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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal.

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daß man nach der Maxime, nicht mehr Ursachen zur Erklärung einer Erscheinung
anzunehmen, als unumgänglich nöthig ist, nur ein Wesen als Seelensubstanz
vorauszusetzen habe. Wir möchten hinzufügen, daß die Annahme mehrerer
immaterieller Wesen von vollkommener Gleichheit als Träger des individuellen
Seelenlebens das Verständniß desselben nur erschwert, wenn nicht unmöglich
macht. Wir müßten diese Wesen doch relativ selbständig denken, denn wäre
keines von ihnen selbständig, so läge auch nicht eine Mehrheit von Wesen vor.
Bei relativer Selbständigkeit würde aber auch immer eine relative Hemmung
entstehen, welche die Einheit des Bewußtseins stören würde. Das eine Wesen
würde schon das Bewußtsein der Thätigkeit haben, während das andre noch
im Bewußtsein der Ruhe wäre, bis sich, auch ihm die Thätigkeit mitgetheilt
hätte. Sollen aber die Zustände des einen Wesens sofort und unmittelbar
auch dieselben Zustände in den andern Wesen hevorrufen, so wäre man auf
die Hypothese eines Wesens gewiesen, das in einer Mehrheit von Seelen¬
faktoren sich verwirklichte. Diese Hypothese ist also nicht blos überflüssig,
sondern auch in sich widerspruchsvoll und durchaus unhaltbar, und wir müssen
daher bei der Annahme eines Seelenwesens für jede individuelle Persönlichkeit
stehen bleiben.

Dagegen -- und das ist die Wahrheit, die zu der von uns abgelehnten
Theorie durch Mißverständlich führen könnte -- die Seele ist wohl eine Einheit,
aber nicht, wie unsre Schrift behauptet, ein einfaches Wesen. Wir müssen uns
nur immer vergegenwärtigen, daß dem Einfachen in der Sphäre der Materie
allerdings das Zusammengesetzte gegenübersteht, nicht aber in der Sphäre des
immateriellen Seins. Und so ist auch die Seele kein einfaches, aber ebenso¬
wenig ein zusammengesetztes Wesen. Kein einfaches Wesen, denn ihr Leben
zeigt eine Mannigfaltigkeit von Zuständen und Thätigkeiten, die sich wohl
bedingen, aber nicht auf einander zurückgeführt werden können; kein zusammen¬
gesetztes Wesen, denn in allen Kräften, die ihren Inhalt bilden, erscheint und
verwirklicht sie sich selbst, bringt sie ihre eigene Natur zur Geltung. Sie ist
die formale Vereinigung einer realen Vielheit, in dieser findet jene ihren Inhalt,
in jener diese ihre Gestalt.

Nur in flüchtigen Umrissen hat Flügel die Beziehung der Seele zum Leibe
gezeichnet und dieselbe als Wechselwirkung bestimmt. Mit dem Hinweis darauf,
wie ein dem Stoffwechsel entnommenes Seelenwesen auch den Tod überdauern
könne, schließt die Schrift.

Neue und schwere Probleme der Forschung liegen hier; an sie heranzu¬
treten war uicht die Absicht dieses Aufsatzes. Dem Gedankengange unsrer
Schrift folgend wollten wir nur dem Materialismus gegenüber die Fundamente


daß man nach der Maxime, nicht mehr Ursachen zur Erklärung einer Erscheinung
anzunehmen, als unumgänglich nöthig ist, nur ein Wesen als Seelensubstanz
vorauszusetzen habe. Wir möchten hinzufügen, daß die Annahme mehrerer
immaterieller Wesen von vollkommener Gleichheit als Träger des individuellen
Seelenlebens das Verständniß desselben nur erschwert, wenn nicht unmöglich
macht. Wir müßten diese Wesen doch relativ selbständig denken, denn wäre
keines von ihnen selbständig, so läge auch nicht eine Mehrheit von Wesen vor.
Bei relativer Selbständigkeit würde aber auch immer eine relative Hemmung
entstehen, welche die Einheit des Bewußtseins stören würde. Das eine Wesen
würde schon das Bewußtsein der Thätigkeit haben, während das andre noch
im Bewußtsein der Ruhe wäre, bis sich, auch ihm die Thätigkeit mitgetheilt
hätte. Sollen aber die Zustände des einen Wesens sofort und unmittelbar
auch dieselben Zustände in den andern Wesen hevorrufen, so wäre man auf
die Hypothese eines Wesens gewiesen, das in einer Mehrheit von Seelen¬
faktoren sich verwirklichte. Diese Hypothese ist also nicht blos überflüssig,
sondern auch in sich widerspruchsvoll und durchaus unhaltbar, und wir müssen
daher bei der Annahme eines Seelenwesens für jede individuelle Persönlichkeit
stehen bleiben.

Dagegen — und das ist die Wahrheit, die zu der von uns abgelehnten
Theorie durch Mißverständlich führen könnte — die Seele ist wohl eine Einheit,
aber nicht, wie unsre Schrift behauptet, ein einfaches Wesen. Wir müssen uns
nur immer vergegenwärtigen, daß dem Einfachen in der Sphäre der Materie
allerdings das Zusammengesetzte gegenübersteht, nicht aber in der Sphäre des
immateriellen Seins. Und so ist auch die Seele kein einfaches, aber ebenso¬
wenig ein zusammengesetztes Wesen. Kein einfaches Wesen, denn ihr Leben
zeigt eine Mannigfaltigkeit von Zuständen und Thätigkeiten, die sich wohl
bedingen, aber nicht auf einander zurückgeführt werden können; kein zusammen¬
gesetztes Wesen, denn in allen Kräften, die ihren Inhalt bilden, erscheint und
verwirklicht sie sich selbst, bringt sie ihre eigene Natur zur Geltung. Sie ist
die formale Vereinigung einer realen Vielheit, in dieser findet jene ihren Inhalt,
in jener diese ihre Gestalt.

Nur in flüchtigen Umrissen hat Flügel die Beziehung der Seele zum Leibe
gezeichnet und dieselbe als Wechselwirkung bestimmt. Mit dem Hinweis darauf,
wie ein dem Stoffwechsel entnommenes Seelenwesen auch den Tod überdauern
könne, schließt die Schrift.

Neue und schwere Probleme der Forschung liegen hier; an sie heranzu¬
treten war uicht die Absicht dieses Aufsatzes. Dem Gedankengange unsrer
Schrift folgend wollten wir nur dem Materialismus gegenüber die Fundamente


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[0365] daß man nach der Maxime, nicht mehr Ursachen zur Erklärung einer Erscheinung anzunehmen, als unumgänglich nöthig ist, nur ein Wesen als Seelensubstanz vorauszusetzen habe. Wir möchten hinzufügen, daß die Annahme mehrerer immaterieller Wesen von vollkommener Gleichheit als Träger des individuellen Seelenlebens das Verständniß desselben nur erschwert, wenn nicht unmöglich macht. Wir müßten diese Wesen doch relativ selbständig denken, denn wäre keines von ihnen selbständig, so läge auch nicht eine Mehrheit von Wesen vor. Bei relativer Selbständigkeit würde aber auch immer eine relative Hemmung entstehen, welche die Einheit des Bewußtseins stören würde. Das eine Wesen würde schon das Bewußtsein der Thätigkeit haben, während das andre noch im Bewußtsein der Ruhe wäre, bis sich, auch ihm die Thätigkeit mitgetheilt hätte. Sollen aber die Zustände des einen Wesens sofort und unmittelbar auch dieselben Zustände in den andern Wesen hevorrufen, so wäre man auf die Hypothese eines Wesens gewiesen, das in einer Mehrheit von Seelen¬ faktoren sich verwirklichte. Diese Hypothese ist also nicht blos überflüssig, sondern auch in sich widerspruchsvoll und durchaus unhaltbar, und wir müssen daher bei der Annahme eines Seelenwesens für jede individuelle Persönlichkeit stehen bleiben. Dagegen — und das ist die Wahrheit, die zu der von uns abgelehnten Theorie durch Mißverständlich führen könnte — die Seele ist wohl eine Einheit, aber nicht, wie unsre Schrift behauptet, ein einfaches Wesen. Wir müssen uns nur immer vergegenwärtigen, daß dem Einfachen in der Sphäre der Materie allerdings das Zusammengesetzte gegenübersteht, nicht aber in der Sphäre des immateriellen Seins. Und so ist auch die Seele kein einfaches, aber ebenso¬ wenig ein zusammengesetztes Wesen. Kein einfaches Wesen, denn ihr Leben zeigt eine Mannigfaltigkeit von Zuständen und Thätigkeiten, die sich wohl bedingen, aber nicht auf einander zurückgeführt werden können; kein zusammen¬ gesetztes Wesen, denn in allen Kräften, die ihren Inhalt bilden, erscheint und verwirklicht sie sich selbst, bringt sie ihre eigene Natur zur Geltung. Sie ist die formale Vereinigung einer realen Vielheit, in dieser findet jene ihren Inhalt, in jener diese ihre Gestalt. Nur in flüchtigen Umrissen hat Flügel die Beziehung der Seele zum Leibe gezeichnet und dieselbe als Wechselwirkung bestimmt. Mit dem Hinweis darauf, wie ein dem Stoffwechsel entnommenes Seelenwesen auch den Tod überdauern könne, schließt die Schrift. Neue und schwere Probleme der Forschung liegen hier; an sie heranzu¬ treten war uicht die Absicht dieses Aufsatzes. Dem Gedankengange unsrer Schrift folgend wollten wir nur dem Materialismus gegenüber die Fundamente

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673/365>, abgerufen am 27.11.2024.