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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal.

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Theater in sein Tagebuch: "Man macht da so elendes Zeug, als in Satler
Well, ein Kerl schrie eine Arie so fürchterlich und mit so extremen Grimassen,
daß ich am ganzen Leib zu schwitzen anfing. M. Er mußte die Arie wieder¬
holen. 0 öls bsstis!" Es lebte eben noch viel von den "englischen Reitern"
auch in diesen musikalisch-theatralischen Produktionen, und die Musik galt, dem
entsprechend, in England noch lange nicht als etwas, das zu den geistigen
Dingen gehörte. So ist es auch, obgleich Haydn selbst es nicht vernommen
zu haben glaubte, völlig glaubhaft, daß der rohe Mob auf der Galerie unter
Zischen und Pfeifen "Fiedler, Fiedler" geschrieen hatte, als das Orchester
Haydn, einen Künstler, und noch dazu einen Ausländer, bei seinem ersten
Erscheinen im Theater durch Aufstehen geehrt hatte. Von dieser seiner Ueber¬
zeugung über den Musiksinn der Engländer konnte einen Haydn natürlich auch
nicht die komische Erfahrung befreien, die er praktisch von seinem eigenen Ruhm
machte, wenn, wie Griesinger erzählt, zuweilen Engländer zu ihm traten, ihn
vom Kopf bis zum Fuß mit den Augen maßen und mit dem Ausrufe
MS a, AröÄt niW, verließen.

Noch ein anderer Umstand mochte dazu beitragen, daß er der österreichi¬
schen Heimat so unbedingt den Vorzug gab. Im August des Jahres 1794
war er in den Ruinen der alten Abtei Wawerley. "Ich muß gestehen," schrieb
er damals in sein Tagebuch, "daß, so oft ich diese schöne Wildniß betrachtete,
mein Herz beklemmt wurde, wenn ich daran dachte, daß alles dieses einst unter
meiner Religion stand." Der dauernde Aufenthalt unter Leuten anderer Kon¬
fession würde in diesen späten Lebensjahren den Empfindungen und Vorstel¬
lungen störend geworden sein, in die der einfache Mann fast zwei Menschen¬
alter hindurch sich aufs innigste eingelebt hatte. Es ist dies eine Sache des
persönlichen Gefühls und widerstreitet nicht der Duldsamkeit, die sonst auch in
religiösen Dingen der schönen Art seines Gemüthes entsprach. Ebenso sagte
seinem patriarchalischen Wesen gerade dasjenige nicht zu, was England groß
machte, die politische Freiheit. Während er von dem Vorzuge eines großen
freien Volkslebens kein Wort feige, kommt er auf das rohe Gebrüll und das
tolle Aufschreien des s^sol mob in London bei Festen und im Theater mehr¬
fach zu sprechen. Sozial genommen aber hing, trotz seinem lieben Oesterreich,
der Zopf auch den Engländern noch hinten; sind doch die Schranken, welche
die Stände trennten, noch heute bei ihnen unübersteigbar.

Sein Ruf in England mehrte sich freilich fort und fort. Er heißt jetzt
bereits ein "Genius, der keinem weicht", und dies -- bei Erwähnung einer
Aufführung des Hamlet, der er beigewohnt hatte. Sein schalkhafter Humor
nähert ihn allerdings dem großen englischen Tragiker: wenn auch nicht so tief
und zu Thränen erschütternd, stammt er doch unstreitig aus dem gleichen Quell


Theater in sein Tagebuch: „Man macht da so elendes Zeug, als in Satler
Well, ein Kerl schrie eine Arie so fürchterlich und mit so extremen Grimassen,
daß ich am ganzen Leib zu schwitzen anfing. M. Er mußte die Arie wieder¬
holen. 0 öls bsstis!" Es lebte eben noch viel von den „englischen Reitern"
auch in diesen musikalisch-theatralischen Produktionen, und die Musik galt, dem
entsprechend, in England noch lange nicht als etwas, das zu den geistigen
Dingen gehörte. So ist es auch, obgleich Haydn selbst es nicht vernommen
zu haben glaubte, völlig glaubhaft, daß der rohe Mob auf der Galerie unter
Zischen und Pfeifen „Fiedler, Fiedler" geschrieen hatte, als das Orchester
Haydn, einen Künstler, und noch dazu einen Ausländer, bei seinem ersten
Erscheinen im Theater durch Aufstehen geehrt hatte. Von dieser seiner Ueber¬
zeugung über den Musiksinn der Engländer konnte einen Haydn natürlich auch
nicht die komische Erfahrung befreien, die er praktisch von seinem eigenen Ruhm
machte, wenn, wie Griesinger erzählt, zuweilen Engländer zu ihm traten, ihn
vom Kopf bis zum Fuß mit den Augen maßen und mit dem Ausrufe
MS a, AröÄt niW, verließen.

Noch ein anderer Umstand mochte dazu beitragen, daß er der österreichi¬
schen Heimat so unbedingt den Vorzug gab. Im August des Jahres 1794
war er in den Ruinen der alten Abtei Wawerley. „Ich muß gestehen," schrieb
er damals in sein Tagebuch, „daß, so oft ich diese schöne Wildniß betrachtete,
mein Herz beklemmt wurde, wenn ich daran dachte, daß alles dieses einst unter
meiner Religion stand." Der dauernde Aufenthalt unter Leuten anderer Kon¬
fession würde in diesen späten Lebensjahren den Empfindungen und Vorstel¬
lungen störend geworden sein, in die der einfache Mann fast zwei Menschen¬
alter hindurch sich aufs innigste eingelebt hatte. Es ist dies eine Sache des
persönlichen Gefühls und widerstreitet nicht der Duldsamkeit, die sonst auch in
religiösen Dingen der schönen Art seines Gemüthes entsprach. Ebenso sagte
seinem patriarchalischen Wesen gerade dasjenige nicht zu, was England groß
machte, die politische Freiheit. Während er von dem Vorzuge eines großen
freien Volkslebens kein Wort feige, kommt er auf das rohe Gebrüll und das
tolle Aufschreien des s^sol mob in London bei Festen und im Theater mehr¬
fach zu sprechen. Sozial genommen aber hing, trotz seinem lieben Oesterreich,
der Zopf auch den Engländern noch hinten; sind doch die Schranken, welche
die Stände trennten, noch heute bei ihnen unübersteigbar.

Sein Ruf in England mehrte sich freilich fort und fort. Er heißt jetzt
bereits ein „Genius, der keinem weicht", und dies — bei Erwähnung einer
Aufführung des Hamlet, der er beigewohnt hatte. Sein schalkhafter Humor
nähert ihn allerdings dem großen englischen Tragiker: wenn auch nicht so tief
und zu Thränen erschütternd, stammt er doch unstreitig aus dem gleichen Quell


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[0371] Theater in sein Tagebuch: „Man macht da so elendes Zeug, als in Satler Well, ein Kerl schrie eine Arie so fürchterlich und mit so extremen Grimassen, daß ich am ganzen Leib zu schwitzen anfing. M. Er mußte die Arie wieder¬ holen. 0 öls bsstis!" Es lebte eben noch viel von den „englischen Reitern" auch in diesen musikalisch-theatralischen Produktionen, und die Musik galt, dem entsprechend, in England noch lange nicht als etwas, das zu den geistigen Dingen gehörte. So ist es auch, obgleich Haydn selbst es nicht vernommen zu haben glaubte, völlig glaubhaft, daß der rohe Mob auf der Galerie unter Zischen und Pfeifen „Fiedler, Fiedler" geschrieen hatte, als das Orchester Haydn, einen Künstler, und noch dazu einen Ausländer, bei seinem ersten Erscheinen im Theater durch Aufstehen geehrt hatte. Von dieser seiner Ueber¬ zeugung über den Musiksinn der Engländer konnte einen Haydn natürlich auch nicht die komische Erfahrung befreien, die er praktisch von seinem eigenen Ruhm machte, wenn, wie Griesinger erzählt, zuweilen Engländer zu ihm traten, ihn vom Kopf bis zum Fuß mit den Augen maßen und mit dem Ausrufe MS a, AröÄt niW, verließen. Noch ein anderer Umstand mochte dazu beitragen, daß er der österreichi¬ schen Heimat so unbedingt den Vorzug gab. Im August des Jahres 1794 war er in den Ruinen der alten Abtei Wawerley. „Ich muß gestehen," schrieb er damals in sein Tagebuch, „daß, so oft ich diese schöne Wildniß betrachtete, mein Herz beklemmt wurde, wenn ich daran dachte, daß alles dieses einst unter meiner Religion stand." Der dauernde Aufenthalt unter Leuten anderer Kon¬ fession würde in diesen späten Lebensjahren den Empfindungen und Vorstel¬ lungen störend geworden sein, in die der einfache Mann fast zwei Menschen¬ alter hindurch sich aufs innigste eingelebt hatte. Es ist dies eine Sache des persönlichen Gefühls und widerstreitet nicht der Duldsamkeit, die sonst auch in religiösen Dingen der schönen Art seines Gemüthes entsprach. Ebenso sagte seinem patriarchalischen Wesen gerade dasjenige nicht zu, was England groß machte, die politische Freiheit. Während er von dem Vorzuge eines großen freien Volkslebens kein Wort feige, kommt er auf das rohe Gebrüll und das tolle Aufschreien des s^sol mob in London bei Festen und im Theater mehr¬ fach zu sprechen. Sozial genommen aber hing, trotz seinem lieben Oesterreich, der Zopf auch den Engländern noch hinten; sind doch die Schranken, welche die Stände trennten, noch heute bei ihnen unübersteigbar. Sein Ruf in England mehrte sich freilich fort und fort. Er heißt jetzt bereits ein „Genius, der keinem weicht", und dies — bei Erwähnung einer Aufführung des Hamlet, der er beigewohnt hatte. Sein schalkhafter Humor nähert ihn allerdings dem großen englischen Tragiker: wenn auch nicht so tief und zu Thränen erschütternd, stammt er doch unstreitig aus dem gleichen Quell

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673/371>, abgerufen am 27.11.2024.