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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal.

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einem Korb auf dem Kopfe, ihren kleinen Heinrich in ein Tuch gebunden auf
dem Rücken tragend und ihr Töchterchen an der Hand, schlug den Weg nach
der Brücke ein, während ich mit den drei älteren Knaben einen Fußpfad
wählte, der uns an die Saar führen könnte. Zufällig war es gerade ein
Pfad, der auf einen seichtem Badeplatz am Fluß auslief, und so kamen wir,
ohne Aussehen bei den zahlreichen Vorposten zu erregen, glücklich über die
Saar. Indem Frau von Türckheim auf die Brücke zuging, begegnete ihr ein
Trupp zügelloser republikanischer Soldaten, die sich anschickten, die schöne
Bäuerin mit Neckereien anzuhalten. Durch ihre Entschlossenheit und Geistes¬
gegenwart rettete sie sich aus der wirklich ernsten Gefahr, erkannt und ver¬
haftet zu werden. Mit den Worten: Lst-it ckiZus as dra.of8 solägts
ä'insultsr g-insi uns irwrs as es-nuits! schritt sie mitten durch die rohen
Menschen und eilte den deutschen Vorposten zu."

Im nächsten Dorfe vereinigte sich die kleine Karawane wieder, und ein
preußischer Rittmeister, dem sich Lili zu erkennen gab, und der zufällig zuvor
in Frankfurt gewesen war und dort die Familie Schönemann kennen gelernt
hatte, sorgte sür einen Wagen, in dem die Reise weiter fortgesetzt wurde. Nach
mehreren Tagereisen gelangten sie alle nach Mannheim, wo Lili unter Freuden¬
thränen den geretteten Gatten wiederfand. Die Familie ging dann auf einige
Wochen nach Frankfurt und von dort nach Erlangen, damit die Kinder in der
kleinen Universitätsstadt ungestört ihren Unterricht wieder aufnehmen könnten,
auch Freund Redslob feine Studien nicht zu lange zu unterbrechen brauchte.
In Erlangen lebte Lili sehr zurückgezogen; sie richtete sich mit knappen Mitteln
häuslich ein, besorgte ihr kleines Hauswesen mit eiuer einzigen Dienerin, nahm
aber doch noch einen armen flüchtigen Straßburger Studenten bei sich auf,
und fo war die Familie froh und zufrieden trotz mancher Sorgen und Ent¬
behrungen, mit denen sie zu kämpfen hatte.

Als in Frankreich geordnete Zustände zurückkehrten, erging auch an Türck¬
heim der Ruf, seine frühere Stellung wieder zu übernehmen, und er folgte
diesem Rufe im September 1794; einige Wochen später kam ihm Lili nach,
und beide wurden von Freunden und Bekannten mit Jubel und von der Be¬
völkerung mit dem freundlichsten Wohlwollen empfangen. Die Revolution
hatte freilich den größten Theil ihres Vermögens verschlungen. Aber in wenigen
Jahren wußte Türckheim, unterstützt durch Lili's klugen Rath und ihre ver¬
ständige Haushaltung, den verlorenen Wohlstand wiederzugewinnen. Wieder
berief ihn das Vertrauen seiner Mitbürger in öffentliche Aemter, lange Jahre
hindurch hat er der französischen Volksvertretung angehört, und.es wäre ihm
nicht möglich gewesen, neben seinem rasch wieder aufblühenden Geschäft fort
und fort dem öffentlichen Wohle seine Kräfte zu widmen, wenn er nicht in


einem Korb auf dem Kopfe, ihren kleinen Heinrich in ein Tuch gebunden auf
dem Rücken tragend und ihr Töchterchen an der Hand, schlug den Weg nach
der Brücke ein, während ich mit den drei älteren Knaben einen Fußpfad
wählte, der uns an die Saar führen könnte. Zufällig war es gerade ein
Pfad, der auf einen seichtem Badeplatz am Fluß auslief, und so kamen wir,
ohne Aussehen bei den zahlreichen Vorposten zu erregen, glücklich über die
Saar. Indem Frau von Türckheim auf die Brücke zuging, begegnete ihr ein
Trupp zügelloser republikanischer Soldaten, die sich anschickten, die schöne
Bäuerin mit Neckereien anzuhalten. Durch ihre Entschlossenheit und Geistes¬
gegenwart rettete sie sich aus der wirklich ernsten Gefahr, erkannt und ver¬
haftet zu werden. Mit den Worten: Lst-it ckiZus as dra.of8 solägts
ä'insultsr g-insi uns irwrs as es-nuits! schritt sie mitten durch die rohen
Menschen und eilte den deutschen Vorposten zu."

Im nächsten Dorfe vereinigte sich die kleine Karawane wieder, und ein
preußischer Rittmeister, dem sich Lili zu erkennen gab, und der zufällig zuvor
in Frankfurt gewesen war und dort die Familie Schönemann kennen gelernt
hatte, sorgte sür einen Wagen, in dem die Reise weiter fortgesetzt wurde. Nach
mehreren Tagereisen gelangten sie alle nach Mannheim, wo Lili unter Freuden¬
thränen den geretteten Gatten wiederfand. Die Familie ging dann auf einige
Wochen nach Frankfurt und von dort nach Erlangen, damit die Kinder in der
kleinen Universitätsstadt ungestört ihren Unterricht wieder aufnehmen könnten,
auch Freund Redslob feine Studien nicht zu lange zu unterbrechen brauchte.
In Erlangen lebte Lili sehr zurückgezogen; sie richtete sich mit knappen Mitteln
häuslich ein, besorgte ihr kleines Hauswesen mit eiuer einzigen Dienerin, nahm
aber doch noch einen armen flüchtigen Straßburger Studenten bei sich auf,
und fo war die Familie froh und zufrieden trotz mancher Sorgen und Ent¬
behrungen, mit denen sie zu kämpfen hatte.

Als in Frankreich geordnete Zustände zurückkehrten, erging auch an Türck¬
heim der Ruf, seine frühere Stellung wieder zu übernehmen, und er folgte
diesem Rufe im September 1794; einige Wochen später kam ihm Lili nach,
und beide wurden von Freunden und Bekannten mit Jubel und von der Be¬
völkerung mit dem freundlichsten Wohlwollen empfangen. Die Revolution
hatte freilich den größten Theil ihres Vermögens verschlungen. Aber in wenigen
Jahren wußte Türckheim, unterstützt durch Lili's klugen Rath und ihre ver¬
ständige Haushaltung, den verlorenen Wohlstand wiederzugewinnen. Wieder
berief ihn das Vertrauen seiner Mitbürger in öffentliche Aemter, lange Jahre
hindurch hat er der französischen Volksvertretung angehört, und.es wäre ihm
nicht möglich gewesen, neben seinem rasch wieder aufblühenden Geschäft fort
und fort dem öffentlichen Wohle seine Kräfte zu widmen, wenn er nicht in


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673/408>, abgerufen am 28.07.2024.