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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal.

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Sache selbst und der Rolle, die sie dabei gespielt, eine größere Wichtigkeit ver¬
liehen hatte, bis sie endlich indirekt durch Goethe aufgefordert wurde, ihre
Reminiszenzen zu Papiere zu bringen. Von einer "Freundschaft" zwischen Lili
und Fran v. Egloffstein kann nicht die Rede sein. Wenn jemand in Erlangen
"Abneigung vor neuen Bekanntschaften" hatte, so war es vor allen Frau
v, Türckheim; nimmermehr Hütte sie, die ruhige, besonnene, zurückhaltende Frau,
einer Fremden, mit der sie vorübergehend bekannt geworden, derartige Herzens-
ergießungen gemacht. Aber auch der Inhalt der Bekenntnisse selbst widerspricht
allem, was wir sonst über Lili's Herzensgeschichte wissen und schließen dürfen.

Ohne Zweifel wird Goethe auf die geistige Entwickelung Lili's Einfluß,
nachhaltigen Einfluß gehabt haben. Er selbst äußerte 1815 gegen Boisseree,
"sie habe ihm den größten Theil ihrer höheren Bildung zu danken". In zar¬
tester Jugend trat sie ihm gegenüber, keusch, zögernd, und daher wohl manchmal
scheinbar streng und spröde. Oft, wenn er sie glühender, leidenschaftlicher
wünschte, mochten ihn Zweifel beschleichen, ob sie auch im Stande sei, ihn
völlig zu würdigen und zu verstehen. Auguste Stolberg, der er Anfang September
1775 derartige Zweifel brieflich ausgesprochen, beruhigte ihn deshalb, und er
antwortet ihr: "Dein gut Wort würckte in mir, da sprachs ans einmal in mir,
sollt's nicht übermüsiger Stolz seyn zu verlangen, dass dich ganz das Mädgen
erkennte und so erkennend liebte, erkenn ich sie vielleicht auch nicht, und da sie
anders ist wie ich, ist sie nicht vielleicht besser." Auf keinen Fall aber würde
Lili, auch wenn man Goethe's Einfluß und den reifenden Einfluß der Jahre
und ihrer Erlebnisse gebührend in Anschlag bringt, zu einer so gediegenen und
gehaltvollen Persönlichkeit, als welche sie als Gattin Türckheim's und als Mutter
ihrer Kinder erscheint und namentlich in ihren späteren inhaltreichen und auch
stilistisch vortrefflichen Briefen uns entgegentritt, sich entfaltet haben, wenn nicht
die Knospe darnach geartet gewesen wäre. Sicherlich stand Lili geistig über
ihrer Umgebung und faßte Goethe's ganzes Wesen nobler auf als ihre Mutter
und ihre Brüder. Das wird Goethe recht wohl empfunden haben. Aber mehr
als das, mehr auch als ihre bezaubernde Schönheit war es doch etwas andres,
was ihn anzog und, trotz all' seiner Furcht, sich für die Dauer zu binden, ihn
immer wieder zu ihr zurückführte: ihre Gradheit und ihre natürliche Herzens¬
güte. Diese Seite ihres Wesens ist es, die er in den kleinen Liedern, welche
er auf sie gesungen, nicht müde wird zu preisen. "Dieser Blick voll Treu
und Güte" -- "Wo du Engel bist, ist Lieb und Güte, wo du bist, Natur" --
Findst doch uur wahre Freud und Ruh bei Seelen, grad und treu wie du"
-- so klingt es aller Orten uns daraus entgegen. Und fast schöner noch als
in jenen Versen hat er sie verherrlicht in den simplen, frommen paar Zeilen,


Sache selbst und der Rolle, die sie dabei gespielt, eine größere Wichtigkeit ver¬
liehen hatte, bis sie endlich indirekt durch Goethe aufgefordert wurde, ihre
Reminiszenzen zu Papiere zu bringen. Von einer „Freundschaft" zwischen Lili
und Fran v. Egloffstein kann nicht die Rede sein. Wenn jemand in Erlangen
„Abneigung vor neuen Bekanntschaften" hatte, so war es vor allen Frau
v, Türckheim; nimmermehr Hütte sie, die ruhige, besonnene, zurückhaltende Frau,
einer Fremden, mit der sie vorübergehend bekannt geworden, derartige Herzens-
ergießungen gemacht. Aber auch der Inhalt der Bekenntnisse selbst widerspricht
allem, was wir sonst über Lili's Herzensgeschichte wissen und schließen dürfen.

Ohne Zweifel wird Goethe auf die geistige Entwickelung Lili's Einfluß,
nachhaltigen Einfluß gehabt haben. Er selbst äußerte 1815 gegen Boisseree,
„sie habe ihm den größten Theil ihrer höheren Bildung zu danken". In zar¬
tester Jugend trat sie ihm gegenüber, keusch, zögernd, und daher wohl manchmal
scheinbar streng und spröde. Oft, wenn er sie glühender, leidenschaftlicher
wünschte, mochten ihn Zweifel beschleichen, ob sie auch im Stande sei, ihn
völlig zu würdigen und zu verstehen. Auguste Stolberg, der er Anfang September
1775 derartige Zweifel brieflich ausgesprochen, beruhigte ihn deshalb, und er
antwortet ihr: „Dein gut Wort würckte in mir, da sprachs ans einmal in mir,
sollt's nicht übermüsiger Stolz seyn zu verlangen, dass dich ganz das Mädgen
erkennte und so erkennend liebte, erkenn ich sie vielleicht auch nicht, und da sie
anders ist wie ich, ist sie nicht vielleicht besser." Auf keinen Fall aber würde
Lili, auch wenn man Goethe's Einfluß und den reifenden Einfluß der Jahre
und ihrer Erlebnisse gebührend in Anschlag bringt, zu einer so gediegenen und
gehaltvollen Persönlichkeit, als welche sie als Gattin Türckheim's und als Mutter
ihrer Kinder erscheint und namentlich in ihren späteren inhaltreichen und auch
stilistisch vortrefflichen Briefen uns entgegentritt, sich entfaltet haben, wenn nicht
die Knospe darnach geartet gewesen wäre. Sicherlich stand Lili geistig über
ihrer Umgebung und faßte Goethe's ganzes Wesen nobler auf als ihre Mutter
und ihre Brüder. Das wird Goethe recht wohl empfunden haben. Aber mehr
als das, mehr auch als ihre bezaubernde Schönheit war es doch etwas andres,
was ihn anzog und, trotz all' seiner Furcht, sich für die Dauer zu binden, ihn
immer wieder zu ihr zurückführte: ihre Gradheit und ihre natürliche Herzens¬
güte. Diese Seite ihres Wesens ist es, die er in den kleinen Liedern, welche
er auf sie gesungen, nicht müde wird zu preisen. „Dieser Blick voll Treu
und Güte" — „Wo du Engel bist, ist Lieb und Güte, wo du bist, Natur" —
Findst doch uur wahre Freud und Ruh bei Seelen, grad und treu wie du"
— so klingt es aller Orten uns daraus entgegen. Und fast schöner noch als
in jenen Versen hat er sie verherrlicht in den simplen, frommen paar Zeilen,


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[0413] Sache selbst und der Rolle, die sie dabei gespielt, eine größere Wichtigkeit ver¬ liehen hatte, bis sie endlich indirekt durch Goethe aufgefordert wurde, ihre Reminiszenzen zu Papiere zu bringen. Von einer „Freundschaft" zwischen Lili und Fran v. Egloffstein kann nicht die Rede sein. Wenn jemand in Erlangen „Abneigung vor neuen Bekanntschaften" hatte, so war es vor allen Frau v, Türckheim; nimmermehr Hütte sie, die ruhige, besonnene, zurückhaltende Frau, einer Fremden, mit der sie vorübergehend bekannt geworden, derartige Herzens- ergießungen gemacht. Aber auch der Inhalt der Bekenntnisse selbst widerspricht allem, was wir sonst über Lili's Herzensgeschichte wissen und schließen dürfen. Ohne Zweifel wird Goethe auf die geistige Entwickelung Lili's Einfluß, nachhaltigen Einfluß gehabt haben. Er selbst äußerte 1815 gegen Boisseree, „sie habe ihm den größten Theil ihrer höheren Bildung zu danken". In zar¬ tester Jugend trat sie ihm gegenüber, keusch, zögernd, und daher wohl manchmal scheinbar streng und spröde. Oft, wenn er sie glühender, leidenschaftlicher wünschte, mochten ihn Zweifel beschleichen, ob sie auch im Stande sei, ihn völlig zu würdigen und zu verstehen. Auguste Stolberg, der er Anfang September 1775 derartige Zweifel brieflich ausgesprochen, beruhigte ihn deshalb, und er antwortet ihr: „Dein gut Wort würckte in mir, da sprachs ans einmal in mir, sollt's nicht übermüsiger Stolz seyn zu verlangen, dass dich ganz das Mädgen erkennte und so erkennend liebte, erkenn ich sie vielleicht auch nicht, und da sie anders ist wie ich, ist sie nicht vielleicht besser." Auf keinen Fall aber würde Lili, auch wenn man Goethe's Einfluß und den reifenden Einfluß der Jahre und ihrer Erlebnisse gebührend in Anschlag bringt, zu einer so gediegenen und gehaltvollen Persönlichkeit, als welche sie als Gattin Türckheim's und als Mutter ihrer Kinder erscheint und namentlich in ihren späteren inhaltreichen und auch stilistisch vortrefflichen Briefen uns entgegentritt, sich entfaltet haben, wenn nicht die Knospe darnach geartet gewesen wäre. Sicherlich stand Lili geistig über ihrer Umgebung und faßte Goethe's ganzes Wesen nobler auf als ihre Mutter und ihre Brüder. Das wird Goethe recht wohl empfunden haben. Aber mehr als das, mehr auch als ihre bezaubernde Schönheit war es doch etwas andres, was ihn anzog und, trotz all' seiner Furcht, sich für die Dauer zu binden, ihn immer wieder zu ihr zurückführte: ihre Gradheit und ihre natürliche Herzens¬ güte. Diese Seite ihres Wesens ist es, die er in den kleinen Liedern, welche er auf sie gesungen, nicht müde wird zu preisen. „Dieser Blick voll Treu und Güte" — „Wo du Engel bist, ist Lieb und Güte, wo du bist, Natur" — Findst doch uur wahre Freud und Ruh bei Seelen, grad und treu wie du" — so klingt es aller Orten uns daraus entgegen. Und fast schöner noch als in jenen Versen hat er sie verherrlicht in den simplen, frommen paar Zeilen,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673/413>, abgerufen am 27.11.2024.