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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal.

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mich so ängstigenden Trübsinn, daß ich nichts zu sagen weiß. Hätten Sie doch
einen der glücklichen Tage, die ich bis heute hier lebte, unter uns verleben
können, o das würde Ihnen unendlich mehr glückliche Stimmung gegeben haben
als alles was wir Ihnen sagen können." Der zweite Brief Lavater's lautet:
"Die Hand, die diese Zeilen schreibt trocknete gern, dann und wann, eine Thräne
von dem sanften Auge der edeln lieben Türckheim, drückte gern dann und wann
ihre sinkende Linke mit dem Bruderworte: Es ist Ehre Tragen zu können,
zu wollen, zu ertragen; das Unveränderliche anbehtend leiden, das Erträgliche
schweichend dulden, in jeder Nacht des nie ausbleibenden Morgens harren, in
seinem Kreise sauftest, ernst, froh wirken und durch's Missen zum Genießen
sich erheben."

Diese Briefe zeigen, daß Lili damals längere Zeit bekümmert und trost¬
bedürftig war, und daß sie gegen Lavater ihr Herz ausgeschüttet hatte. Leider
unterdrückt Graf Dürckheim jede erläuternde Bemerkung zu diesen Dokumenten,
und doch bedürften sie umsoniehr eines Kommentars, da ihr Inhalt auch in
dem zusammenhängenden Texte des Herausgebers absolut unberücksichtigt ge¬
blieben ist. Sicherlich werden manche geneigt sein, aus den Briefen heraus¬
zulesen, daß Lili den Schmerz über die Trennung von Goethe niemals recht
habe verwinden können und in ihrer Ehe im Grunde nicht glücklich gewesen
sei/) Gleichwohl sehlt es an allen Spuren, die eine solche Annahme bestätigen
könnten. Jedenfalls bleiben die Briefe bis auf weiteres räthselhaft, und es
wäre wünschenswert!), daß der Herausgeber, der offenbar nichts auffülliges
und seiner sonstigen Darstellung widersprechendes in ihnen gefunden hat, nach¬
träglich eine Aufklärung darüber gäbe.

Ein schweres Ungewitter brach mit dem Beginn der französischen Revo¬
lution über Lili und ihre Familie herein. Türckheim, der bei seinen Mitbür¬
gern die höchste Achtung und das vollste Vertrauen genoß und im öffentlichen
Leben eine von Jahr zu Jahr bedeutender werdende Rolle spielte, wurde 1792
auf den schwierigen Posten des Maire von Straßburg berufen. Er bemühte
sich in dieser Stellung, die wachsende Aufregung der Massen zu besänftigen,
trat muthig deu ihm drohenden Gefahren entgegen, und es gelang ihm auch,
in den ersten Monaten Ruhe und Eintracht zu erhalten. Auch Lili hielt tapfer
an der Seite ihres Gatten aus, während ihr Bruder vor der nahenden Ge¬
fahr nach Frankfurt zurückgekehrt war.

Da, am 20. Januar 1793, wurde Tiirckheim dnrch das Oomitö 6s "Me
xrrblie seines Amtes entsetzt und aus Straßburg verbannt. Er wich der Ge-



*) F. v. Weech in dein schon zitirten Aufsätze in "Nord und Sud" will in der That
die Briefe so auffassen.

mich so ängstigenden Trübsinn, daß ich nichts zu sagen weiß. Hätten Sie doch
einen der glücklichen Tage, die ich bis heute hier lebte, unter uns verleben
können, o das würde Ihnen unendlich mehr glückliche Stimmung gegeben haben
als alles was wir Ihnen sagen können." Der zweite Brief Lavater's lautet:
„Die Hand, die diese Zeilen schreibt trocknete gern, dann und wann, eine Thräne
von dem sanften Auge der edeln lieben Türckheim, drückte gern dann und wann
ihre sinkende Linke mit dem Bruderworte: Es ist Ehre Tragen zu können,
zu wollen, zu ertragen; das Unveränderliche anbehtend leiden, das Erträgliche
schweichend dulden, in jeder Nacht des nie ausbleibenden Morgens harren, in
seinem Kreise sauftest, ernst, froh wirken und durch's Missen zum Genießen
sich erheben."

Diese Briefe zeigen, daß Lili damals längere Zeit bekümmert und trost¬
bedürftig war, und daß sie gegen Lavater ihr Herz ausgeschüttet hatte. Leider
unterdrückt Graf Dürckheim jede erläuternde Bemerkung zu diesen Dokumenten,
und doch bedürften sie umsoniehr eines Kommentars, da ihr Inhalt auch in
dem zusammenhängenden Texte des Herausgebers absolut unberücksichtigt ge¬
blieben ist. Sicherlich werden manche geneigt sein, aus den Briefen heraus¬
zulesen, daß Lili den Schmerz über die Trennung von Goethe niemals recht
habe verwinden können und in ihrer Ehe im Grunde nicht glücklich gewesen
sei/) Gleichwohl sehlt es an allen Spuren, die eine solche Annahme bestätigen
könnten. Jedenfalls bleiben die Briefe bis auf weiteres räthselhaft, und es
wäre wünschenswert!), daß der Herausgeber, der offenbar nichts auffülliges
und seiner sonstigen Darstellung widersprechendes in ihnen gefunden hat, nach¬
träglich eine Aufklärung darüber gäbe.

Ein schweres Ungewitter brach mit dem Beginn der französischen Revo¬
lution über Lili und ihre Familie herein. Türckheim, der bei seinen Mitbür¬
gern die höchste Achtung und das vollste Vertrauen genoß und im öffentlichen
Leben eine von Jahr zu Jahr bedeutender werdende Rolle spielte, wurde 1792
auf den schwierigen Posten des Maire von Straßburg berufen. Er bemühte
sich in dieser Stellung, die wachsende Aufregung der Massen zu besänftigen,
trat muthig deu ihm drohenden Gefahren entgegen, und es gelang ihm auch,
in den ersten Monaten Ruhe und Eintracht zu erhalten. Auch Lili hielt tapfer
an der Seite ihres Gatten aus, während ihr Bruder vor der nahenden Ge¬
fahr nach Frankfurt zurückgekehrt war.

Da, am 20. Januar 1793, wurde Tiirckheim dnrch das Oomitö 6s «Me
xrrblie seines Amtes entsetzt und aus Straßburg verbannt. Er wich der Ge-



*) F. v. Weech in dein schon zitirten Aufsätze in „Nord und Sud" will in der That
die Briefe so auffassen.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673/406>, abgerufen am 28.07.2024.