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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal.

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für eine Psychologie sichern, an welche eine ideale und ethische Weltanschauung
anzuknüpfen vermag.


H. Jacoby.


Ms Kaydn's letzter Schaffenszeit.
1. Die zweite Londoner Reise.

Als im Juli 1792 Haydn von London in die Heimat zurückkehrte und
abermals Bonn berührte, gab ihm das kurfürstliche Orchester im nahen Godes-
berg ein festliches Frühstück, und dabei legte Beethoven ihm ein vermuthlich
auf Leopold's II. Tod geschriebene Kantate vor, die der Meister besonders
beachtete, und die ihn veranlaßte, "ihren Verfasser zu fortdauerndem Studium
aufzumuntern". Damals wurde ohne Zweifel die Verabredung getroffen,
wonach bald darauf der junge Komponist Haydn's Schüler wurde. Denn
von Beethoven's wunderbarem Klavierspiel war auch er damals geradezu
überrascht.

In Wien und damit in ganz Deutschland stand jetzt, nachdem Gluck und
Mozart gestorben waren, Haydn als erster Meister da. Schon im Frühling
1792 hatte die "Musikalische Korrespondenz" geschrieben, seine Verdienste seien
so allgemein anerkannt und der Einfluß seiner zahlreichen Werke so wirksam,
daß seine "Manier" gleichsam als das erste Ziel der Komponisten erscheine
und sie selbst sich in dem Grade der Vollendung näherten, in welchem sie ihm
nahe kämen. Der in England gewonnene Ruhm aber erstickte fortan auch
allen Zweifel und Widerspruch. Jeder Gebildete, sagt Dies in seinen "Bio¬
graphischen Nachrichten von I. Haydn", habe jetzt den Namen Haydn mit einem
Tone ausgesprochen, der ein Gefühl von Nationalstolz verrieth, und dies wird
umsomehr der Fall gewesen sein, nachdem er am 22. und 23. Dezember im
Burgtheater seine sechs neuesten Londoner Symphonieen aufgeführt hatte, auf
die man natürlich in Wien besonders gespannt gewesen war. Es war dies
obendrein zum Vortheil derselben Wiener Tonkünstler-Wittwenkasse geschehen,
die ihn einst so grob behandelt hatte. Er wurde darauf sogar unentgeltlich
Mitglied der Gesellschaft, hat sie aber niemals in Anspruch zu nehmen brauchen.
Heute führt sie den Namen "Haydn".

Auch materiell hatte das "Land der Goldfüchse" ihn so wohl gestellt, daß
er ein kleines Haus in "einsam stiller Lage" einer Vorstadt kaufte, welches seine


für eine Psychologie sichern, an welche eine ideale und ethische Weltanschauung
anzuknüpfen vermag.


H. Jacoby.


Ms Kaydn's letzter Schaffenszeit.
1. Die zweite Londoner Reise.

Als im Juli 1792 Haydn von London in die Heimat zurückkehrte und
abermals Bonn berührte, gab ihm das kurfürstliche Orchester im nahen Godes-
berg ein festliches Frühstück, und dabei legte Beethoven ihm ein vermuthlich
auf Leopold's II. Tod geschriebene Kantate vor, die der Meister besonders
beachtete, und die ihn veranlaßte, „ihren Verfasser zu fortdauerndem Studium
aufzumuntern". Damals wurde ohne Zweifel die Verabredung getroffen,
wonach bald darauf der junge Komponist Haydn's Schüler wurde. Denn
von Beethoven's wunderbarem Klavierspiel war auch er damals geradezu
überrascht.

In Wien und damit in ganz Deutschland stand jetzt, nachdem Gluck und
Mozart gestorben waren, Haydn als erster Meister da. Schon im Frühling
1792 hatte die „Musikalische Korrespondenz" geschrieben, seine Verdienste seien
so allgemein anerkannt und der Einfluß seiner zahlreichen Werke so wirksam,
daß seine „Manier" gleichsam als das erste Ziel der Komponisten erscheine
und sie selbst sich in dem Grade der Vollendung näherten, in welchem sie ihm
nahe kämen. Der in England gewonnene Ruhm aber erstickte fortan auch
allen Zweifel und Widerspruch. Jeder Gebildete, sagt Dies in seinen „Bio¬
graphischen Nachrichten von I. Haydn", habe jetzt den Namen Haydn mit einem
Tone ausgesprochen, der ein Gefühl von Nationalstolz verrieth, und dies wird
umsomehr der Fall gewesen sein, nachdem er am 22. und 23. Dezember im
Burgtheater seine sechs neuesten Londoner Symphonieen aufgeführt hatte, auf
die man natürlich in Wien besonders gespannt gewesen war. Es war dies
obendrein zum Vortheil derselben Wiener Tonkünstler-Wittwenkasse geschehen,
die ihn einst so grob behandelt hatte. Er wurde darauf sogar unentgeltlich
Mitglied der Gesellschaft, hat sie aber niemals in Anspruch zu nehmen brauchen.
Heute führt sie den Namen „Haydn".

Auch materiell hatte das „Land der Goldfüchse" ihn so wohl gestellt, daß
er ein kleines Haus in „einsam stiller Lage" einer Vorstadt kaufte, welches seine


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[0366] für eine Psychologie sichern, an welche eine ideale und ethische Weltanschauung anzuknüpfen vermag. H. Jacoby. Ms Kaydn's letzter Schaffenszeit. 1. Die zweite Londoner Reise. Als im Juli 1792 Haydn von London in die Heimat zurückkehrte und abermals Bonn berührte, gab ihm das kurfürstliche Orchester im nahen Godes- berg ein festliches Frühstück, und dabei legte Beethoven ihm ein vermuthlich auf Leopold's II. Tod geschriebene Kantate vor, die der Meister besonders beachtete, und die ihn veranlaßte, „ihren Verfasser zu fortdauerndem Studium aufzumuntern". Damals wurde ohne Zweifel die Verabredung getroffen, wonach bald darauf der junge Komponist Haydn's Schüler wurde. Denn von Beethoven's wunderbarem Klavierspiel war auch er damals geradezu überrascht. In Wien und damit in ganz Deutschland stand jetzt, nachdem Gluck und Mozart gestorben waren, Haydn als erster Meister da. Schon im Frühling 1792 hatte die „Musikalische Korrespondenz" geschrieben, seine Verdienste seien so allgemein anerkannt und der Einfluß seiner zahlreichen Werke so wirksam, daß seine „Manier" gleichsam als das erste Ziel der Komponisten erscheine und sie selbst sich in dem Grade der Vollendung näherten, in welchem sie ihm nahe kämen. Der in England gewonnene Ruhm aber erstickte fortan auch allen Zweifel und Widerspruch. Jeder Gebildete, sagt Dies in seinen „Bio¬ graphischen Nachrichten von I. Haydn", habe jetzt den Namen Haydn mit einem Tone ausgesprochen, der ein Gefühl von Nationalstolz verrieth, und dies wird umsomehr der Fall gewesen sein, nachdem er am 22. und 23. Dezember im Burgtheater seine sechs neuesten Londoner Symphonieen aufgeführt hatte, auf die man natürlich in Wien besonders gespannt gewesen war. Es war dies obendrein zum Vortheil derselben Wiener Tonkünstler-Wittwenkasse geschehen, die ihn einst so grob behandelt hatte. Er wurde darauf sogar unentgeltlich Mitglied der Gesellschaft, hat sie aber niemals in Anspruch zu nehmen brauchen. Heute führt sie den Namen „Haydn". Auch materiell hatte das „Land der Goldfüchse" ihn so wohl gestellt, daß er ein kleines Haus in „einsam stiller Lage" einer Vorstadt kaufte, welches seine

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673/366>, abgerufen am 27.11.2024.