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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal.

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Ueberhaupt sind besonders hervorragende Nachrichten von diesem zweiten Auf¬
enthalte in London nicht vorhanden. Doch blieb sein Name diesmal von Ver¬
unglimpfungen verschont. Man fand seine Kräfte in ihrer Verwerthung wachsend
und erklärte eine neue Symphonie für sein bestes Werk. Auch durfte sein
Name auf keinem Konzertprogramme fehlen, und die Wiederholung seiner Stücke
war so häufig wie früher. "In Anmuth und Können, was ist ihm gleich?"
sagt das OiNLlö vom 10. März 1794.

Eine hübsche Anekdote aus dieser Zeit erzählte dem Biographen Haydn's
C. F. Pohl ("Mozart und Haydn in London, Wien 1867) noch 1866 der
90 jährige Sir G. Suard, der damals bei Salomon Violinspieler war. Es
fehlte bei der Probe des Konzertes an einem Paukenschläger. Haydn fragt:
"Ist niemand da, der Pauke schlagen kann?" "Ich kann's", erwiederte rasch
der junge Suard, der nie einen Schlägel in der Hand gehabt hatte, aber meinte,
es genüge der bloße richtige Takt. Nach dem ersten Satze geht Haydn zu ihm,
lobt ihn, meint aber, die in Deutschland gebrauchten die Schlägel so, daß die
Schwingung des Felles nicht gehemmt sei. Zugleich nimmt er selbst den
Schlägel und zeigt dem Orchester ein ganz neues Talent. "Sehr wohl," be¬
merkt unerschrocken der junge Suard, "wenn Sie es lieber so haben, wir können
dies in England auch."

Am 12. Mai 1794 wurde ein Liebling aller Haydnfreunde zum ersten
Mal aufgeführt, die "Militärsymphonie", strotzend von fröhlichem Uebermuth
und jovialer, oft auch innig humoristischer Laune. Nicht lange darauf erhielt
er die Nachricht, der neue Fürst Nicolaus wolle die Kapelle in Eisenstabe
wieder errichten und habe ihn aufs neue zu seinem Kapellmeister ernannt.
Haydn nahm diese Nachricht "mit größtem Vergnügen" auf. Hatte doch dieses
Fürstenhaus ihm sicheres Brod und, was jetzt fast mehr werth erschien, Gele¬
genheit gegeben, sein Können als Komponist völlig auszubilden! Zwar über¬
stieg seine Einnahme hier in London bei weitem die Besoldung im Vaterlande,
und man strebte geradezu darnach, ihn ganz an England zu fesseln. Trotzdem
beschloß er, sobald er seine eingegangenen Verpflichtungen erfüllt haben würde,
in der That, in die alte Stellung zurückzukehren.

Ein im Stillen, aber stark mitwirkender Grund mag dabei derselbe gewesen
sein, der heute noch F. Lißt, wo immer er auch weile, stets wieder für längere
Zeit zu Deutschen treibt: es ist das Fluidum der Musik selbst, das bei uns
sozusagen das ganze Dasein in allen seinen Fasern durchzieht, und in dessen
Thau unser tieferes Fühlen stets wieder "gesund sich badet". Trotz der
ausgezeichneten Leistungen der Kapelle und der Virtuosen in London, die
zum größeren Theil ebenfalls Deutsche waren, fand der Meister London und
England doch nicht eigentlich "musikalisch". Eben damals schrieb er von einem


Ueberhaupt sind besonders hervorragende Nachrichten von diesem zweiten Auf¬
enthalte in London nicht vorhanden. Doch blieb sein Name diesmal von Ver¬
unglimpfungen verschont. Man fand seine Kräfte in ihrer Verwerthung wachsend
und erklärte eine neue Symphonie für sein bestes Werk. Auch durfte sein
Name auf keinem Konzertprogramme fehlen, und die Wiederholung seiner Stücke
war so häufig wie früher. „In Anmuth und Können, was ist ihm gleich?"
sagt das OiNLlö vom 10. März 1794.

Eine hübsche Anekdote aus dieser Zeit erzählte dem Biographen Haydn's
C. F. Pohl („Mozart und Haydn in London, Wien 1867) noch 1866 der
90 jährige Sir G. Suard, der damals bei Salomon Violinspieler war. Es
fehlte bei der Probe des Konzertes an einem Paukenschläger. Haydn fragt:
„Ist niemand da, der Pauke schlagen kann?" „Ich kann's", erwiederte rasch
der junge Suard, der nie einen Schlägel in der Hand gehabt hatte, aber meinte,
es genüge der bloße richtige Takt. Nach dem ersten Satze geht Haydn zu ihm,
lobt ihn, meint aber, die in Deutschland gebrauchten die Schlägel so, daß die
Schwingung des Felles nicht gehemmt sei. Zugleich nimmt er selbst den
Schlägel und zeigt dem Orchester ein ganz neues Talent. „Sehr wohl," be¬
merkt unerschrocken der junge Suard, „wenn Sie es lieber so haben, wir können
dies in England auch."

Am 12. Mai 1794 wurde ein Liebling aller Haydnfreunde zum ersten
Mal aufgeführt, die „Militärsymphonie", strotzend von fröhlichem Uebermuth
und jovialer, oft auch innig humoristischer Laune. Nicht lange darauf erhielt
er die Nachricht, der neue Fürst Nicolaus wolle die Kapelle in Eisenstabe
wieder errichten und habe ihn aufs neue zu seinem Kapellmeister ernannt.
Haydn nahm diese Nachricht „mit größtem Vergnügen" auf. Hatte doch dieses
Fürstenhaus ihm sicheres Brod und, was jetzt fast mehr werth erschien, Gele¬
genheit gegeben, sein Können als Komponist völlig auszubilden! Zwar über¬
stieg seine Einnahme hier in London bei weitem die Besoldung im Vaterlande,
und man strebte geradezu darnach, ihn ganz an England zu fesseln. Trotzdem
beschloß er, sobald er seine eingegangenen Verpflichtungen erfüllt haben würde,
in der That, in die alte Stellung zurückzukehren.

Ein im Stillen, aber stark mitwirkender Grund mag dabei derselbe gewesen
sein, der heute noch F. Lißt, wo immer er auch weile, stets wieder für längere
Zeit zu Deutschen treibt: es ist das Fluidum der Musik selbst, das bei uns
sozusagen das ganze Dasein in allen seinen Fasern durchzieht, und in dessen
Thau unser tieferes Fühlen stets wieder „gesund sich badet". Trotz der
ausgezeichneten Leistungen der Kapelle und der Virtuosen in London, die
zum größeren Theil ebenfalls Deutsche waren, fand der Meister London und
England doch nicht eigentlich „musikalisch". Eben damals schrieb er von einem


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[0370] Ueberhaupt sind besonders hervorragende Nachrichten von diesem zweiten Auf¬ enthalte in London nicht vorhanden. Doch blieb sein Name diesmal von Ver¬ unglimpfungen verschont. Man fand seine Kräfte in ihrer Verwerthung wachsend und erklärte eine neue Symphonie für sein bestes Werk. Auch durfte sein Name auf keinem Konzertprogramme fehlen, und die Wiederholung seiner Stücke war so häufig wie früher. „In Anmuth und Können, was ist ihm gleich?" sagt das OiNLlö vom 10. März 1794. Eine hübsche Anekdote aus dieser Zeit erzählte dem Biographen Haydn's C. F. Pohl („Mozart und Haydn in London, Wien 1867) noch 1866 der 90 jährige Sir G. Suard, der damals bei Salomon Violinspieler war. Es fehlte bei der Probe des Konzertes an einem Paukenschläger. Haydn fragt: „Ist niemand da, der Pauke schlagen kann?" „Ich kann's", erwiederte rasch der junge Suard, der nie einen Schlägel in der Hand gehabt hatte, aber meinte, es genüge der bloße richtige Takt. Nach dem ersten Satze geht Haydn zu ihm, lobt ihn, meint aber, die in Deutschland gebrauchten die Schlägel so, daß die Schwingung des Felles nicht gehemmt sei. Zugleich nimmt er selbst den Schlägel und zeigt dem Orchester ein ganz neues Talent. „Sehr wohl," be¬ merkt unerschrocken der junge Suard, „wenn Sie es lieber so haben, wir können dies in England auch." Am 12. Mai 1794 wurde ein Liebling aller Haydnfreunde zum ersten Mal aufgeführt, die „Militärsymphonie", strotzend von fröhlichem Uebermuth und jovialer, oft auch innig humoristischer Laune. Nicht lange darauf erhielt er die Nachricht, der neue Fürst Nicolaus wolle die Kapelle in Eisenstabe wieder errichten und habe ihn aufs neue zu seinem Kapellmeister ernannt. Haydn nahm diese Nachricht „mit größtem Vergnügen" auf. Hatte doch dieses Fürstenhaus ihm sicheres Brod und, was jetzt fast mehr werth erschien, Gele¬ genheit gegeben, sein Können als Komponist völlig auszubilden! Zwar über¬ stieg seine Einnahme hier in London bei weitem die Besoldung im Vaterlande, und man strebte geradezu darnach, ihn ganz an England zu fesseln. Trotzdem beschloß er, sobald er seine eingegangenen Verpflichtungen erfüllt haben würde, in der That, in die alte Stellung zurückzukehren. Ein im Stillen, aber stark mitwirkender Grund mag dabei derselbe gewesen sein, der heute noch F. Lißt, wo immer er auch weile, stets wieder für längere Zeit zu Deutschen treibt: es ist das Fluidum der Musik selbst, das bei uns sozusagen das ganze Dasein in allen seinen Fasern durchzieht, und in dessen Thau unser tieferes Fühlen stets wieder „gesund sich badet". Trotz der ausgezeichneten Leistungen der Kapelle und der Virtuosen in London, die zum größeren Theil ebenfalls Deutsche waren, fand der Meister London und England doch nicht eigentlich „musikalisch". Eben damals schrieb er von einem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673/370>, abgerufen am 27.11.2024.