Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal.gehabt, nach Sesenheim zu gehen und Friederiken wieder gegenüberzutreten. Viel später, im Jahre 1801 empfahl Lili einmal einen jungen Straßburger, gehabt, nach Sesenheim zu gehen und Friederiken wieder gegenüberzutreten. Viel später, im Jahre 1801 empfahl Lili einmal einen jungen Straßburger, <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0411" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/142908"/> <p xml:id="ID_1211" prev="#ID_1210"> gehabt, nach Sesenheim zu gehen und Friederiken wieder gegenüberzutreten.<lb/> Wie ihn dorthin das Bedürfniß geführt hatte, die volle Ruhe seiner Seele her¬<lb/> zustellen, um „wieder mit Zufriedenheit an dies Eckchen der Welt hindeuten" zu<lb/> können, so leitete ihn gewiß auch hier der Wunsch, die letzten Schatten, einer<lb/> peinlichen Erinnerung zu verscheuchen. Türckheim war verreist, dagegen war<lb/> Lili's Mutter aus Frankfurt da. Goethe berichtete selbst über diese Begegnung<lb/> an Frau von Stein: „Ich ging zu Lili und fand den schönen Grasaffen mit<lb/> einer Puppe von sieben Wochen spielen und ihre Mutter bei ihr. Auch da<lb/> wurde ich mit Verwunderung und Freude empfangen. Erkundigte mich nach<lb/> Allem und sah in alle Ecken. Da ich denn zu meinem Ergetzen fand, daß die<lb/> gute Kreatur recht glücklich verheirathet ist. Ihr Mann, aus Allem, was ich<lb/> höre, scheint brav, vernünftig und beschäftigt zu sein, er ist wohlhabend, ein<lb/> schönes Haus, ansehnliche Familie, einen stattlichen bürgerlichen Rang etc. Alles<lb/> was sie braucht etc. Er war abwesend. Ich blieb zu Tische. — Abends aß<lb/> ich wieder bei Lili und ging in schönem Mondschein weg. Die schöne Empfin¬<lb/> dung, die mich begleitet, kann ich nicht sagen. So prosaisch ich nun init diesen<lb/> Menschen bin, so ist doch in dem Gefühl von durchgehenden, reinem Wohl¬<lb/> wollen, und wie ich diesen Weg hier gleichsam einen Rosenkranz der treuesten,<lb/> bewährtesten, unauslöschlichsten Freundschaft abgebetet habe, eine reine, ätherische<lb/> Wollust. Ungetrübt von einer beschränkten Leidenschaft, treten nur in meine<lb/> Seele die Verhältnisse zu den Menschen, die bleibend sind." Die letzten Zeilen<lb/> beziehen sich zugleich und wohl vor allem auf das Sesenheimer Pfarrhaus.</p><lb/> <p xml:id="ID_1212" next="#ID_1213"> Viel später, im Jahre 1801 empfahl Lili einmal einen jungen Straßburger,<lb/> der nach Weimar ging, an Goethe. Darauf erhielt sie eine Antwort vom<lb/> 30. März 1801, — den einzigen Brief Goethe's, den sie besaß und pietätvoll<lb/> aufbewahrte. Interessant vor allem ist der Eingang des Briefes, der folgender¬<lb/> maßen lautet: „Nach so langer Zeit einen Brief von Ihrer Hand, verehrte<lb/> Freundin, zu erhalten, war mir eine sehr angenehme Erscheinung. Schon vor<lb/> einigen Jahren versicherte mich Frau von Egloffstein, daß Sie meiner während<lb/> ihres Aufenthalts in Deutschland manchmal gedacht hätten, ich freute mich<lb/> herzlich darüber in Erinnerung früherer Verhältnisse." Diese Stelle ist aus<lb/> folgenden Gründen von Wichtigkeit. Frau von Egloffstein, die spätere Frau von<lb/> Veaulieu-Marconnay, lebte 1794 in Erlangen und kam dort unzweifelhaft mit<lb/> Lili in Berührung. Nun hat diese Dame 36 Jahre später, angeblich auf eine<lb/> an sie ergangene Aufforderung hin, „dasjenige, was sich in Bezug auf eine der<lb/> edelsten Frauen ihrem Gedächtniß unauslöschlich eingeprägt habe", schriftlich<lb/> mitzutheilen, sich bewogen gesehn, einen längeren Bericht über ihre Begegnung<lb/> mit Lili niederzuschreiben. Derselbe ist 1869 zuerst in den „Grenzboten" ver¬<lb/> öffentlicht und seitdem mehrfach zur Beurtheilung von Goethe's Verhältniß zu</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0411]
gehabt, nach Sesenheim zu gehen und Friederiken wieder gegenüberzutreten.
Wie ihn dorthin das Bedürfniß geführt hatte, die volle Ruhe seiner Seele her¬
zustellen, um „wieder mit Zufriedenheit an dies Eckchen der Welt hindeuten" zu
können, so leitete ihn gewiß auch hier der Wunsch, die letzten Schatten, einer
peinlichen Erinnerung zu verscheuchen. Türckheim war verreist, dagegen war
Lili's Mutter aus Frankfurt da. Goethe berichtete selbst über diese Begegnung
an Frau von Stein: „Ich ging zu Lili und fand den schönen Grasaffen mit
einer Puppe von sieben Wochen spielen und ihre Mutter bei ihr. Auch da
wurde ich mit Verwunderung und Freude empfangen. Erkundigte mich nach
Allem und sah in alle Ecken. Da ich denn zu meinem Ergetzen fand, daß die
gute Kreatur recht glücklich verheirathet ist. Ihr Mann, aus Allem, was ich
höre, scheint brav, vernünftig und beschäftigt zu sein, er ist wohlhabend, ein
schönes Haus, ansehnliche Familie, einen stattlichen bürgerlichen Rang etc. Alles
was sie braucht etc. Er war abwesend. Ich blieb zu Tische. — Abends aß
ich wieder bei Lili und ging in schönem Mondschein weg. Die schöne Empfin¬
dung, die mich begleitet, kann ich nicht sagen. So prosaisch ich nun init diesen
Menschen bin, so ist doch in dem Gefühl von durchgehenden, reinem Wohl¬
wollen, und wie ich diesen Weg hier gleichsam einen Rosenkranz der treuesten,
bewährtesten, unauslöschlichsten Freundschaft abgebetet habe, eine reine, ätherische
Wollust. Ungetrübt von einer beschränkten Leidenschaft, treten nur in meine
Seele die Verhältnisse zu den Menschen, die bleibend sind." Die letzten Zeilen
beziehen sich zugleich und wohl vor allem auf das Sesenheimer Pfarrhaus.
Viel später, im Jahre 1801 empfahl Lili einmal einen jungen Straßburger,
der nach Weimar ging, an Goethe. Darauf erhielt sie eine Antwort vom
30. März 1801, — den einzigen Brief Goethe's, den sie besaß und pietätvoll
aufbewahrte. Interessant vor allem ist der Eingang des Briefes, der folgender¬
maßen lautet: „Nach so langer Zeit einen Brief von Ihrer Hand, verehrte
Freundin, zu erhalten, war mir eine sehr angenehme Erscheinung. Schon vor
einigen Jahren versicherte mich Frau von Egloffstein, daß Sie meiner während
ihres Aufenthalts in Deutschland manchmal gedacht hätten, ich freute mich
herzlich darüber in Erinnerung früherer Verhältnisse." Diese Stelle ist aus
folgenden Gründen von Wichtigkeit. Frau von Egloffstein, die spätere Frau von
Veaulieu-Marconnay, lebte 1794 in Erlangen und kam dort unzweifelhaft mit
Lili in Berührung. Nun hat diese Dame 36 Jahre später, angeblich auf eine
an sie ergangene Aufforderung hin, „dasjenige, was sich in Bezug auf eine der
edelsten Frauen ihrem Gedächtniß unauslöschlich eingeprägt habe", schriftlich
mitzutheilen, sich bewogen gesehn, einen längeren Bericht über ihre Begegnung
mit Lili niederzuschreiben. Derselbe ist 1869 zuerst in den „Grenzboten" ver¬
öffentlicht und seitdem mehrfach zur Beurtheilung von Goethe's Verhältniß zu
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