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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal.

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liegen, Fuad Pascha in der Mitte der sechziger Jahre und Midhad Pascha
während seines letzten Ministeriums 1876/77, hatten nach demselben Ziele ge¬
strebt. Ersterer glaubte, daß in der Einführung des Großwesirats ans Lebens¬
zeit der direkteste Weg geboten sei, und fast will es scheine", als ob dieser
Plan, seiner anscheinenden Extravaganz ungeachtet, mehr reelle Chancen für
Durchführung als der Khereddin's besessen hätte. Den türkischen Traditionen
und der ganzen Denkweise des Orients war er jedenfalls konformer. In der
letzteren findet wohl die Vorstellung eines Herrschers Raum, der, uuter sonstiger
Wahrung seiner uneingeschränkten Macht, dennoch um seiner persönlichen Un-
gebundenheit und Freiheit willen einen Auserwählten mit den Lasten der
eigentlichen Negierungsführung ein und für alle Male beschwert, allein sie
besitzt kein Auffassungsvermögen für einen allerhöchsten Gebieter und Stellver¬
treter der Allmacht Gottes ans Erden, als welcher der Sultan in seiner Eigen¬
schaft als Khalif gilt, der schließlich gezwungen sein soll, das gutzuheißen
und vollziehen zu lassen, was ihm vorgeschlagen wird, ohne ein anderes Recht
zu besitzen als das, seine Räthe zu wechseln. Auch Midhad Pascha's Ideen,
welche aus einer Repräsentativ-Verfassung als Grundlage des neuen, im türki¬
schen Reiche aufzurichtenden Rechtszustandes fußten, unterscheiden sich, fo über¬
schwenglich sie anch erscheinen, vortheilhaft von denen des jüngst gefallenen
Premiers. Sie zogen die Unterstützung durch die Masse des muselmanischen
Volks mit in Rechnung und strebten darnach, den Forderungen der bis dahin
nur beherrschten und unterdrückten Nationalitüten betreffs ihrer Antheilnahme
an der Regierung wie am Staate überhaupt gerecht zu werden. Namentlich
um dieses letzteren Umstandes willen standen sie in einem engeren Zusammen¬
hange mit dem großen Problem der Lösung der orientalischen Frage selber,
als die Vorschläge Khereddin's. Es ist allerdings behauptet worden, daß die
Zusammenberufung der Volksvertretung auch bei seinen Vorschlägen einen
Hauptpunkt ausgemacht habe, aber unbedingt sicher ist das nicht. Um der
Wirksamkeit einer Repräsentativ-Verfassung in der Türkei eine entscheidende
Bedeutung zuzuschreiben, ähnlich wie sein liberaler Vorgänger, ist der zuletzt
abgetretene Großwesir wohl ein zu nüchterner und zu entschieden auf das
nächstgelegene und Praktische hingewendeter Geist. Den Hauptaeeent legte er
auf die Homogenität und die Verantwortlichkeit des Ministeriums. Mit diesen
beiden Bedingungen glaubte er annähernd auszukommen und mindestens den
nächsten Erfordernissen der Lage wie einer gedeihlichen Geschäftsführung, auch
ohne deu Beistand, den zu solchem Zweck eine Volksvertretung bieten könnte,
gerecht zu werden. Ein dunkler Punkt in diesem Ideengange ist auch durch
das, was neuerdings über Khereddin's Absichten, dieselben erläuternd, in die
Oeffentlichkeit gelangt ist, nicht völlig aufgeklärt worden. Derselbe betrifft die


liegen, Fuad Pascha in der Mitte der sechziger Jahre und Midhad Pascha
während seines letzten Ministeriums 1876/77, hatten nach demselben Ziele ge¬
strebt. Ersterer glaubte, daß in der Einführung des Großwesirats ans Lebens¬
zeit der direkteste Weg geboten sei, und fast will es scheine», als ob dieser
Plan, seiner anscheinenden Extravaganz ungeachtet, mehr reelle Chancen für
Durchführung als der Khereddin's besessen hätte. Den türkischen Traditionen
und der ganzen Denkweise des Orients war er jedenfalls konformer. In der
letzteren findet wohl die Vorstellung eines Herrschers Raum, der, uuter sonstiger
Wahrung seiner uneingeschränkten Macht, dennoch um seiner persönlichen Un-
gebundenheit und Freiheit willen einen Auserwählten mit den Lasten der
eigentlichen Negierungsführung ein und für alle Male beschwert, allein sie
besitzt kein Auffassungsvermögen für einen allerhöchsten Gebieter und Stellver¬
treter der Allmacht Gottes ans Erden, als welcher der Sultan in seiner Eigen¬
schaft als Khalif gilt, der schließlich gezwungen sein soll, das gutzuheißen
und vollziehen zu lassen, was ihm vorgeschlagen wird, ohne ein anderes Recht
zu besitzen als das, seine Räthe zu wechseln. Auch Midhad Pascha's Ideen,
welche aus einer Repräsentativ-Verfassung als Grundlage des neuen, im türki¬
schen Reiche aufzurichtenden Rechtszustandes fußten, unterscheiden sich, fo über¬
schwenglich sie anch erscheinen, vortheilhaft von denen des jüngst gefallenen
Premiers. Sie zogen die Unterstützung durch die Masse des muselmanischen
Volks mit in Rechnung und strebten darnach, den Forderungen der bis dahin
nur beherrschten und unterdrückten Nationalitüten betreffs ihrer Antheilnahme
an der Regierung wie am Staate überhaupt gerecht zu werden. Namentlich
um dieses letzteren Umstandes willen standen sie in einem engeren Zusammen¬
hange mit dem großen Problem der Lösung der orientalischen Frage selber,
als die Vorschläge Khereddin's. Es ist allerdings behauptet worden, daß die
Zusammenberufung der Volksvertretung auch bei seinen Vorschlägen einen
Hauptpunkt ausgemacht habe, aber unbedingt sicher ist das nicht. Um der
Wirksamkeit einer Repräsentativ-Verfassung in der Türkei eine entscheidende
Bedeutung zuzuschreiben, ähnlich wie sein liberaler Vorgänger, ist der zuletzt
abgetretene Großwesir wohl ein zu nüchterner und zu entschieden auf das
nächstgelegene und Praktische hingewendeter Geist. Den Hauptaeeent legte er
auf die Homogenität und die Verantwortlichkeit des Ministeriums. Mit diesen
beiden Bedingungen glaubte er annähernd auszukommen und mindestens den
nächsten Erfordernissen der Lage wie einer gedeihlichen Geschäftsführung, auch
ohne deu Beistand, den zu solchem Zweck eine Volksvertretung bieten könnte,
gerecht zu werden. Ein dunkler Punkt in diesem Ideengange ist auch durch
das, was neuerdings über Khereddin's Absichten, dieselben erläuternd, in die
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[0308] liegen, Fuad Pascha in der Mitte der sechziger Jahre und Midhad Pascha während seines letzten Ministeriums 1876/77, hatten nach demselben Ziele ge¬ strebt. Ersterer glaubte, daß in der Einführung des Großwesirats ans Lebens¬ zeit der direkteste Weg geboten sei, und fast will es scheine», als ob dieser Plan, seiner anscheinenden Extravaganz ungeachtet, mehr reelle Chancen für Durchführung als der Khereddin's besessen hätte. Den türkischen Traditionen und der ganzen Denkweise des Orients war er jedenfalls konformer. In der letzteren findet wohl die Vorstellung eines Herrschers Raum, der, uuter sonstiger Wahrung seiner uneingeschränkten Macht, dennoch um seiner persönlichen Un- gebundenheit und Freiheit willen einen Auserwählten mit den Lasten der eigentlichen Negierungsführung ein und für alle Male beschwert, allein sie besitzt kein Auffassungsvermögen für einen allerhöchsten Gebieter und Stellver¬ treter der Allmacht Gottes ans Erden, als welcher der Sultan in seiner Eigen¬ schaft als Khalif gilt, der schließlich gezwungen sein soll, das gutzuheißen und vollziehen zu lassen, was ihm vorgeschlagen wird, ohne ein anderes Recht zu besitzen als das, seine Räthe zu wechseln. Auch Midhad Pascha's Ideen, welche aus einer Repräsentativ-Verfassung als Grundlage des neuen, im türki¬ schen Reiche aufzurichtenden Rechtszustandes fußten, unterscheiden sich, fo über¬ schwenglich sie anch erscheinen, vortheilhaft von denen des jüngst gefallenen Premiers. Sie zogen die Unterstützung durch die Masse des muselmanischen Volks mit in Rechnung und strebten darnach, den Forderungen der bis dahin nur beherrschten und unterdrückten Nationalitüten betreffs ihrer Antheilnahme an der Regierung wie am Staate überhaupt gerecht zu werden. Namentlich um dieses letzteren Umstandes willen standen sie in einem engeren Zusammen¬ hange mit dem großen Problem der Lösung der orientalischen Frage selber, als die Vorschläge Khereddin's. Es ist allerdings behauptet worden, daß die Zusammenberufung der Volksvertretung auch bei seinen Vorschlägen einen Hauptpunkt ausgemacht habe, aber unbedingt sicher ist das nicht. Um der Wirksamkeit einer Repräsentativ-Verfassung in der Türkei eine entscheidende Bedeutung zuzuschreiben, ähnlich wie sein liberaler Vorgänger, ist der zuletzt abgetretene Großwesir wohl ein zu nüchterner und zu entschieden auf das nächstgelegene und Praktische hingewendeter Geist. Den Hauptaeeent legte er auf die Homogenität und die Verantwortlichkeit des Ministeriums. Mit diesen beiden Bedingungen glaubte er annähernd auszukommen und mindestens den nächsten Erfordernissen der Lage wie einer gedeihlichen Geschäftsführung, auch ohne deu Beistand, den zu solchem Zweck eine Volksvertretung bieten könnte, gerecht zu werden. Ein dunkler Punkt in diesem Ideengange ist auch durch das, was neuerdings über Khereddin's Absichten, dieselben erläuternd, in die Oeffentlichkeit gelangt ist, nicht völlig aufgeklärt worden. Derselbe betrifft die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673/308>, abgerufen am 27.11.2024.