkrieges. Als sie den Nippissing-See erreichten, war von den
Algonquins, die einst seine Ufer bewohnt, nichts übriggeblieben als die Kohlen-
und Aschenhaufen ihrer Wigwams. Längs des Ottawa-Flusses war alles zur
Wüstenei geworden, und die christlichen Jndianerstämme der Menuette-Insel
und des ihr benachbarten Festlandes waren sämmtlich entweder getödtet oder
auf Nimmerwiederkehr vertrieben.

Als man weiterfuhr^, begegnete man dem Pater Brassain, der mit 40 be¬
waffneten Franzosen von Quebek aufgebrochen war, um die Mission auf der
Josephsinsel zu verstärken. Er kam zu spät, die Mission war unwiderruflich
aufgegeben, und da es deshalb nutzlos gewesen wäre, weiterzugehen, schloß er
sich der Gesellschaft Ragueneau's an. In Montreal angelangt, wurden sie auf¬
gefordert, sich hier anzusiedeln. Die Huronen aber weigerten sich; denn der
Ort war den Streifzügen der Irokesen zu sehr ausgesetzt. So fuhr man denn
weiter, den Lorenzstrom hinab, und kam am 28. Juli in Quebek an. Hier
erschöpften die Einwohner und die gastlichen Ursulinerinnen ihre Mittel aufs


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673/425>, abgerufen am 27.07.2024.