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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal.

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Lili benutzt worden. Frau v. Egloffstein erzählt da, daß Frau v. Türckheim
in Erlangen großes Verlangen getragen habe, sie kennen zu lernen, und so habe
sie sich endlich, trotz ihrer Abneigung vor neuen Bekanntschaften, entschlossen,
dieselbe zu besuchen, weil sie geglaubt, sie bedürfe vielleicht einer Unterstützung.
Sie schildert dann den imponirenden Eindruck, den Lili's Erscheinung auf sie
gemacht -- sie habe geglaubt, "Iphigenie vor sich zu sehen" -- und erzählt, Lili
habe ihr gestanden, da sie gehört, in welcher engen Verbindung Fran von
Egloffstein mit Weimar stehe, so habe sie ihre Bekanntschaft gewünscht,
um etwas Näheres von Goethe's Leben und Schicksal zu erfahren, "den sie
den Schöpfer ihrer moralischen Existenz nannte". Diesem Wunsche habe nun
freilich Fran v. Egloffstein nicht entsprechen können, da sie Goethe damals
noch nicht persönlich gekannt habe, trotzdem habe sich die herzlichste Freund¬
schaft zwischen beiden Frauen entsponnen, und im Laufe der Mterhaltnngen
habe Lili die ganze Geschichte ihres Herzens erzählt. Sie habe bekannt, daß
sie, "wenn auch nicht vollkommen glücklich, doch mit ihrem Schicksal zufrieden
sein, weil -- Goethe es ihr vorgezeichnet habe. Ihre Leidenschaft für Goethe
sei mächtiger als Pflicht- und Tugendgefühl in ihr gewesen, und wenn seine
Großmuth die Opfer, welche sie ihm bringen wollte, nicht standhaft zurückge¬
wiesen hätte, so würde sie späterhin, ihrer Selbstachtung und ihrer bürgerlichen
Ehre beraubt, ans die Vergangenheit zurückgeblickt haben, welche ihr jetzt im
Gegentheil nur beseligende Erinnerungen darbiete. Seinem Edelsinn verdanke
sie einzig und allein ihre geistige Ausbildung an der Seite eines würdigen
Gatten und den Kreis hoffnungsvoller Kinder, in welchem sie Ersatz für alle
Leiden finde, die der Himmel ihr auferlegt. Sie müsse sich daher als sein
Geschöpf betrachten und bis zum letzten Hauch ihres Lebens mit religiöser
Verehrung an seinem Bilde hängen." Darauf habe sie Frau v. Egloffstein
gebeten, dem unvergeßlichen Freunde bei schicklicher Gelegenheit dies alles mitzu¬
theilen. Eine solche Gelegenheit habe sich jedoch nie gefunden. Als die
Beauftragte später mit Goethe persönlich verkehrt habe, sei sie zu schüchtern
gewesen, "einen so überaus delikaten Gegenstand zu berühren".

Mit Recht, wie uns scheint, protestirt Graf Dürckheim gegen den Inhalt
dieses Berichtes und bezeichnet ihn als eine "übertriebene Huldigung, die dem
allgemein vergötterten Dichter" im Alter von jener Dame dargebracht worden
sei. In dem oben erwähnten Briefe aus dem Jahre 1801 schreibt Goethe
ausdrücklich, er habe von Fran v. Egloffstein erfahren, daß Lili manchmal
seiner gedacht habe -- wie sollte es da der Baronin an Gelegenheit gefehlt
haben, sich jenes vorgeblichen Auftrages zu entledigen? Augenscheinlich kam es
der Schreiberin darauf an, wichtige "Enthüllungen" zu machen. Wer weiß,
wie oft sie jene Begegnung mit Lili schon erzählt und dabei jedesmal der


Lili benutzt worden. Frau v. Egloffstein erzählt da, daß Frau v. Türckheim
in Erlangen großes Verlangen getragen habe, sie kennen zu lernen, und so habe
sie sich endlich, trotz ihrer Abneigung vor neuen Bekanntschaften, entschlossen,
dieselbe zu besuchen, weil sie geglaubt, sie bedürfe vielleicht einer Unterstützung.
Sie schildert dann den imponirenden Eindruck, den Lili's Erscheinung auf sie
gemacht — sie habe geglaubt, „Iphigenie vor sich zu sehen" — und erzählt, Lili
habe ihr gestanden, da sie gehört, in welcher engen Verbindung Fran von
Egloffstein mit Weimar stehe, so habe sie ihre Bekanntschaft gewünscht,
um etwas Näheres von Goethe's Leben und Schicksal zu erfahren, „den sie
den Schöpfer ihrer moralischen Existenz nannte". Diesem Wunsche habe nun
freilich Fran v. Egloffstein nicht entsprechen können, da sie Goethe damals
noch nicht persönlich gekannt habe, trotzdem habe sich die herzlichste Freund¬
schaft zwischen beiden Frauen entsponnen, und im Laufe der Mterhaltnngen
habe Lili die ganze Geschichte ihres Herzens erzählt. Sie habe bekannt, daß
sie, „wenn auch nicht vollkommen glücklich, doch mit ihrem Schicksal zufrieden
sein, weil — Goethe es ihr vorgezeichnet habe. Ihre Leidenschaft für Goethe
sei mächtiger als Pflicht- und Tugendgefühl in ihr gewesen, und wenn seine
Großmuth die Opfer, welche sie ihm bringen wollte, nicht standhaft zurückge¬
wiesen hätte, so würde sie späterhin, ihrer Selbstachtung und ihrer bürgerlichen
Ehre beraubt, ans die Vergangenheit zurückgeblickt haben, welche ihr jetzt im
Gegentheil nur beseligende Erinnerungen darbiete. Seinem Edelsinn verdanke
sie einzig und allein ihre geistige Ausbildung an der Seite eines würdigen
Gatten und den Kreis hoffnungsvoller Kinder, in welchem sie Ersatz für alle
Leiden finde, die der Himmel ihr auferlegt. Sie müsse sich daher als sein
Geschöpf betrachten und bis zum letzten Hauch ihres Lebens mit religiöser
Verehrung an seinem Bilde hängen." Darauf habe sie Frau v. Egloffstein
gebeten, dem unvergeßlichen Freunde bei schicklicher Gelegenheit dies alles mitzu¬
theilen. Eine solche Gelegenheit habe sich jedoch nie gefunden. Als die
Beauftragte später mit Goethe persönlich verkehrt habe, sei sie zu schüchtern
gewesen, „einen so überaus delikaten Gegenstand zu berühren".

Mit Recht, wie uns scheint, protestirt Graf Dürckheim gegen den Inhalt
dieses Berichtes und bezeichnet ihn als eine „übertriebene Huldigung, die dem
allgemein vergötterten Dichter" im Alter von jener Dame dargebracht worden
sei. In dem oben erwähnten Briefe aus dem Jahre 1801 schreibt Goethe
ausdrücklich, er habe von Fran v. Egloffstein erfahren, daß Lili manchmal
seiner gedacht habe — wie sollte es da der Baronin an Gelegenheit gefehlt
haben, sich jenes vorgeblichen Auftrages zu entledigen? Augenscheinlich kam es
der Schreiberin darauf an, wichtige „Enthüllungen" zu machen. Wer weiß,
wie oft sie jene Begegnung mit Lili schon erzählt und dabei jedesmal der


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[0412] Lili benutzt worden. Frau v. Egloffstein erzählt da, daß Frau v. Türckheim in Erlangen großes Verlangen getragen habe, sie kennen zu lernen, und so habe sie sich endlich, trotz ihrer Abneigung vor neuen Bekanntschaften, entschlossen, dieselbe zu besuchen, weil sie geglaubt, sie bedürfe vielleicht einer Unterstützung. Sie schildert dann den imponirenden Eindruck, den Lili's Erscheinung auf sie gemacht — sie habe geglaubt, „Iphigenie vor sich zu sehen" — und erzählt, Lili habe ihr gestanden, da sie gehört, in welcher engen Verbindung Fran von Egloffstein mit Weimar stehe, so habe sie ihre Bekanntschaft gewünscht, um etwas Näheres von Goethe's Leben und Schicksal zu erfahren, „den sie den Schöpfer ihrer moralischen Existenz nannte". Diesem Wunsche habe nun freilich Fran v. Egloffstein nicht entsprechen können, da sie Goethe damals noch nicht persönlich gekannt habe, trotzdem habe sich die herzlichste Freund¬ schaft zwischen beiden Frauen entsponnen, und im Laufe der Mterhaltnngen habe Lili die ganze Geschichte ihres Herzens erzählt. Sie habe bekannt, daß sie, „wenn auch nicht vollkommen glücklich, doch mit ihrem Schicksal zufrieden sein, weil — Goethe es ihr vorgezeichnet habe. Ihre Leidenschaft für Goethe sei mächtiger als Pflicht- und Tugendgefühl in ihr gewesen, und wenn seine Großmuth die Opfer, welche sie ihm bringen wollte, nicht standhaft zurückge¬ wiesen hätte, so würde sie späterhin, ihrer Selbstachtung und ihrer bürgerlichen Ehre beraubt, ans die Vergangenheit zurückgeblickt haben, welche ihr jetzt im Gegentheil nur beseligende Erinnerungen darbiete. Seinem Edelsinn verdanke sie einzig und allein ihre geistige Ausbildung an der Seite eines würdigen Gatten und den Kreis hoffnungsvoller Kinder, in welchem sie Ersatz für alle Leiden finde, die der Himmel ihr auferlegt. Sie müsse sich daher als sein Geschöpf betrachten und bis zum letzten Hauch ihres Lebens mit religiöser Verehrung an seinem Bilde hängen." Darauf habe sie Frau v. Egloffstein gebeten, dem unvergeßlichen Freunde bei schicklicher Gelegenheit dies alles mitzu¬ theilen. Eine solche Gelegenheit habe sich jedoch nie gefunden. Als die Beauftragte später mit Goethe persönlich verkehrt habe, sei sie zu schüchtern gewesen, „einen so überaus delikaten Gegenstand zu berühren". Mit Recht, wie uns scheint, protestirt Graf Dürckheim gegen den Inhalt dieses Berichtes und bezeichnet ihn als eine „übertriebene Huldigung, die dem allgemein vergötterten Dichter" im Alter von jener Dame dargebracht worden sei. In dem oben erwähnten Briefe aus dem Jahre 1801 schreibt Goethe ausdrücklich, er habe von Fran v. Egloffstein erfahren, daß Lili manchmal seiner gedacht habe — wie sollte es da der Baronin an Gelegenheit gefehlt haben, sich jenes vorgeblichen Auftrages zu entledigen? Augenscheinlich kam es der Schreiberin darauf an, wichtige „Enthüllungen" zu machen. Wer weiß, wie oft sie jene Begegnung mit Lili schon erzählt und dabei jedesmal der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673/412>, abgerufen am 28.07.2024.