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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal.

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Alles war jetzt vorbei für die Huronen. Ohne Führer, ohne Vereinigung,
ohne Organisation, vom Elend gelähmt und wahnsinnig vor Furcht, fügten
sie sich in ihr Schicksal ohne weiteren Widerstand. Ihr einziger Gedanke war
jetzt Flucht aus dein Lande. Ohne zu überlegen, daß sie eine schlechte Ernte
gehabt, und daß sie auf ihren Feldern wieder Mais und Bohnen bauen mußten,
wenn sie nicht verhungern wollten, zerstreuten sie sich zum größten Theil nach
Osten und Norden hin in die halb aufgethaute Wildniß. Binnen vierzehn Tagen
wurden 15 Huronenstädte verlassen und die Mehrzahl verbrannt, damit sie
den etwa zurückkehrenden irokesischen Schaaren nicht zur Operationsbasis dienten.

So mußte auch Sande Marie aufgegeben werden. Es konnte den An¬
prall des nächsten Angriffs nicht allein aushalten, und dann hatte die Mission
keinen Zweck mehr -- die Heerde war den Hirten entflohen. Es galt, sie
wieder zu sammeln und eine neue Heimat zu suchen. Einige der Väter folgten
den Entwichenen in ihre Schlupfwinkel ans den Eilanden des Huronensees und
in den Gebirgen. Die Zurückbleibenden beriethen sich über den neuen Hauptsitz
und Mittelpunkt der Mission. Sie entschieden sich für die große Manitoulin-
Jnsel, die von ihnen nach der heiligen Jungfrau, von den Indianern aber
Ekarntoton genannt wurde. Sie lag nahe am Nordufer des Huronensees und
gewährte leichten Zugang zu den Algonquins, und überdies rückte man mit der
Uebersiedelung hierher den französischen Niederlassungen näher. Endlich ver¬
sprach auch der Fischfang hier reichliche Nahrung, und der Boden der Insel
war zur Anlegung von Maisfeldern wohlgeeignet. Indeß gab man den Plan
auf, da zwölf Huronenhäuptlinge erschienen und die Väter bewogen, sich mit
ihnen auf der näheren Insel Se. Joseph niederzulassen, wo sie die zerstreuten
Schaaren ihres Volkes wieder vereinigen wollten und ein Theil derselben
bereits eingetroffen war.

Die genannte Insel liegt etwa 20 englische Meilen von der Stelle, wo die
Burg von Sande Marie stand, vor dem Eingange der Matschedasch-Bai, und
war damals mit dichtem Urwalde bedeckt. Am 14. Juni 1649 wurde die bis¬
herige Heimat verlassen, zu welchem Zwecke man sich ein Boot und ein großes
Floß erbaut hatte. Als man diese Fahrzeuge mit allem, was nicht niet- und
nagelfest war, mit Korn, Vieh, Waffen und Schießbedarf, Altären, heiligen
und weltlichen Gerätschaften, Schränken, Kisten und Tonnen beladen hatte,
steckte man das Fort und die Stadt in Brand, und in einigen Stunden waren
die Erzeugnisse vieljähriger Arbeit zerstört. Die obdachlos gewordene Schaar
ging an Bord des Flosses und des Bootes und fuhr den Wye hinab und in
die Bucht hinaus. Der See war ruhig, das Wasser schön, aber so langsam
kamen sie vorwärts, daß sie ihr Reiseziel erst nach mehreren Tagen erreichten.
Hier stießen die Missionäre mit ihren 40 Soldaten und Arbeitern ans ungefähr


Grenzboten til. 1379. S4

Alles war jetzt vorbei für die Huronen. Ohne Führer, ohne Vereinigung,
ohne Organisation, vom Elend gelähmt und wahnsinnig vor Furcht, fügten
sie sich in ihr Schicksal ohne weiteren Widerstand. Ihr einziger Gedanke war
jetzt Flucht aus dein Lande. Ohne zu überlegen, daß sie eine schlechte Ernte
gehabt, und daß sie auf ihren Feldern wieder Mais und Bohnen bauen mußten,
wenn sie nicht verhungern wollten, zerstreuten sie sich zum größten Theil nach
Osten und Norden hin in die halb aufgethaute Wildniß. Binnen vierzehn Tagen
wurden 15 Huronenstädte verlassen und die Mehrzahl verbrannt, damit sie
den etwa zurückkehrenden irokesischen Schaaren nicht zur Operationsbasis dienten.

So mußte auch Sande Marie aufgegeben werden. Es konnte den An¬
prall des nächsten Angriffs nicht allein aushalten, und dann hatte die Mission
keinen Zweck mehr — die Heerde war den Hirten entflohen. Es galt, sie
wieder zu sammeln und eine neue Heimat zu suchen. Einige der Väter folgten
den Entwichenen in ihre Schlupfwinkel ans den Eilanden des Huronensees und
in den Gebirgen. Die Zurückbleibenden beriethen sich über den neuen Hauptsitz
und Mittelpunkt der Mission. Sie entschieden sich für die große Manitoulin-
Jnsel, die von ihnen nach der heiligen Jungfrau, von den Indianern aber
Ekarntoton genannt wurde. Sie lag nahe am Nordufer des Huronensees und
gewährte leichten Zugang zu den Algonquins, und überdies rückte man mit der
Uebersiedelung hierher den französischen Niederlassungen näher. Endlich ver¬
sprach auch der Fischfang hier reichliche Nahrung, und der Boden der Insel
war zur Anlegung von Maisfeldern wohlgeeignet. Indeß gab man den Plan
auf, da zwölf Huronenhäuptlinge erschienen und die Väter bewogen, sich mit
ihnen auf der näheren Insel Se. Joseph niederzulassen, wo sie die zerstreuten
Schaaren ihres Volkes wieder vereinigen wollten und ein Theil derselben
bereits eingetroffen war.

Die genannte Insel liegt etwa 20 englische Meilen von der Stelle, wo die
Burg von Sande Marie stand, vor dem Eingange der Matschedasch-Bai, und
war damals mit dichtem Urwalde bedeckt. Am 14. Juni 1649 wurde die bis¬
herige Heimat verlassen, zu welchem Zwecke man sich ein Boot und ein großes
Floß erbaut hatte. Als man diese Fahrzeuge mit allem, was nicht niet- und
nagelfest war, mit Korn, Vieh, Waffen und Schießbedarf, Altären, heiligen
und weltlichen Gerätschaften, Schränken, Kisten und Tonnen beladen hatte,
steckte man das Fort und die Stadt in Brand, und in einigen Stunden waren
die Erzeugnisse vieljähriger Arbeit zerstört. Die obdachlos gewordene Schaar
ging an Bord des Flosses und des Bootes und fuhr den Wye hinab und in
die Bucht hinaus. Der See war ruhig, das Wasser schön, aber so langsam
kamen sie vorwärts, daß sie ihr Reiseziel erst nach mehreren Tagen erreichten.
Hier stießen die Missionäre mit ihren 40 Soldaten und Arbeitern ans ungefähr


Grenzboten til. 1379. S4
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[0423] Alles war jetzt vorbei für die Huronen. Ohne Führer, ohne Vereinigung, ohne Organisation, vom Elend gelähmt und wahnsinnig vor Furcht, fügten sie sich in ihr Schicksal ohne weiteren Widerstand. Ihr einziger Gedanke war jetzt Flucht aus dein Lande. Ohne zu überlegen, daß sie eine schlechte Ernte gehabt, und daß sie auf ihren Feldern wieder Mais und Bohnen bauen mußten, wenn sie nicht verhungern wollten, zerstreuten sie sich zum größten Theil nach Osten und Norden hin in die halb aufgethaute Wildniß. Binnen vierzehn Tagen wurden 15 Huronenstädte verlassen und die Mehrzahl verbrannt, damit sie den etwa zurückkehrenden irokesischen Schaaren nicht zur Operationsbasis dienten. So mußte auch Sande Marie aufgegeben werden. Es konnte den An¬ prall des nächsten Angriffs nicht allein aushalten, und dann hatte die Mission keinen Zweck mehr — die Heerde war den Hirten entflohen. Es galt, sie wieder zu sammeln und eine neue Heimat zu suchen. Einige der Väter folgten den Entwichenen in ihre Schlupfwinkel ans den Eilanden des Huronensees und in den Gebirgen. Die Zurückbleibenden beriethen sich über den neuen Hauptsitz und Mittelpunkt der Mission. Sie entschieden sich für die große Manitoulin- Jnsel, die von ihnen nach der heiligen Jungfrau, von den Indianern aber Ekarntoton genannt wurde. Sie lag nahe am Nordufer des Huronensees und gewährte leichten Zugang zu den Algonquins, und überdies rückte man mit der Uebersiedelung hierher den französischen Niederlassungen näher. Endlich ver¬ sprach auch der Fischfang hier reichliche Nahrung, und der Boden der Insel war zur Anlegung von Maisfeldern wohlgeeignet. Indeß gab man den Plan auf, da zwölf Huronenhäuptlinge erschienen und die Väter bewogen, sich mit ihnen auf der näheren Insel Se. Joseph niederzulassen, wo sie die zerstreuten Schaaren ihres Volkes wieder vereinigen wollten und ein Theil derselben bereits eingetroffen war. Die genannte Insel liegt etwa 20 englische Meilen von der Stelle, wo die Burg von Sande Marie stand, vor dem Eingange der Matschedasch-Bai, und war damals mit dichtem Urwalde bedeckt. Am 14. Juni 1649 wurde die bis¬ herige Heimat verlassen, zu welchem Zwecke man sich ein Boot und ein großes Floß erbaut hatte. Als man diese Fahrzeuge mit allem, was nicht niet- und nagelfest war, mit Korn, Vieh, Waffen und Schießbedarf, Altären, heiligen und weltlichen Gerätschaften, Schränken, Kisten und Tonnen beladen hatte, steckte man das Fort und die Stadt in Brand, und in einigen Stunden waren die Erzeugnisse vieljähriger Arbeit zerstört. Die obdachlos gewordene Schaar ging an Bord des Flosses und des Bootes und fuhr den Wye hinab und in die Bucht hinaus. Der See war ruhig, das Wasser schön, aber so langsam kamen sie vorwärts, daß sie ihr Reiseziel erst nach mehreren Tagen erreichten. Hier stießen die Missionäre mit ihren 40 Soldaten und Arbeitern ans ungefähr Grenzboten til. 1379. S4

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673/423>, abgerufen am 27.11.2024.